DOMRADIO.DE: AfD-Vertreter haben auf einem konspirativen Treffen mit Rechtsextremisten über die Vertreibung von Millionen Menschen aus Deutschland schwadroniert. Wie gefährdet sehen Sie unsere Demokratie?
Tobias Bilz (evangelischer Landesbischof von Sachsen): Ich denke, dass die Demokratie nach diesen Treffen nicht gefährdeter ist, als sie vorher schon war. Ich nehme aber deutlich wahr, dass jetzt Absichten deutlicher ans Licht kommen, die offensichtlich unter denen, die bei diesem Treffen dabei waren, ohnehin da waren. Insofern war meine erste Reaktion: Es ist gut, dass rauskommt, was drinsteckt.
DOMRADIO.DE: Der sächsische Verfassungsschutz hat die AfD in ihrem Bundesland als "gesichert rechtsextremistisch" eingestuft. Trotzdem liegt die AfD in Sachsen – Stand heute – bei 34 Prozent. Haben Sie eine Erklärung?
Bilz: Wahrscheinlich haben viele, die die AfD wählen, ganz viele verschiedene Gründe. Aber wenn sich das so potenziert, muss man nach den Grundströmungen fragen, die möglicherweise dahinter liegen. In meinen Augen liegen im Moment zwei weit vorn: Zum einen unterschätzen viele das, was die AfD ausmacht. Dass wir über viele Jahre hinweg – beispielsweise auch bei Personalwechsel – eine Verschiebung nach rechts hatten, haben meines Erachtens viele Leuten nicht wirklich wahrgenommen.
Das zweite: Menschen sind mit Zukunftsängsten unterwegs. Die Veränderungen, die wir zurzeit haben – die Konflikte und Herausforderungen sind allen bekannt – verunsichern Menschen. Es scheint für manche attraktiv, wenn dann ein Angebot kommt, das ihnen sagt, es könnte vielleicht so bleiben, wie es ist. Sie hoffen vielleicht, zu einen Zustand zurückkommen, den sie gerade verloren haben oder verlieren.
DOMRADIO.DE: Wenn Sie sich vorstellen, die AfD könnte in Ihrem Bundesland tatsächlich in politische Verantwortung kommen, was macht das mit Ihnen?
Bilz: Zunächst einmal bleibe ich optimistisch und hoffnungsvoll. So weit sind wir noch nicht. Das ist aber keine beruhigende Meinung; denn wir rücken immer näher an dieses Szenario heran.
Wichtig ist in solchen Situationen, dass wir nicht die Menschen, die mit Zukunftsängsten unterwegs sind, verurteilen. Sondern wir müssen mit ihnen in einen breiten Dialog eintreten, um herauszufinden, was die wirklichen Probleme sind und wie wir sie lösen können. Was ich mir vor allem wünsche ist, dass wir an die Gestaltungskraft der Menschen appellieren. Dass wir also davon wegkommen zu sagen, durch Wechsel von Regierungen oder vielleicht sogar von Systemen können wir selbst in Passivität verharren. Hier haben wir eine kleine "Reserve", in unserem Land aktiv zu sein und die Gesellschaft mitzugestalten.
DOMRADIO.DE: Kirchenleute beziehen normalerweise aus gutem Grund nicht parteipolitisch Stellung. Würden Sie dennoch vor der AfD warnen, die ja "gesichert rechtsextremistisch" ist?
Bilz: Ich denke tatsächlich darüber nach und spreche mit vielen darüber. Und ich höre immer wieder, dass die Leute es nicht schätzen, wenn man sie belehrt, wen sie zu wählen haben und wen nicht. Das ist ja auch richtig. Menschen üben dieses Recht der geheimen Wahl mit ihren Einstellungen und Haltungen aus. Das heißt, ich bin sehr zurückhaltend damit, eine parteipolitische Wahlempfehlung zu geben. Ich äußere mich aber persönlich; dann kann schon mal ein Satz dabei sein, der so klingt: "Ich rate davon ab, die AfD zu wählen!"
DOMRADIO.DE: Geht das in Ihren Augen überhaupt zusammen? Christ sein, Christin sein und gleichzeitig in der AfD sein?
Bilz: Ich denke, christlicher Glaube und Rechtsextremismus gehen nicht zusammen. Das möchte ich sehr prinzipiell sagen. Warum? Weil der christliche Glaube eine universale Dimension hat. Das heißt, unabhängig davon, in welchem Land Menschen leben, welches Geschlecht sie haben oder welche Hautfarbe oder welchem Glauben sie anhängen, muss die Menschenwürde aufrechterhalten werden; die von Gott gegebene Menschenwürde, wie wir als Christen sagen.
