DOMRADIO.DE: Trump sieht sich als Erlöser. Er sagt, er sei ein Krieger für Gott. Wie nehmen Sie das wahr?
Prof. Dr. Detlef Pollack (Religionssoziologie an der Universität Münster): In meinen Augen steht dahinter ein apokalyptisches Szenario. Am Ende der Zeit wird die Erlösung kommen, aber zuvor sollen sich die Verhältnisse verschlechtern. Trump tut ja vieles, um die Situation in der Welt, besonders in Amerika, als schlecht darzustellen. Er redet vom wirtschaftlichen Niedergang, einem zugemüllten Amerika, das gereinigt werden müsse.
Das alles sind religiöse Argumentationsmuster – ein Kampf zwischen Gut und Böse. Trump sieht sich auf der Seite des Guten, und sein Handeln soll Amerika wieder groß und "gereinigt" machen. Er nutzt religiöse Sprache, um sich als Retter zu inszenieren.
DOMRADIO.DE: Diese Argumentation verfängt ja besonders bei den Evangelikalen in den USA. Sie verehren Trump wie einen Heiligen, der biblische Prophezeiungen erfüllt. Es gibt sogar Poster, auf denen Jesus seine Hände auf Trumps Schulter legt. 80 Prozent der Evangelikalen haben, so heißt es, Trump gewählt. Welche Funktion erfüllt er für die Evangelikalen?
Pollack: Die Evangelikalen fühlen sich seit Jahrzehnten von der amerikanischen Mehrheit verachtet und betrachten sich als am stärksten verfolgte Gruppe, noch stärker als Afroamerikaner oder Muslime. Sie möchten diesen empfundenen Niedergang und das Gefühl, nicht anerkannt zu sein, umkehren. Trump ist für sie die Rettung, weil er bestimmte evangelikale Werte vertritt – wie etwa die Abtreibungsfrage – und konservative Richter ernennt.
Trotz aller Zweifel daran, dass Trump wirklich ein Christ ist, erkennen sie ihn als Bündnispartner. Sie argumentieren: "Die Wege Gottes sind unerforschlich, und auch einen Sünder kann er zu besten Zwecken einsetzen." So sehen sie Trump als Mittel, um ihre Interessen durchzusetzen.
DOMRADIO.DE: Atheisten würden vielleicht sagen: "Religion entstellt den Menschen und fördert größenwahnsinnige Typen wie Trump." Was antworten Sie Religionskritikern?
Pollack: Dieser Vorwurf ist nicht völlig unberechtigt. In der Religionsgeschichte gibt es die Figur des Tricksters – einer Figur, die ständig Grenzen überschreitet und oft als "Dümmling" erscheint, die aber zugleich eine Verbindung zum Übermenschlichen und Göttlichen herstellt. Solche Figuren werden verehrt, gerade weil sie Normen brechen, was viele als befreiend empfinden.
In den USA gibt es unter Rechtspopulisten eine starke Verachtung der Eliten. Trump verkörpert diese Verachtung. Viele Menschen können sich mit ihm identifizieren, weil er das auslebt, was sie sich selbst möglicherweise wünschen.
DOMRADIO.DE: Wie weit würden die Evangelikalen gehen? Würden sie auch einen Gottesstaat unterstützen, wenn Trump das ausrufen wollte?
Pollack: Ich glaube, viele Evangelikale würden das tatsächlich befürworten. Manche von ihnen fordern, dass die Trennung von Staat und Kirche aufgehoben wird, obwohl sie in der US-Verfassung festgeschrieben ist. In den USA ist diese Trennung sogar strikter als in Deutschland, doch Evangelikale möchten, dass religiöse Führer politischen Einfluss nehmen können.
Das halte ich für eine große Gefahr, denn die moderne Demokratie lebt von der Trennung der Sphären – Religion, Politik, Wirtschaft, Wissenschaft. Wenn diese Trennung aufgehoben wird, stellt das die Grundlagen der Demokratie infrage.
DOMRADIO.DE: Könnte so etwas auch in Deutschland oder Westeuropa passieren? Ein "Heiliger Höcke" vielleicht?
Pollack: In Westeuropa und speziell in Deutschland fehlt die religiöse Leidenschaft für so etwas. Wenn jemand hier Ähnliches versuchen würde, wäre das lächerlich. In den USA dagegen sind über 80 Prozent der Menschen religiös und glauben an Gott.
Die Evangelikalen haben dort eine Massenbasis von etwa 20 Prozent der Bevölkerung. Solche Aussagen und das Streben nach einem "goldenen Zeitalter" haben dort eine andere Resonanz. In Europa sind wir säkularer und nüchterner.
DOMRADIO.DE: Wenn Sie auf die USA schauen – was erwarten Sie für die Zukunft? Gibt es Grenzen für diese Entwicklung?
Pollack: Ich denke, die Zahl der Evangelikalen wird eher nicht weiter zunehmen, denn es gibt eine Gegenbewegung. Viele Amerikaner lehnen die Vermischung von Religion und Politik ab und wenden sich deshalb von den Kirchen ab, gerade auch von besonders konservativen Form der Religiosität.
In den letzten 25 Jahren ist der Anteil der Konfessionslosen in den USA von unter 5 Prozent auf knapp 30 Prozent gestiegen. Wir sehen Tendenzen, die fast vergleichbar sind mit denen in Westeuropa.
Das Interview führte Johannes Schröer.