domradio.de: Der Blick in die Bibel liefert Klartext dazu, wie Christen sich ihren Herrschern gegenüber verhalten sollen. In den Paulusbriefen etwa heißt es: "Jeder leiste den Trägern der staatlichen Gewalt den schuldigen Gehorsam" (Römer, Kapitel 13 Vers 1). Noch bekannter ist aber sicher das Jesus-Wort aus dem Matthäus-Evangelium: "Gebt dem Kaiser was des Kaisers ist …"(Matthäus, Kapitel 22 Vers 21). Was bedeutet das, wenn wir das jetzt auf Trump projizieren? Müssen wir ihn so nehmen, wie er ist?
Dr. Andreas Püttmann (Politikwissenschaftler und katholischer Publizist): Man muss diese beiden Bibelworte schon noch um ein drittes ergänzen, um das magische Dreieck der christlichen Staatslehre zu haben. Nämlich: "Man soll Gott mehr gehorchen als den Menschen" aus der Apostelgeschichte. Das balanciert Römer 13 sozusagen etwas aus. Die Synthese ist dann die Zinsgroschengeschichte, wo es aber auch nicht nur heißt: "Gib dem Kaiser, was des Kaisers ist", sondern in einem klimaktischen Parallelismus heißt es dann: "…aber auch Gott, was Gottes ist." Darauf kann man sogar die Betonung setzen.
Römer 13 fordert an sich nicht den totalen Gehorsam, denn es gibt dort für die grundsätzliche Gehorsamspflicht zwei Begründungen. Dies ist zum einen, dass die Obrigkeit von Gott verordnet sei. Damit ist sie aber auch nur eine abgeleitete Größe. Das heißt, in dem Moment, in dem sie sich selbst totalisiert, entfallen die Voraussetzungen des Gehorsamsanspruchs.
Die zweite Begründung ist die Funktion der Belobigung der Guten und der Bestrafung der Bösen. Darin haben Exegeten ein Gefälle zum Rechtsstaat hin gesehen. Was ist aber jetzt, wenn die staatliche Gewalt die Bösen belobigt und die Guten bestraft? Also: Wir haben hier kein Rezeptbuch für konkretes Bürgerverhalten aus der Bibel. Wir können nur sagen: Macht an sich ist nicht böse und sie ist nicht an sich anrüchig. Sie dient dazu, die erbsündige Menschennatur in Schach zu halten. Dabei sind auch randständige Ungerechtigkeiten der Staatsgewalt hinzunehmen. Wir haben dann allerdings noch das Risiko, dass das Böse sich selbst als Macht etablieren kann.
Dagegen gibt es die verfassungsmäßige Machtverteilung, also die Gewaltenteilung sowie die kritische Öffentlichkeit. Beides ist in den USA, um auf Trump zu kommen, noch intakt. Gerade eben hat ein Gericht seine Entscheidung gekippt, keine Muslime ins Land zu lassen, zumindest für diejenigen, die ein Visum haben. Und wir haben im Unterschied zu Polen, wo das Verfassungsgericht von der rechtspopulistischen Regierung weitgehend lahmgelegt worden ist und die Freiheit der Medien beeinträchtigt wurde, in den USA noch die funktionierende Dritte Gewalt und freie Medien. Insofern ist Trump als Obrigkeit erst einmal zu akzeptieren.
domradio.de: Aber Trump hat sich doch schon Einiges geleistet. Das Einreiseverbot für Muslime ist ja nur ein letzter Coup in einer langen Reihe von Merkwürdigkeiten. Und das, obwohl er erst seit zehn Tagen an der Macht ist.
Püttmann: Das stimmt. Die Respektierung Trumps als Träger der Obrigkeit bedeutet nun nicht, dass Christen jetzt brav und treu alles hinzunehmen haben. Gehorsam heißt nicht Kritiklosigkeit. Kritiklosigkeit ist geradezu ein Verstoß gegen mündige Staatsbürgerloyalität. Wenn man daran denkt, dass Trump Behinderte nachgeäfft hat, dass er zum Hass sowohl gegen seine Mitbewerberin als auch gegen bestimmte Personengruppen angestachelt hat, dass er pausenlos gelogen hat, dass er Amt, Familie und Geschäft miteinander vermischt oder zumindest nicht ordnungsgemäß voneinander trennt, dass er jetzt eine ganze Weltreligion diskriminiert und selbst untadelige Leute, die über ein Visum und entsprechende Kontakte in die USA verfügen, nicht einreisen lassen will, dann kann man nur mit dem Kopf schütteln. Schließlich zählt auch noch seine Personalpolitik dazu. Er hat sich einen ganz schlimmen Hetzer - Stephen Bannon - ins Weiße Haus geholt und sagt jetzt auch noch, dass Folter doch funktioniere. Das ist der blanke ethische Nihilismus.
