Rabbiner über Folgen eines Antisemitismus-Beauftragten

Pluralistische Gesellschaft schützen

Im Koalitionsvertrag von Union und SPD ist ein Antisemitismus-Bundesbeauftragter vorgesehen. Rabbiner Walter Homolka zeigt auf, was für und was gegen das Amt spricht.

Rabbiner Homolka: Antisemitismus-Beauftragter kann deutlich machen, wo Grenzen der Toleranz sind / © Ralf Hirschberger (dpa)
Rabbiner Homolka: Antisemitismus-Beauftragter kann deutlich machen, wo Grenzen der Toleranz sind / © Ralf Hirschberger ( dpa )

KNA: Herr Rabbiner, auf Bundes- und Länderebene wird aktuell über die Einführung von Antisemitismus-Beauftragten debattiert. Was spricht dafür?

Rabbiner Walter Homolka (Vorsitzender der Union progressiver Juden in Deutschland und Rektor des Abraham Geiger Kollegs in Potsdam): Seit einiger Zeit lässt es sich nicht mehr wegdiskutieren: Deutschland hat einen soliden Bodensatz an latentem und akutem Antisemitismus. Wenn die Zusicherung der Bundesregierung etwas wert sein soll, diesen Tendenzen Konkretes entgegenzusetzen, dann können Antisemitismus-Beauftragte ein wichtiges Signal geben: Null Toleranz für Antisemitismus!

KNA: Und was spricht dagegen?

Homolka: Die Einführung von Antisemitismus-Beauftragten ist das Eingeständnis, dass Deutschlands Gesellschaft aus der Vergangenheit nicht genug gelernt hat und der Schoß noch fruchtbar ist, der Judenhass gebiert.

KNA: Der Historiker Michael Wolfssohn bezeichnete die Einführung eines Antisemitismus-Beauftragten der Bundesregierung als "reine Alibi-Veranstaltung". Was ist Ihre Position in dieser Frage?

Homolka: Michael Wolffsohn hat dann recht, wenn Papiertiger geschaffen werden, statt wirksam arbeitende Ombudsleute.

KNA: Wie müsste so eine Stelle strukturell ausgestaltet sein, um effektiv handeln zu können? Anders als beispielsweise die Stelle des Wehrbeauftragten?

Homolka: Der Wehrbeauftragte macht Verteidigungspolitikern und Bundeswehr mächtig Feuer unter dem Hintern, weil er Kompetenzen, Prüf- und Interventionsmöglichkeiten hat. Die Antisemitismus-Beauftragten brauchen Rückhalt durch eine dahinter stehende Behörde mit Ressourcen und Kompetenzen. Sie brauchen Stehvermögen, konfrontativ einzugreifen. Nichts darf unter den Teppich gekehrt werden. Zusätzlich müssen aber Gelder da sein, um Projekte gegen Antisemitismus zu entwickeln und umzusetzen. Also nicht nur aufdecken und anklagen, sondern auch Arbeit am Gegengift.

KNA: Ist es sinnvoll auf Bundes- und auf Länderebene solche Stellen einzurichten?

Homolka: Durchaus. Wir sind ein föderativ aufgestelltes Land. Und allein in Sachsen gibt es - zu unser aller Schande - genug Arbeit. Also durchaus föderal anlegen!

KNA: Gibt es in anderen Ländern vergleichbare Beauftragte?

Homolka: Seit 2012 gibt es in Frankreich den institutionalisierten Kampf gegen Rassismus und Antisemitismus durch eine interministerielle Delegation. Seit 2017 kümmert sich darum Frederic Potier als Antisemitismus-Beauftragter in Frankreich. Die Stelle ist im Elysee-Palast direkt beim Staatspräsidenten angesiedelt. Deshalb fordert das American Jewish Committee aus seinem Berliner Büro, den Bundesbeauftragten gegen Rassismus und Antisemitismus im Kanzleramt zu integrieren. Er braucht aber Freiraum, um auch die Regierung in die Zange nehmen zu können, wenn das notwendig ist.

2017 hat das U.S. State Department beschlossen, sein "Anti-Semitism Office" beizubehalten und die Rolle des Botschafters für "International Religious Freedom" sogar auszubauen. Der Vorgänger des heutigen Amtsinhabers Sam Brownback, früher Gouverneur von Kansas, war mein Freund Rabbiner David Saperstein. Ich habe da beeindruckende Interventionen der USA auf internationaler Ebene erlebt. Denn es gibt Länder, denen man dringend auf die Finger schauen und hauen muss: Ungarn und Polen hätten dringend Antisemitismus-Beauftragte nötig. Aber ich fürchte: Keiner wird sie national einrichten.

KNA: Welche Ansicht dominiert in der jüdischen Community zu diesem Thema?

Homolka: Die meisten Jüdinnen und Juden möchten ein beherztes Eingreifen der Regierung und der Parlamente gegen Antisemitismus sehen. Sie sind durch die Geflüchteten aus Ländern verunsichert, in denen ein jüdisches Feindbild vermittelt wird. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat stets eine klare Haltung an der Seite der jüdischen Gemeinschaft gezeigt und glaubhaft vorgelebt. Aber wir brauchen noch mehr Energie und Nachhaltigkeit, um unsere pluralistische Gesellschaft zu schützen.

KNA: Welche Erwartungen kann solch ein Posten nicht erfüllen? Wo sind die Grenzen?

Homolka: Ein Antisemitismus-Beauftragter kann warnen, aufdecken, anprangern, ahnden und damit deutlich machen, wo in unserer Gesellschaft deutliche Grenzen der Toleranz gezogen sind. Ein Bodensatz an braunem Schlamm wird bleiben. Aber wir zeigen wenigstens, dass diese Ideologie nicht hoffähig wird. Angesichts von Pegida auf unseren Straßen und angesichts des Einzugs der AfD in die Herzkammern der Demokratie - unsere Parlamente - ein ganz wesentlicher Schritt.

Karin Wollschläger

 

Rabbiner Walter Homolka / © Julian Stratenschulte (dpa)
Rabbiner Walter Homolka / © Julian Stratenschulte ( dpa )
Quelle:
KNA