KNA: Herr Schwartz, Sie arbeiten mit vielen Menschen in der Ukraine zusammen. Wie geht es den Menschen dort? Wie ist die aktuelle Lage?
Pfr. Prof. Dr. Thomas Schwartz (Hauptgeschäftsführer Renovabis): Was mich erstaunt hat, war die Ruhe, mit der die Menschen, mit denen wir in Kontakt stehen, dort gesprochen haben. Etliche sagten, dass sie den Krieg seit langem gewohnt seien. Unfassbar für sie war aber, dass das äußerste Szenario eingetreten ist und an allen Fronten die russischen Truppen einmarschieren.
Viele sind schon raus aus den Städten und nach Westen unterwegs. Zum Beispiel ein griechisch-katholischer Priester, der mit seiner Familie gerade auf der Flucht in sein Heimatbistum ist. Aber noch einmal, diese Ruhe dabei, das hat mich sehr beeindruckt, aber irgendwo auch fassungslos werden lassen, wie gefasst die Menschen an die Aufgaben rangehen, die jetzt anstehen.
KNA: Sie arbeiten vor Ort vor allem mit der Caritas zusammen. Vor welchen Aufgaben stehen die Hilfsorganisationen gerade?
Schwartz: Die Caritas versucht jetzt zunächst einmal, ihre Mitarbeiter in Sicherheit und zu ihren Familien zu bringen. Die Versorgungslage ist noch unklar. Wir haben aber schon Anfragen beispielsweise aus Moldawien erhalten, da stehen Menschen an der Grenze, die mit Hygieneartikeln und Nahrungsmitteln versorgt werden müssen.
In der Ukraine haben wir schon Gelder freigegeben für Geländewagen, mit denen mobile Küchen aufgebaut werden können. Die sollen dort eingesetzt werden, wo die Caritas sie braucht, um Flüchtlinge schnell versorgen zu können. Insgesamt ist jetzt das Wichtigste, dass wir uns mit allen unseren Partnern gut absprechen und koordinieren, damit die Hilfe dort ankommt, wo sie gebraucht wird.
KNA: Nun hat Renovabis schon lange Verbindungen in die Ukraine. Hat es Sie überrascht, dass Russland die Ukraine nun angegriffen hat?
Schwartz: Ich habe das so schnell, so dramatisch nicht erwartet. Und ich glaube, wir müssen uns darauf einrichten, dass das nicht in einer Woche vorbei ist. Wir müssen an Flüchtlingsströme denken. Wir brauchen eine Willkommenskultur der Herzen und der Nächstenliebe.
Es muss klar sein: Die, die jetzt zu uns kommen, kommen, weil sie sich und ihre Familien vor dem Krieg schützen möchten. Wir haben gerade eine große Solidaritätswelle in Deutschland und mir ist es wichtig, dass die Menschen diese Solidarität auch behalten.
KNA: Renovabis hat in Osteuropa schon immer ökumenisch gearbeitet. Das schließt ja beispielsweise auch die orthodoxen Kirchen, auch Moskau mit ein. Wie stellt sich das im Moment für Sie dar?
Schwartz: Ich bin persönlich sehr enttäuscht gewesen von den Äußerungen beziehungsweise dem Schweigen des russischen Patriarchen. Er hat nichts zu den Angriffen auf die Ukraine gesagt, außer, dass es möglichst wenige zivile Opfer geben möge. Das finde ich sehr traurig.
Ich habe aber auch mit einigen russisch-orthodoxen Christen sprechen können, die Fassungslosigkeit und Scham für die Situation empfinden und die von den Ereignissen erschüttert waren.
Dann sehe ich die Initiative des Papstes, der - krank wie er ist - zum russischen Botschafter pilgert. Das hat es ja auch noch nie gegeben, diese Geste finde ich unglaublich.
KNA: Apropos Papst und Vatikan. Wie bewerten Sie die Diplomatie des Heiligen Stuhls? Manche Beobachter nehmen die Haltung als eher zurückhaltend wahr.
Schwartz: Das Problem ist: Laut sind jetzt all jene, die vorher alle leise waren. Und es muss noch irgendwo einen Kanal geben, der leise und hintergründig arbeiten kann. Damit, wenn es Chancen auf einen Waffenstillstand gibt, wenn es Chancen gibt, möglichst viele Leben zu retten, dass diese auch genutzt werden können.
Irgendeinen Gesprächskanal braucht es. Und ich sehe, dass das, was der Papst, der Heilige Stuhl macht, genau in diese Richtung geht: Kanäle für die Menschlichkeit offenzuhalten. Das ist Friedenspolitik in einer friedlosen Zeit. Wenn wir jetzt auch noch anfangen würden, in die Posaune der anderen zu blasen, wie sollen wir dann noch erwarten, dass wir gehört werden?
Das Interview führte Severina Bartonitschek.