Regierung will vier Dörfer an Aserbaidschan zurückgeben

Friedensgeste Armeniens sorgt für Unfrieden

Armeniens Regierung will vier Dörfer an Aserbaidschan zurückgeben und einen Schritt zum Frieden mit dem Erzfeind machen. Bewohner der Region, Opposition und Kirche protestieren. Der Druck auf den Ministerpräsidenten wächst.

Autor/in:
Daniel Pelz
Flagge Armeniens und Berg-Karabachs / © Nikita Mao (shutterstock)
Flagge Armeniens und Berg-Karabachs / © Nikita Mao ( shutterstock )

Zweifel an seiner Entscheidung hat Armeniens Regierungschef Nikol Paschinjan offenbar nicht: "Was wird passieren, wenn wir diesen Prozess aufhalten? Die Antwort ist einfach: Krieg", sagte er laut der staatlichen Nachrichtenagentur Armenpress bei einer Pressekonferenz.

Mitte April hatte seine Regierung beschlossen, vier unbewohnte Dörfer an Aserbaidschan zurückzugeben, die Armenien in den 1990er Jahren besetzt hatte. Gleichzeitig einigten sich beide Länder darauf, den umstrittenen Grenzverlauf in der Region verbindlich festzulegen. Die ersten Grenzpfähle stehen bereits.

Friedensabkommen nötig

"Die Grenzpfähle sind die Grundpfeiler der Sicherheit", sagte Regierungschef Paschinjan nun am Mittwoch. Sein Kalkül ist klar: Um den schwelenden Konflikt mit dem Nachbarn zu beenden und weiteren militärischen Auseinandersetzungen vorzubeugen, müssen beide Länder ein Friedensabkommen schließen. Die Rückgabe der Dörfer ist aus seiner Sicht ein Schritt dazu, den Aserbaidschan lange gefordert hatte.

Auch Armeniens westliche Verbündete lobten damals die Entscheidung: Dies sei ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einem dauerhaften und würdigen Friedensabkommen, twitterte US-Außenminister Anthony Blinken im April. Ähnlich äußerte sich das Auswärtige Amt; UNO-Generalsekretär Antonio Guterres begrüßte die Einigung. Der EU-Sonderbeauftragte für den Kaukasus sprach von "ermutigenden Nachrichten".

Große Wut in der Bevölkerung

Teile der armenischen Bevölkerung sehen das aber ganz anders. "Auch bei Leuten, die Paschinjan gewählt haben und ihn nach wie vor für alternativlos halten, schwingt Kritik mit", sagt Marcel Röthig, Leiter des Kaukasus-Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung; nämlich: "Wie kann man diese Dörfer aufgeben, auch wenn sie Aserbaidschan rechtmäßig gehören, ohne etwas im Gegenzug zu bekommen?" Denn auch Armenien wirft Aserbaidschan vor, Teile des Staatsgebietes besetzt zu haben.

Bei den Bewohnern der betroffenen Region in der nördlichen Provinz Tavush ist die Wut besonders groß. Seit Tagen gehen sie gegen die Entscheidung sprichwörtlich auf die Straße. Zunächst blockierten sie eine wichtige Fernstraße. Nun ist ein Demonstrationszug auf dem Weg in die Hauptstadt Jerewan, wo eine Großkundgebung geplant sein soll. An diesem Donnerstag sollen sie eintreffen.

Erzbischof führt Proteste an 

"Die 'Tavush für die Heimat'-Bewegung hat beschlossen, dass das Volk nach Jerewan marschieren muss, um zu verlangen, dass dieser Prozess hier und überall gestoppt wird", zitiert der US-Sender Radio Free Europe/Radio Liberty den armenisch-apostolischen Erzbischof von Tavush, Bagrat Galstanyan. Der Erzbischof führt die Proteste an.

Bilder der marschierenden Demonstranten beherrschen derzeit die armenischen Medien. Viele Bewohner der Region fürchten, trotz Hilfszusagen der Regierung in Jerewan durch den neuen Grenzverlauf keinen Zugang mehr zu ihren Feldern zu haben. Auch geht die Angst um, aserbaidschanischen Angriffen künftig schutzlos ausgeliefert zu sein. Immer wieder kam es in den vergangenen Monaten an anderen Stellen der Grenze zu Schießereien. Beide Seiten geben sich gegenseitig die Schuld.

Kirche forderte Rücktritt

Aber längst unterstützen auch Gruppierungen die Proteste, die den Kurs des Ministerpräsidenten grundsätzlich ablehnen. "Wir halten die Aktivitäten in den Grenzgebieten von Tavush, die im Namen der Grenzfestlegung und -markierung durchgeführt werden, für sehr gefährlich", heißt es in einer Erklärung der Armenisch-Apostolischen Kirche. Das armenische Volk solle seine berechtigten Sorgen und Ängste auf friedlichem Wege ausdrücken.

Die Kirche hatte schon 2020 Paschinjans Rücktritt gefordert. Offiziell gehören ihr über 90 Prozent der Bevölkerung an, was den Protesten Zulauf bescheren könnte. Die Opposition versucht ebenfalls, Menschen zu mobilisieren.

Auch wenn größere Proteste möglich wären, glaubt der FES-Experte Röthig nicht, dass sie der Regierung besonders gefährlich werden könnten. Die alten Eliten seien "nach wie vor in der Masse unbeliebt und stellen keine Alternative zu Paschinjan dar". Er glaube nicht, dass die Proteste seine Machtbasis schmälern könnten.

Krieg zwischen Armenien und Aserbaidschan

Der Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan um die Region im Südkaukasus besteht bereits seit über drei Jahrzehnten und führte auch in der Vergangenheit immer wieder zu kämpferischen Auseinandersetzungen. Völkerrechtlich gehört Bergkarabach zu Aserbaidschan. Bewohnt wurde das Gebiet bis Oktober 2020 von rund 150.000-Einwohner*innen. Die Mehrzahl fühlt sich kulturell und politisch Armenien zugehörig. Beide Seiten beanspruchen die Region für sich. Dies führte seit dem 1994 vereinbarten Waffenstillstand immer wieder zu militärisch ausgetragenen Konflikten.

Konflikt in Berg-Karabach (Archiv) (dpa)
Konflikt in Berg-Karabach (Archiv) / ( dpa )
Quelle:
KNA