Dem vor fünf Jahren gestorbenen Kardinal Joachim Meisner war der in den 1990er Jahren erzielte Kompromiss bei der Reform des Paragrafen 218 von Beginn an ein Dorn im Auge. Die Einheit Deutschlands habe "unchristliche, sogar antichristliche" Tendenzen mit sich gebracht, sagte er Ende der 90er Jahre in einem Interview.
Dies zeige schon die Neuregelung zur Abtreibungsfrage. "Dort drüben war die Fristenregelung. Jetzt musste man hier bei uns eine mittlere Lösung finden, die eben keine Lösung ist", so Meisner.
Tatsächlich entwickelte sich die Diskussion um die Ausgestaltung des Paragrafen 218 zu einer der heftigsten Debatten im Zuge der Wiedervereinigung. Die Parlamentarier einigten sich erst vor 30 Jahren, am 26. Juni 1992, auf einen Kompromiss.
Die Zufriedenheit darüber war allerdings von kurzer Dauer. Nur wenig später kassierte das Bundesverfassungsgericht die Regelung. Zur Reform, die auch heute noch gilt, kam es dann drei Jahre später.
Unterschiedliche Regelung in Ost und West
Nur die wenigsten hatten nach dem Mauerfall wohl die unterschiedlichen Regelungen von Ost und West in der Abtreibungsfrage im Blick; im Vordergrund standen wirtschaftliche Fragen. So blieb in den "neuen" fünf Bundesländern zunächst die sogenannte Fristenregelung bestehen, nach der Schwangere in den ersten drei Monaten abtreiben konnten. In Westdeutschland galt dagegen die Indikationsregelung, auf die man sich in den 70er Jahren verständigt hatte. Legal konnten Frauen danach in den ersten drei Monaten nur dann abtreiben, wenn es medizinische, eugenische, kriminologische oder soziale Gründe gab.
In den folgenden Monaten waren es dann vor allem die katholische Kirche und Teile der Union, die für eine rigide Abtreibungspraxis eintraten, während liberale Frauengruppen aus West und Ost sowie SPD, Grüne und FDP für die Fristenlösung warben. Bis 1992 sollte eine Einigung gefunden werden, so hieß es dann im Einigungsvertrag vom 31. August 1990.
Und das gelang: Am 26. Juni 1992 stimmte eine Mehrheit der Bundestagsabgeordneten für die Fristenlösung mit Beratungspflicht. 14 Stunden dauert die Mammutdebatte. Der Abbruch in den ersten zwölf Wochen galt demnach nicht als rechtswidrig, wenn sich die Frau vorher beraten ließ.
§ 218: Abtreibung in den ersten 12 Wochen legal
Daraufhin reichten Abgeordnete der Union Klage ein. Und sie sollten damit Recht bekommen: Ein Jahr später erklärten die Richter in Karlsruhe dann das Gesetz für in wesentlichen Teilen verfassungswidrig, da der Staat damit der Verpflichtung zum Schutz des menschlichen Lebens - auch des ungeborenen - nicht ausreichend nachkomme. Die Richter rügten auch das Beratungskonzept, da es keinen Auftrag enthalte, "die schwangere Frau zum Austragen des Kindes zu ermutigen".
Empörung über das Urteil kam vor allem aus Ostdeutschland. Die 2001 verstorbene Regine Hildebrandt (SPD), damalige Frauenministerin in Brandenburg, erklärte: "Für uns im Osten (...) ist es das i-Tüpfelchen." Zusätzlich zur Massenarbeitslosigkeit und massiven Benachteiligungen von Frauen werde nun auch noch der Schwangerschaftsabbruch erschwert. Zufrieden zeigte sich dagegen der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Karl Lehmann: "Das Urteil stellt eine historische und wegweisende Entscheidung dar", erklärte er.
So ging die Debatte um den Schwangerschaftsabbruch in eine neue Runde. Erst 1995 verständigten sich die Abgeordneten auf das noch heute gültige "Schwangeren- und Familienhilfe-Änderungsgesetz". Demnach ist ein Schwangerschaftsabbruch grundsätzlich rechtswidrig, er bleibt jedoch straflos, wenn er in den ersten zwölf Wochen vorgenommen wird. Zudem muss die Frau sich zuvor beraten lassen, und zwischen Beratung und Abbruch müssen mindestens drei Tage liegen. Und: Ausdrücklich nicht rechtswidrig ist eine Abtreibung nach einer Vergewaltigung, bei Gefahr für das Leben oder die körperliche oder seelische Gesundheit der Schwangeren.
Ampelkoalition will § 218 prüfen
Mit dem "Schwangeren- und Familienhilfe-Änderungsgesetz" von 1995 beruhigte sich die Lage. Teile der katholischen Kirche fanden sich allerdings nicht damit ab, die für eine Abtreibung notwendigen Beratungsscheine ausstellen zu müssen. Ende 1999 verkündeten die Bischöfe auf Verlangen des Papstes schließlich das Aus für die kirchliche Konfliktberatung im staatlichen System. Der von engagierten Katholiken gegründete Verein Donum Vitae setzt die Beratung indes fort.
In den vergangenen drei Jahren weckte der Streit um den Paragrafen 219a Erinnerungen an die alten Auseinandersetzungen. Er untersagt "das Anbieten, Ankündigen oder Anpreisen" von Schwangerschaftsabbrüchen aus finanziellem Vorteil heraus oder wenn dies in "grob anstößiger Weise" geschieht.
Im Koalitionsvertrag taucht auch wieder der Paragraf 218 wieder auf: In ihrer Ampelkoalition haben sich SPD, FDP und Grüne darauf verständigt, ihn noch einmal zu prüfen. Dazu soll eine Kommission eingerichtet werden. Allerdings warnen vor allem diejenigen, die in den 90er Jahren am Zustandekommen der Regelung beteiligt waren, davor, den damals geschlossenen Kompromiss wieder aufzuschnüren.