Da gibt es keine Abstufungen oder Abgrenzungen. Das ist ein ganz zentraler Punkt. Da sind rechtsextreme Positionen mit dem christlichen Glauben nicht zu vereinbaren. Man muss schon ernst nehmen, dass der sächsische Verfassungsschutz die AfD als rechtsextremistische Partei bezeichnet.
DOMRADIO.DE: An der Forderung, die AfD zu verbieten, scheiden sich die Geister. Der ehemalige Ostbeauftragte der Bundesregierung, der sächsische CDU-Mann Marco Wanderwitz, befürwortet zum Beispiel ein solches Verbot. Sein Nachfolger, Carsten Schneider von der SPD, lehnt ein Verbot ab. Wie ist Ihre Einschätzung?
Bilz: Ich bin in der Tat unentschlossen. Ein solches Verbot würde ein starkes Signal setzen, nämlich ein Signal der Demokratie gegen die Kräfte, die die Demokratie überwinden oder abschaffen wollen. Solche Signale sind von Zeit zu Zeit notwendig. Auf der anderen Seite steht für mich, dass man mit Verboten Haltungen nicht verändert. Wenn sehr viele Menschen zurzeit sagen, wir können eine rechtsextreme Partei wählen, werde ich durch ein Verbot dieser Partei die Haltung nicht verändern. Das heißt, das, was dort gedacht, empfunden und gewollt wird, wird sich andere Wege suchen. Insofern kann man für beides Position beziehen. Vielleicht müssen wir noch ein wenig abwarten und schauen, wie sich die Dinge weiterentwickeln.
DOMRADIO.DE: Gegner eines AfD-Verbots sagen, das würde alles schlimmer machen und schädliche Haltungen noch verstärken; wir müssten die AfD dagegen "inhaltlich stellen", ihre wahren Absichten offenlegen. Wie könnte ein solches "inhaltlich Stellen" denn aussehen?
Bilz: Viele denken, beim "inhaltlichen Stellen" einer Partei schaut man am besten auf die Parteiprogramme. Da ist absolut etwas dran. Und viele werden sich wundern, was im Parteiprogramm der AfD steht, durchaus im Gegensatz zu dem, was sich potentielle Wähler eigentlich von ihr erhoffen.
Wir wissen aber auch, dass Parteiprogramme strategisch geschrieben und aufgesetzt werden. Dort wird man nicht immer erfahren, was tatsächlich gedacht und gewollt wird. Deswegen ist es für mich genauso wichtig zu schauen: Was äußern Vertreter und Vertreterinnen einer Partei? Was sagen sie auf bestimmten Veranstaltungen? Was kommt ans Tageslicht, wenn die Mikrofone ausgeschaltet sind?
Es ist auch immer interessant, was diejenigen sagen, die eine Partei verlassen haben, weil sie dort Dinge wahrgenommen haben, die sie nicht mehr vertreten konnten. Wir brauchen also beides: eine inhaltliche Befassung, aber auch eine Befassung mit den Personen und dem Geist, von dem eine Partei geprägt ist.
DOMRADIO.DE: Sie sehen im Wahljahr die Zivilgesellschaft gefordert. Wo sehen Sie da die Kirchen, gerade auch im Osten Deutschlands?
Bilz: Auch hier etwas Doppeltes, das möglicherweise gegensätzlich wirkt: Zum einen haben die Kirchen so etwas wie einen prophetischen Auftrag. Das hat es auch in den letzten Jahren der DDR gegeben: Dinge offen auszusprechen, die unangenehm sind oder die die Menschen nicht so gern hören und zu warnen vor Entwicklungen, die man sieht.
Das zweite, was ich im Moment noch etwas stärker sehe, ist, dass Menschen Ermutigung brauchen und dass Hoffnung gestiftet werden muss. Das heißt, wenn das Hauptproblem die Zukunftsangst ist, begegnen wir dieser Zukunftsangst nicht, indem wir eine neue Angst aufstellen, etwa die Angst vor Rechtsextremismus.
Sondern wir müssen die Menschen ermutigen, mit ihren Mitteln und Möglichkeiten selbst aktiv zu werden und sich in der Gesellschaft einzubringen, ausgehend von einer starken Demokratie, die wir gern erhalten wollen. Ich habe gerade in diesen Tagen mit einem Hauptberuflichen unserer Landeskirche gesprochen. Er ist angefragt worden, ob er bei der Kommunalwahl zum Stadtrat kandidieren möchte. Er hat mich um Rat gefragt und wir hatten ein ganz interessantes Gespräch zum Thema "Kirche und Staat". Es ging auch darum, inwiefern wir Teil der Gesellschaft sind, gleichzeitig aber auch Teil einer Glaubenswelt oder des Reiches Gottes sein müssen.
