DOMRADIO.DE: Wie ist der erste Eindruck nach der Pressekonferenz?
Ingo Brüggenjürgen (Chefredakteur DOMRADIO.DE): Es ist gut über die Bühne gegangen. Kardinal Woelki hat versprochen und er hat auch geliefert, Klarheit und Wahrheit. Darum muss es gehen. Er war in den vergangenen Monaten immer wieder in den Schlagzeilen und hat deshalb auch deutlich gemacht, dass er diesen Tag herbeigesehnt hat - aber auf der anderen Seite auch befürchtet.
Deshalb das wichtigste Ergebnis erst einmal vorweg: Es gibt nach dem neuen Gutachten keine Pflichtverletzungen des Kölner Erzbischofs, jedenfalls nicht anhand der Aktenlage. Was hier heute vorgelegt worden ist, von der Kanzlei Gercke und Partner ist eine Auswertung rein aufgrund der Aktenlage. Es wurden also keine intensiven Nachforschungen betrieben, sondern man hat nur die Akten ausgewertet.
DOMRADIO.DE: Entlastung also für Kardinal Woelki, aber andere werden sehr wohl belastet.
Brüggenjürgen: Ja. Die Anwälte haben sich aufgrund der Aktenlage fünf Fragen gestellt. Fragen zur Aufklärungspflicht, Informationspflicht, Sanktionierungen von entsprechenden Taten, Verhinderungspflicht und die Opferfürsorge. Diese fünf Themenkomplexe hat man als Grundlage genommen für die entsprechenden Akten, die man dann untersucht hat. Und dann hat man mit einem Ampelsystem gearbeitet: rot, gelb und grün. Grün, wenn die Akten sauber geführt wurden, wenn es keine Verdachtsfälle, keine Pflichtverletzung gab. Gelb, wenn man sich unsicher war - und in 24 Aktenfällen leuchtete die Ampel rot. Insgesamt gab es 75 Pflichtverletzungen. Da wird es jetzt spannend, denn die hat man natürlich, wie das der Kardinal versprochen hat, entsprechenden Verantwortungsträgern im Erzbistum zugeordnet.
Man hat Ross und Reiter genannt, so wie der Kölner Erzbischof das versprochen hat. Das betrifft acht Pflichtverletzungen bei seinem Vorgänger Kardinal Höffner, bei Kardinal Meisner über 20 Pflichtverletzungen. Beim ehemaligen langjährigen Generalvikar Prälat Norbert Feldhoff waren es 13 Pflichtverletzungen, bei Weihbischof Schwaderlapp acht Pflichtverletzungen und beim jetzigen Erzbischof von Hamburg, Stefan Heße, sind es elf Pflichtverletzungen. Und dann gibt es auch nochmal zwei Pflichtverletzungen vom amtierenden Offizial, das ist der Vorsteher des Kirchengerichts, Günter Assenmacher.
DOMRADIO.DE: Da sind einige Verstorbene betroffen, aber eben auch Würdenträger, die noch im Amt sind. Und jetzt hat Kardinal Woelki erste Konsequenzen gezogen.
Brüggenjürgen: Das hat er gemacht, das hat er auch im Vorfeld angekündigt. Man kann nicht nur reden, sondern man muss auch konsequent handeln. Und deshalb hat er noch bei der Pressekonferenz, nachdem er das Gutachten in Empfang genommen hat, Weihbischof Schwaderlapp und den Offizial des Erzbistums Günter Assenmacher von ihren Aufgaben vorläufig entbunden. Weihbischof Schwaderlapp hat inzwischen auch dem Papst seinen Rücktritt angeboten.
Woelki hat angekündigt, das Gutachten gehe noch heute nach Rom, so dass auch dort die entsprechenden Konsequenzen zu ziehen sind. Das betrifft dann auch den Hamburger Erzbischof Heße. Nun muss man abwarten. Kardinal Woelki hat ja auch gesagt, diese 800 Seiten müssen jetzt erstmal in Ruhe ausgewertet und gelesen werden. Und dann wird man über die endgültigen Konsequenzen beraten. Das soll uns dann am kommenden Dienstag in einer weiteren Pressekonferenz bekannt gemacht werden.
DOMRADIO.DE: Inwieweit hat das Leid der Betroffenen die angemessene Erwähnung gefunden?
Brüggenjürgen: Ja, das war ja die Hauptmotivation. Und man fragt sich ja vielfach, warum hat denn der Kardinal in den vergangenen Monaten alles auf sich genommen? Er hat immer wieder gesagt, "mir geht es in erster Linie um die Betroffenen". Und das wurde auch deutlich heute. Dem Vertreter des Betroffenenbeirats im Erzbistum Köln wurde direkt nach dem Kardinal auch das Gutachten überreicht. Der Kardinal hat sich direkt nach der Pressekonferenz mit den Vertretern der Anwaltskanzlei in einen separaten Sitzungsraum begeben, wo auch der Betroffenenbeirat dabei war. Also die Interessen der Betroffenen hat man hier in den Mittelpunkt gestellt.
Das Interview führte Hilde Regeniter.