DOMRADIO.DE: Sind denn Studienabschlüsse oder Berufsabschlüsse vergleichbar in Deutschland und der Ukraine?
Pfarrer Thomas Schwartz (Geschäftsführer des Osteuropa-Hilfswerks Renovabis): Eindeutig ja. Die Ukraine ist ein Land, das eine sehr blühende Universitäts- und auch Berufsbildungslandschaft hat. Und in dieser breiten Ausbildungslandschaft ist es für viele Frauen und Männer wirklich gelungen, sehr gute Ausbildungsmöglichkeiten zu schaffen. Die Qualität ihrer Arbeit entspricht durchaus dem, was wir von Deutschland und auch vom Bologna-Prozess in ganz Europa kennen.
DOMRADIO.DE: Aber ein paar Unterschiede wird es wahrscheinlich trotzdem geben?
Schwartz: Na ja, gut, die gibt es aber auch innerhalb der Europäischen Union. Wir wissen ja auch, wie schwierig das mitunter ist, zwischen den Ländern der Europäischen Union solche Vergleichbarkeit aufzustellen.
Aber in einer solch dramatischen Situation, wie wir sie jetzt im Augenblick sehen, wo manche Dokumentationen von Studienabschlüssen bei einer Fluchtsituation nur ganz schwierig mitzunehmen sind, sollte man manches bürokratische Gehabe mal ein bißchen an die zweite Stelle rücken, meine ich. Ich werde mir nicht meinen Ordner mit meinen ganzen Zeugnissen mitnehmen, wenn bei mir nebendran eine Granate ins Haus schießt.
DOMRADIO.DE: Meinen Sie denn, dass das auch passieren wird in Deutschland? Oder denken Sie, die Behörden beharren eher auf ursrprüngliche Formalia.
Schwartz: Also zumindest muss man diese Forderungen stellen und das hat Renovabis ja jetzt auch in der letzten Woche und ich auch an verschiedener Stelle noch einmal wirklich getan. Wir fordern, dass es einen erleichterten Zugang gibt.
Wir können doch nicht in einer Situation, in der ja auch unser Arbeitsmarkt durchaus angespannt ist, hochqualifizierte Frauen - es sind ja namentlich meistens Frauen, die hierher kommen - einfach nur zu Putzfrauen degradieren.
Wenn wir von Solidarität sprechen in unserer Gesellschaft, dann muss das vielmehr auch eine Solidarität auf Augenhöhe sein: diesen Frauen entsprechend dem, was sie können, auch wirklich Möglichkeiten zu geben, einen Teil ihres Lebens wieder hier in die Hände zu nehmen, nachdem sie diese Lebensmöglichkeit daheim weggenommen bekommen haben.
DOMRADIO.DE: Wir reden ja auch von Schwierigkeiten, die gemeistert werden müssen. Aber es gibt ja, haben Sie auch gerade gesagt, auch Chancen, Ukrainer und Ukrainerinnen in den Arbeitsmarkt hier in Deutschland zu integrieren.
Schwartz: Wir sehen ja in verschiedensten Bereichen, sei es im Handwerk, sei es aber auch in verschiedenen anderen Bereichen, in der Pflege, in der Medizin, eine große Lücke in unserem Arbeitsmarkt, wo wir nicht mehr wissen, wie wir diese Arbeitsplätze auffüllen können.
Wir hoffen zwar, dass es eine vorübergehende Möglichkeit ist, denn die Menschen wollen ja zurück in die Ukraine, die wollen ja nicht bei uns auf Dauer bleiben. Aber dass da vorübergehend tatsächlich diesen Frauen und Familien eine Möglichkeit gegeben wird, sich einzubringen, ihr eigenes Leben selbst in die Hand zu nehmen, das hielte ich auch für unsere deutsche Wirtschaft für sehr hilfreich.
Natürlich gibt es Sprachbarrieren, aber Sprachkurse haben den Vorteil, dass sie Menschen zusammenbringen. Viele der hierher Gekommenen sprechen auch Englisch. Wir sind sowieso in einer Gesellschaft, in der Englisch sozusagen die zweite Muttersprache geworden ist. Von daher kann man da auch leicht das eine oder andere kompensieren.
DOMRADIO.DE: Renovabis hat ja schon seit Jahrzehnten mit Menschen in der Ukraine zu tun. Wie würden Sie denn den Ausbildungsstand und den Bildungsgrad in dem Land beschreiben?
Schwartz: Es ist natürlich ein bisschen unterschiedlich. Aber man muss einfach sagen, die Ukraine hat eine Bildungslandschaft, die ähnlich der deutschen gestaltet ist. Es gibt also eine Berufsausbildung, die mit Berufsfachschulen, teilweise sogar dualen Ausbildungsmöglichkeiten, gesegnet ist. Also, ähnlich wie das bei uns in Deutschland ist, was im Blick auf das Handwerk eine große Erleichterung darstellt.
Sie hat aber auch eine breite Hochschullandschaft. In der ist eine Gliederung ähnlich, wie es in der deutschen Hochschullandschaft ist, mit Fachhochschulen, Fachschulen, Colleges, aber auch mit Universitäten und Akademien. Die Menschen haben dort genauso Bachelor und Masterstudiengänge, die auch europäisch zertifiziert worden sind. Von daher halte ich die Möglichkeiten des Öffnens durchaus für gegeben.
Ein bisschen schwieriger ist es in den Zonen, die in den letzten zehn Jahren von Russland schon mit Krieg überzogen worden sind, das heißt im Donbass und in dieser Kontaktlinie im Osten. Da war natürlich vieles an schulische Ausbildung und Hochschulausbildung sehr viel schwieriger zu gestalten. Da muss man einfach auch nachqualifizieren. Aber das tut man in Deutschland mitunter auch.
Das Interview führte Florian Helbig.