DOMRADIO.DE: Die Pfingstaktion wird am Sonntag im Dom zu Münster feierlich eröffnet. Dass Sie das Thema Frieden ausgewählt haben, ist naheliegend. Denn seit über zwei Jahren herrscht Krieg in der Ukraine. Wie hilft Renovabis da?
Prof. Dr. Thomas Schwartz (Hauptgeschäftsführer von Renovabis): Wir sind in ganz vielen verschiedenen Bereichen in der Ukraine, aber auch in den Nachbarländern der Ukraine aktiv. Am Anfang haben wir bei der konkreten Kriegsnot helfen müssen, damit der Ausbau der humanitären Hilfe und die Errichtung von Luftschutzkellern finanziert werden konnten.
Mittlerweile ist der Krieg tatsächlich – und das ist etwas Schreckliches – in seine nächste Phase übergegangen. Man gewöhnt sich an diese Brutalität des täglichen Bombardements. Wir müssen heutzutage eher dafür sorgen, dass immer mehr Menschen, die von diesem kriegerischen Konflikt traumatisiert sind, Rehabilitationsmaßnahmen, psychosoziale Betreuung, aber auch geistliche Betreuung in den vielen Einrichtungen bekommen, die die Kirche in der Ukraine und in den Nachbarländern unterhält. Da versuchen wir mit unseren Möglichkeiten einen Beitrag zu leisten.
DOMRADIO.DE: Es gibt immer wieder Diskussionen darüber, ob sich die Ukraine nicht ergeben sollte, um weiteres Blutvergießen zu verhindern, da dieser Krieg nicht zu gewinnen ist, so die Ansicht einiger. Zuletzt forderte auch Papst Franziskus etwas Ähnliches, als er sagte, die Ukraine solle die weiße Fahne hissen und mit Russland verhandeln. Wie sehen Sie das?
Schwartz: Ich würde das immer den Ukrainern selber überlassen. Ich habe bei meinem letzten Besuch in der Ukraine eine 24-jährige Kriegerwitwe getroffen, mit ihrem kleinen Sohn auf dem Schoss, der seinen Vater gar nicht kennenlernen konnte, weil der schon sehr früh gefallen ist. Sie sagte, sein Papa ist für diesen kleinen Oleksander gestorben, damit er in Freiheit und Gerechtigkeit leben kann, damit er eine Zukunft hat, ohne Sklave einer Diktatur zu werden. Das hat mich bezüglich unserer Vorstellungen beschämt.
Niemand möchte von uns gerne jeden Tag diese schrecklichen Bilder des Kriegs in der Ukraine im Fernsehen sehen. Das belastet uns auch. Doch es hat mal wieder deutlich gemacht, dass die Menschen dort in Demokratie und Freiheit leben wollen. Es steht uns nicht gut an, uns über diese Menschen zu erheben.
Natürlich ist jedes Opfer des Krieges eines zu viel. Jeder würde sich wünschen, Verhandlungen führen zu können. Ein Friede muss irgendwann kommen. Aber er muss kommen, wenn die Menschen das Gefühl haben, dass mit ihnen auch in echter Weise verhandelt wird und es nicht zu einem Diktat-Frieden wird.
DOMRADIO.DE: In vielen anderen ihrer Partnerländer im Osten Europas herrscht ebenfalls kein stabiler Frieden, zum Beispiel in Moldau, Serbien, Kosovo. Ist das manchmal entmutigend, immer wieder zu Frieden aufzurufen und daran zu arbeiten?
Schwartz: Das könnte man auf den ersten Blick meinen. Andererseits ist Renovabis von seiner Gründung her ein Ermutigungswerk. Ein Werk, das im Grunde zunächst einmal immer die Zukunft in den Blick nimmt. Für uns Christen ist Zukunft immer mit der Hoffnung auf Frieden verbunden. Wir glauben an einen Friedensfürsten. Wir glauben an eine Möglichkeit, dass Menschen in Frieden zusammenleben können.
Wir haben in den letzten 30 Jahren unseres Bestehens immer unglaublich viele Initiativen zu unterstützen versucht, bei denen dieses friedliche Miteinander auf der Basis unserer christlichen Wertvorstellungen auch wirklich entwickelt werden sollte. Ein Christ, der die Hoffnung auf Frieden nicht mehr hätte, der verliert letztlich auch seinen Glauben in Gott. Deswegen kann jemand, der glaubt, nicht ohne die Hoffnung auf Frieden leben.
DOMRADIO.DE: Wie versuchen Ihre Projektpartner zu einem Frieden beizutragen?
Schwartz: Das tun sie auf verschiedenste Weise. Das Wichtigste ist die Fähigkeit zum Dialog. Wir haben in Bosnien-Herzegowina beispielsweise schon seit Jahrzehnten das Projekt der Friedensschulen Europas unterstützt, wo Kinder aus unterschiedlichen Ethnien und unterschiedlichen nationalen Kontexten, wie Serben, Bosniaken und auch katholische Kroaten in einer Schule zusammenkommen und lernen sollen, dass wir trotz mancher Unterschiede friedlich miteinander unsere Zukunft bauen können.
Wir versuchen Versöhnungsarbeit zu leisten, indem wir Camps unterstützen, wo gerade traumatisierte Jugendliche aus verschiedensten Bereichen zusammenkommen und sprechen können. Wir versuchen auch einen Gesprächs-Korridor zwischen manchen, die sonst nicht reden würden, möglich zu machen.
Über manches darf ich gar nicht reden, denn dann würde diese Möglichkeit eines geschützten Gesprächs eher konterkariert werden. Aber Renovabis ist da mitten drin in Debatten und in der Kommunikation mit Blick auf den Frieden.
DOMRADIO.DE: Der zweite Teil Ihres Leitwortes lautet: "Du machst den Unterschied". Ein Appell an jeden Einzelnen?
Schwartz: Jeder Einzelne hat in seinem Leben auch Konflikte und Spannungen. Wir müssen es schaffen, in unserem Leben für Ordnung zu sorgen. Denn das ist die Bedeutung des Wortes Schalom. Frieden ist nicht nur das Schweigen von Waffen. Vielmehr bedeutet es auch, alles in eine gute Ordnung zu bringen, in die Ordnung, die Gott sich für die Menschen vor aller Schöpfung ausgedacht hat. Wenn wir es nicht schaffen, in unserem eigenen Leben eine Ordnung zu erwirken, können wir auch nicht die Ordnung für die Welt schaffen.
Deswegen ist jeder Einzelne aufgerufen, im eigenen Leben seinen Beitrag zu leisten, aber auch mit eigenem Engagement wie beispielsweise mit Spenden zu helfen, dass Friedensinitiativen unterstützt werden. Außerdem ist das ein Appell an alle Führer der Kirchen und der Staaten, dass sie selber einen Unterschied machen können.
Letztlich ist in dieser Unterschrift "Du machst den Unterschied" auch ein Hinweis darauf, dass wir ohne Gottes Beistand, ohne den, der zu uns "Du" sagt, zu dem auch wir im Vaterunser "Du" sagen dürfen, letztlich nicht zu einem Frieden kommen werden.
Das Interview führte Tobias Fricke.