Dazu kann man nur sagen, dass man als Christ dagegen Sturm laufen sollte. Solange die Gerichte und die kritische Medienöffentlichkeit funktionieren, muss sich dies im legalen Rahmen bewegen. Insofern sehe ich bis jetzt noch nicht den zivilen Ungehorsam gefordert.
domradio.de: Kritiker sagen, dass mit Trump die Fratze des Kapitalismus offen sichtbar an die Spitze eines westlichen Landes getreten ist. Manche sehen darin sogar das Hauptproblem an Trump. Teilen Sie diese Meinung?
Püttmann: Ich glaube, dass der Kapitalismus nicht das Hauptproblem ist. Hauptproblem ist vielmehr das mangelnde Verständnis für die Menschenwürde und die daraus folgenden Freiheitsrechte. Wir haben hier in der Tat aber auch ein weltweites Problem. Man sollte sehen, dass Trump eher ein Symptom ist. Nicht nur für entfesselten Kapitalismus, das werden wir vielleicht noch sehen. Im Moment gibt er noch den Fürsprecher der kleinen Leute. Aber wahrscheinlich werden die von seinen Milliardären ziemlich an der Nase herumgeführt. Wir haben vielmehr einen weltweiten Trend zu autoritärer Herrschaft, zu einer gewissen Abkehr von der Demokratie und auch zur Verrohung unserer Kommunikation. Da ist er gewissermaßen das hervorstechendste Merkmal.
Dieses wiederum hat drei Facetten: Nämlich die Vereinfachung und Emotionalisierung, wofür mit Sicherheit auch unsere Internetkommunikation prägend war. Dann die Verstärkung der Gesinnungsegozentrik und die Radikalisierung. Denn das Internet ist auch eine Radikalisierungsmaschine. Da radikalisieren sich nicht nur Muslime zu Islamisten, sondern auch ganz normale Einheimische durch die Echoräume und Filterblasen des Netzes. Dann sind symptomatisch Narzissmus und Egoismus, der das Interesse über Recht und Moral stellt. Trump ist der Inbegriff dieser dreifachen Symptomatik.
domradio.de: Was kann denn jeder einzelne in dieser Situation, in der er große Sorge hat, tun?
Püttmann: Zunächst einmal kann er wählen. Wir stehen ja hier in Deutschland vor einem Superwahljahr, und man kann gemäßigte Parteien wählen. Die Kirche wird sicherlich keine Vorschriften machen, wie das manchmal früher der Fall war. Aber eins kann die Kirche schon, und das ist nicht mit Parteipolitisierung zu verwechseln, wie das einige rechte Christen beispielsweise unseren Bischöfen vorwerfen, sondern da ist die Frage, ob ethische Grundlinien überschritten werden, die etwa die Grundrechte der Person betreffen. Dann ist klar, dass bestimmte Parteien als wählbar ausscheiden.
Die Wahl gemäßigter Parteien ist also das erste Mittel. Man darf das Feld nicht den viel eifrigeren Radikalen überlassen. Dann kann man sich in Parteien, Verbänden und Initiativen je nach Kompetenz und Zeitmöglichkeiten engagieren. Das geht auch in sozialen Netzwerken, die zum Tummelplatz von Radikalen geworden sind - insbesondere von Rechtsradikalen. Ganz wichtig ist es auch, sich zu informieren und zu bilden, damit man im Alltag Rede und Antwort stehen kann. Denn letzten Endes ist die Alltagskommunikation für die Bildung der öffentlichen Meinung entscheidend. Im Notfall kann man auch demonstrieren. Das ist insgesamt ein breites Spektrum von Möglichkeiten, die der Bürger hat.
