Rheinische Martinsbräuche sollen Weltkulturerbe werden

Laterne, Gänsebraten und Weckmann

In vielen Regionen Deutschlands ist bis heute Martinsbrauchtum verbreitet: Martinszüge mit Pferd und Laternen, Verteilung von Süßigkeiten, Gänsebraten. Zwei Niederrheiner wollen nun den Eintrag als UNESCO-Kulturerbe.

Autor/in:
Alexander Brüggemann
Laternen im Martinszug / © Jörg Loeffke (KNA)
Laternen im Martinszug / © Jörg Loeffke ( KNA )

Eigentlich schlägt ja die Stunde des Sankt Martin nicht im Hochsommer, sondern im Herbst: Mitte November, wenn das Licht weniger wird und allerlei Lichterbrauchtum schon den Weg Richtung Weihnachten weist. Doch für die Niederrheiner Jeya Caniceus (51) und Rene Bongartz (48) ist dieser Sommer besonders wichtig:

Antrag auf Immaterielles Kulturerbe

Bis 30.Oktober wollen sie für das Martinsbrauchtum zwischen Rhein und Maas bei der Weltkulturorganisation Unesco den Status als Immaterielles Kulturerbe beantragen. Dafür suchen sie derzeit eifrig Kontakt zu vielen rheinischen Martinsvereinen und -komitees. Am 15. September findet in Brüggen-Bracht ein großes Treffen statt.

Caniceus aus Kempen und Bongartz aus Brüggen sind schon seit Jahrzehnten in Sachen Martin unterwegs. Die Idee zum Eintrag als schützenwertes Welterbe hatte der gebürtige Tamile Caniceus bereits 2013 - doch damals war die Zeit bis zum Ablauf der Frist einfach zu kurz. Sein Anstoß war, den Brauch des christlichen Teilens besser gegen eine Verweltlichung als bloßes "Laternenfest" und gegen das Aufkommen des irisch-amerikanischen Halloween zu profilieren.

Weltweit fördert die Unesco seit 2003 - zusätzlich zum materiellen Erbe wie Baudenkmälern - den Erhalt von Alltagskulturen und lebendigen Traditionen, Wissen und Fertigkeiten. Inzwischen sind der entsprechenden UN-Konvention mehr als 170 Staaten beigetreten. Deutschland ist erst seit 2013 dabei.

Pflege des Brauchtums

Geldzuwendungen wie Fördergelder sind mit dem Welterbetitel zwar nicht verbunden, wie Rene Bongartz berichtet. Doch die beiden hoffen, dass mit dem UN-Status Wertschätzung und Pflege des Brauchtums wachsen, dass Menschen für die Martinstüten der Kinder oder für Weckmänner spenden oder dass Kommunen nicht länger Kosten für die Polizeibegleitung von Martinszügen an die Vereine weiterreichen.

Für einen Erfolg des Unesco-Antrags müssen die rheinischen Bräuche möglichst gut dokumentiert sein: in seinen Hauptsträngen - reitender Martin, Fackelzug, Verteilung von Weckmann und Süßigkeiten - wie auch in regionalen Abweichungen. Auch dazu dient das Treffen Mitte September. Know-how ist bereits reichlich an Bord: Referieren werden der promovierte Martinsforscher Martin Happ aus Hürth und Maria Harnack, NRW-Beauftragte für immaterielles Kulturerbe von der Uni Paderborn. Ein wissenschaftliches Gutachten steuert der renommierte Volkskundler und Theologe Manfred Becker-Huberti bei.

Und natürlich kennt auch Rene Bongartz seine Martinsbräuche aus dem Effeff. Es entstand, so berichtet er, in seinen heutigen Formen etwa vor 120 Jahren - um einigem Wildwuchs am Martinstag Herr zu werden.

Martin von Tours

Denn der Namenstag Martins von Tours (316-397), der 11. November, war traditioneller Pacht- und Zahltag, also der Tag, an dem viel in Naturalien gezahlt und auch geschlachtet wurde. Gänse und frische Wurst waren im Umlauf - ein Grund, warum Landarbeiter und Kinder am Ende des bäuerlichen Wirtschaftsjahres um die Häuser zogen, sangen und mit Naturalien belohnt wurden.

Martinszug / © Harald Oppitz (KNA)
Martinszug / © Harald Oppitz ( KNA )

Zudem war der 11.11. - heute Vorbote der nächsten Karnevalssession - in einigen Regionen auch Vorabend der 40-tägigen vorweihnachtlichen Fastenzeit ("Martinsquadragese"), an dem man noch mal ordentlich hinlangte, so wie heute vor Aschermittwoch. Der Martinsabend mit seinen Martinsfeuern war also ein sehr ausgelassenes Fest.

Entsprechend sorglos-undiszipliniert konnte die Dorfjugend agieren, erst recht, wenn sie sich nicht ausreichend bedacht fühlte.

Zum Ende des 19. Jahrhunderts sollte mehr (preußische) "Zucht und Ordnung" herrschen, so Bongartz - und so wurde das Brauchtum des Holens und Sich-Organisierens kanalisiert in eines des Gebens und Zuteilens. Ein reitender Martin, eine fromme Autoritätsperson also, ging einem ordentlichen Fackelzug voran. An einem zentralen Feuer - statt vieler kleiner unbeaufsichtigter - verteilte Sankt Martin an alle Kinder Süßigkeiten: einen Weckmann und/oder eine Martinstüte.

Bis heute ist in manchen Regionen das "Singen", "Heischen", "Gripschen" oder "Kötten" von Tür zu Tür verpönt - während es anderswo fest zum Martinsabend dazugehört.

Sankt Martin, Bischof von Tours

Die nach dem heiligen Martin von Tours benannten Umzüge rund um den 11. November erinnern an die Legende, nach der Martin seinen Mantel mit einem frierenden Bettler teilte. Martin wurde wohl 316/17 in der Stadt Sabaria geboren, dem im heutigen Ungarn gelegenen Szombathely (Steinamanger). Der Sohn eines römischen Tribuns trat auf Wunsch seines Vaters in die Armee ein. Nach seiner Bekehrung ließ sich Martin mit 18 Jahren taufen, quittierte den Militärdienst und wurde Eremit.

Sankt Martin / © jorisvo (shutterstock)
Quelle:
KNA