DOMRADIO.DE: Sie machen auswärtigen Religionsunterricht, jeden Montag. Und zwar im Seniorenheim.
Magnus Anschütz (Religionslehrer, Marienschule Opladen in Leverkusen): Genau. Wir treffen uns hier in der Schule um 8 Uhr, testen uns auf Corona. Dann gehe ich mit den 17 Schülerinnen und Schülern durch die Fußgängerzone ins Altenheim "Upladin". Dort haben wir von 8:15 bis 9:15 Uhr gemeinsam mit vier Seniorinnen und Senioren Religionsunterricht.
DOMRADIO.DE: Das heißt, Sie unterrichten die Seniorinnen? Oder unterrichten die die Kinder? Wie läuft das ab?
Anschütz: Ich unterrichte den gesamten Kurs, das heißt die Seniorinnen und Senioren und die Schüler*innen. Das Schöne dabei ist, dass alle gegenseitig von ihren Erfahrungen profitieren. Zum Beispiel hat mir letzte Woche die älteste Teilnehmerin gesagt: "Herr Anschütz, wenn Sie uns noch mal einen Text geben, der so klein gedruckt ist, dann streike ich hier". Dann sagte die Schülerin, die neben ihr saß: "Nein, das ist kein Grund, dann lesen wir Ihnen das vor". Oder wenn ich am Anfang eine Methode mache zum besseren Kennenlernen, dann unterhalten sie sich auch untereinander und sagen: Also, das muss ich euch mal sagen, bei uns, als ich zur Schule gegangen bin... da mussten wir erst mal strammstehen. Und wer nicht gehorcht hat, musste eine Runde über das Kartoffelfeld laufen.
DOMRADIO.DE: Seniorinnen und Senioren haben ja wirklich ganz andere Schulerfahrungen. Das heißt aber, es geht bei dem Projekt nicht so sehr um den Religionsunterricht an sich, sondern eher um Kontakt zwischen Jung und Alt?
Anschütz: Nein, es ist erstmal wirklich ganz durchschnittlicher Religionsunterricht, der vom Land und von den Kirchen gemeinsam vereinbart wurde und dann in den Richtlinien hier bei uns in der Schule festgesetzt wird. Das heißt, es ist der gleiche Religionsunterricht.
Im Moment lernen wir gemeinsam die Regeln und die Geschichte und die Werte des Judentums kennen. Was ich spannend finde, ist aber dann zu zeigen: Achtung, im Altenheim leben auch Menschen, die das interessiert. Und nur weil die mehr Erfahrung haben, heißt das nicht, dass die alles besser wissen als wir. Und nur weil die im Altenheim leben, heißt das auch überhaupt nicht, dass die mit dem Rest der Welt nichts mehr zu tun haben müssen.
DOMRADIO.DE: Ganz im Gegenteil, die Freude ist ja wahrscheinlich groß, wenn junge Leute ins Altenheim kommen?
Anschütz: Absolut, die freuen sich richtig auf uns. Und die möchten auch wissen, was die Kinder gerade so interessiert, wie es ihnen geht? Wie wir denn die gesamte Situation wahrnehmen? Das war am Anfang der Punkt, warum ich gesagt habe, dass ich das gerne mal ausprobieren möchte. Denn ich habe die Erfahrung gemacht, Altenheime werden an Weihnachten, zum Sommerfest und an Karneval gut besucht. Da kommt der Kinderprinz vorbei und das Karnevals-Dreigestirn und der Bürgermeister. Aber dazwischen sind viele Altenheime nicht so sehr besucht und da müssen die Angestellten sich unheimlich anstrengen, damit die das Leben ins Altenheim holen.
Da habe ich mich gefragt - geht es denn eigentlich, dass ich den Religionsunterricht dort abhalte, mit Menschen mit Erfahrung und Menschen mit weniger Erfahrung. Ich hatte Glück, dass ich diese lebhafte, lebendige und offene fünfte Klasse unterrichtet habe und habe dann angefangen, mit dem Altenheim zu planen. Ich habe dort nachgefragt: Wären Sie bereit, uns jedes Mal zu empfangen? Dann habe ich mit meiner Klasse gesprochen. Die sind nach den Sommerferien ja eine sechste Klasse geworden. Die waren total begeistert. Deswegen haben wir das nach den Sommerferien angefangen. Und bis jetzt sind auch wirklich alle immer glücklich dabei.
DOMRADIO.DE: Sie haben die Kinder also nicht mit Ihrer Idee überfallen, sondern Sie haben das im Vorfeld besprochen?
Anschütz: Richtig, das war mir ganz wichtig, das auch so mitzunehmen, weil ich den Schüler*innen nichts überstülpe. Es ist ja auch wichtig, dass sich alle im Unterricht wohlfühlen. Deswegen habe ich auch mit den Senior*innen vorher ein Treffen gemacht, bei dem sie ihre Fragen stellen durften. Für die war das ganz wichtig, ob ihnen jetzt ein Glaube übergestülpt wird. Worauf ich gesagt habe: Stopp, Religionsunterricht in den letzten 60 Jahren hat sich unheimlich weiterentwickelt. Wir sind ja keine Missionare und Missionarinnen, sondern wir sind da, um zu beleuchten und um Meinungen auszutauschen und dann zu gucken, was ist theologische Meinung, was ist gelebte Meinung und was gibt es christlichen Menschen, an Gott zu glauben?
DOMRADIO.DE: Sie haben von vier Seniorinnen und Senioren in Ihrem Unterricht erzählt. Waren denn da nicht noch viel mehr ältere Damen und Herren davon angetan?
Anschütz: Ich glaube, aufgrund der Pandemie waren viele noch vorsichtig. Dann gehen nicht alle Menschen offen und ganz glücklich an das Thema Religion ran. Und, was auch einige Senior*innen zurückgemeldet haben, war: Nein! Montagsmorgens um 8:15 Uhr? Wenn Sie um 10:00 Uhr vorbeikommen, wäre das was anderes. Ich glaube, dann hätten bestimmt 20 Senior*innen mitgemacht. Eine fragte sogar: Können wir das nächstes Jahr vielleicht donnerstags um 12:00 Uhr machen?
Das Interview führte Uta Vorbrodt.