domradio.de: Auch Papst Franziskus muss sich in seiner Doppelfunktion als Kirchenspitze und Staatschef des Vatikanstaats zum neuen US-Präsidenten Trump verhalten. Wenn sich Franziskus also jetzt zu Trump positioniert, tut er das in jedem Fall als Vertreter vieler. Bisher haben wir von ihm Widersprüchliches gehört: Im Februar 2016 hatte Franziskus mit Blick auf Trump gesagt: Jemand, der nur daran denkt, Mauern zu errichten und nicht daran, Brücken zu bauen, ist nicht christlich. Als Franziskus dann nach der Amtseinführung nach seiner Meinung zu Trump gefragt wurde, hat er gesagt, er wolle erst einmal abwarten, was der neue US-Präsident jetzt wirklich tut und hat auf seine eigene Fehlbarkeit verwiesen. Hat er da jetzt schon ein bisschen klein beigegeben?
Püttmann: Das würde ich nicht sagen. Ich sehe auch keinen Widerspruch, weil die Situation sich ja verändert hat. Man kann durchaus zunächst einmal vor einem Kandidaten warnen. Wenn er sich dann aber trotzdem durchgesetzt hat, gebietet es die Klugheit, zu schauen, wie sich seine Regierungsweise zunächst mal zurechtrüttelt. Denn er ist ab dem Moment ja in eine institutionelle Struktur eingebunden, in der auch andere Player eine Rolle spielen. In den USA ist das der Kongress. Und wir wissen ja, dass es in der republikanischen Partei eine ganze Menge Leute gibt, die mit Trump auch nicht glücklich sind.
Es ist insofern von Papst Franziskus sehr klug, jetzt zu sagen: "Warten wir erstmal ab." Man muss ja auch eine gewisse Fairness walten lassen - auch gegenüber demjenigen, der selbst gelegentlich unfair ist. Und in dem Moment, wo wir sehen, dass die verfassungsmäßigen Checks und Balances - also die Gegengewichte, die es gibt - nicht funktionieren, dann protestieren wir. Protest muss gut dosiert und terminiert sein. Ein Dauergezeter bringt überhaupt nichts.
domradio.de: Womit Franziskus sich wiederum gar nicht zurückgehalten hat, ist, immer wieder Kritik an Populisten im Allgemeinen zu üben. In einem Interview mit der "Welt am Sonntag" hat er zum Beispiel vor Populisten gewarnt und gesagt: "Hitler hat nicht die Macht an sich gerissen. Er wurde von seinem Volk gewählt und hat sein Volk dann zerstört." Ist das also doch eine Warnung davor, dem Kaiser immer das zu geben, was er glaubt einfordern zu können?
Püttmann: Das schon. Und ich glaube, dass der Papst hier zwei sehr wichtige Aspekte angesprochen hat. Erstens: Wir schrecken ja immer davor zurück, diese Hitler-Parallelen zu ziehen, aber es ist schon so, dass der Rechtspopulismus zwar noch kein Faschismus oder Nationalsozialismus ist, aber dass es ein gewisses Gefälle dahin gibt. Denken wir etwa an die Suche nach inneren und äußeren Feinden, die für beide typisch ist. Ebenso ein rabiater Interessen-Egoismus, Empathielosigkeit sowie eine Selbstermächtigung, die dann etwa dazu führt, dass man die freien Arbeitsmöglichkeiten der Medien beschneidet. Wenn man das alles auf sich wirken lässt, kann man schon sagen, dass der Rechtspopulismus das kleine, weniger grobe Brüderchen des Faschismus ist.
Der zweite wichtige Punkt ist: Eine demokratische Wahl ist kein absolutes Argument zugunsten der Legitimität eines Herrschers aus christlicher Sicht. Wir haben in der christlichen Tradition die Unterscheidung von "Tyrannus usurpationis" - also dem Herrscher, der illegitim die Macht an sich reißt - und dem "Tyranus regiminis", also einem Herrscher, der zwar legitim - heute durch eine demokratische Wahl - an die Macht gekommen ist, der dann aber während seiner Regierungszeit zum Diktator entartet. Es gibt auch die stufenweise Radikalisierung zur illegitimen Herrschaft hin. Und das hat der Papst sehr klar gemacht, indem er sagt: Jemand ist erstmal demokratisch gewählt, aber das heißt noch lange nicht, dass wir ihn nicht scharf beobachten müssen, dass wir Grenzüberschreitungen nicht entschlossen und frühzeitig anprangern müssen.
Das Interview führte Hilde Regeniter.