Wir sind uns im Gespräch einig geworden zu sagen, wenn wir Salz der Erde und Licht der Welt sind, sind wir mittendrin dabei. Ich habe ihn am Ende sehr ermutigt, diese Kandidatur wahrzunehmen und sich dort zur Wahl zu stellen.
Ich möchte jetzt in dieser Zeit vor allem bestärken, dass die Menschen sagen, sie engagieren sich, bringen Hoffnung und Kraft mit." Und – das sei mir als Bischof gestattet zu sagen – auch Gottvertrauen.
Das heißt, wir glauben daran, dass Gott uns in diese herausfordernde Situation hineingeführt hat, um uns stark zu machen und um mit uns durch diese schwierigen Zeiten zu gehen.
DOMRADIO.DE: Wie ist das in Ihrem Alltag als Landesbischof und Seelsorger? Führen Sie oft Gespräche über Rechtsextremismus und den Umgang mit der AfD?
Bilz: Ich bin auf vielfältige Weise im Land unterwegs, zu Besprechungen und zu Treffen mit verschiedenen Personengruppen. Und immer wieder ist das alles Thema.
Ich merke, dass mit großer Ernsthaftigkeit auch Ursachenforschung betrieben wird: Warum ist es unter uns so, wie es ist? Warum ist die Stimmung so, wie sie ist? Wie kommt es, dass unter den Menschen die negativen Entwicklungen unserer Zeit so verstärkt werden. Warum werden die positiven Ansätze vergessen oder die Werte, die wir haben, mit denen wir hier in diesem Land gesegnet sind? Ich weiß es nicht genau. Ich denke, man vergisst auch manchmal, was man hat; ich möchte aber Dankbarkeit fördern.
Wenn wir im Umgang mit der aktuellen Situation eine Balance zwischen Herausforderung und Dankbarkeit hinbekommen, können wir wahrscheinlich besser miteinander herausfinden, was jetzt zu tun ist. Ich wünsche mir also, dass wir nicht immer tiefer in die Verängstigung hineinkommen.
DOMRADIO.DE: Die Landeskirche plant im Wahljahr konkrete Aktionen. Können Sie da schon mehr sagen?
Bilz: Bei uns in Sachsen stehen in diesem Jahr drei Wahlen an: im Sommer die Europawahl und die Kommunalwahl. Nach der Sommerpause kommt dann die Landtagswahl. Wir überlegen längst ökumenisch miteinander, wie wir mit Veranstaltungen, mit Veröffentlichungen und auch einer Onlinepräsenz durch diese Monate kommen. Wahrscheinlich werden wir zu Beginn der Fastenzeit eine mediale Eröffnung unserer Aktivitäten haben. Eine Gruppe arbeitet gerade an Texten und Inhalten, da ist viel in Bewegung. Inhaltlich wird es in die Richtung gehen, die ich in diesem Gespräch skizziert habe.
DOMRADIO.DE: Manche sagen ja:, wir dürften gar nicht so viel über die AfD reden, das mache sie nur noch stärker. Ist da etwas dran?
Bilz: Ja, unbedingt. Ganz ehrlich, auch bei Ihren Fragen habe ich gedacht, dass sie sehr auf die AfD fokussiert sind. Ich stelle mich dem gern, habe aber auch gedacht, ich würde gerne mal über etwas anderes sprechen. Die AfD profitiert ja davon, dass über sie gesprochen wird und sie selbst gar nicht sprechen muss. Also muss sie sich nicht interessant machen, sie muss nicht durch eigene Aktivitäten und Überzeugungskraft punkten. Sie wartet einfach ab, lässt das geschehen, was über sie gesagt wird. Insofern ist es ganz gewiss auch wichtig zu sagen: Wir schauen einen Moment mal auf die anderen Bereiche und reden auch über das, was unsere Gesellschaft positiv ausmacht.
DOMRADIO.DE: Sie haben das Gottvertrauen erwähnt. Was für eine Hoffnung haben Sie jetzt in diesem Wahljahr?
Bilz: Hoffnung ist einer von den drei zentralen Begriffen des christlichen Glaubens: Glaube, Liebe, Hoffnung.
Die Hoffnung ist ein Geschenk, eine Gabe und eine Wirkung des Heiligen Geistes. Und die Hoffnung ist eine konkrete Zuversicht im Blick auf das Kommende.
Ich würde von mir selbst sagen, dass ich ein Mensch bin, der relativ wenig Zukunftsängste hat. Das hat mit meinem persönlichen Glauben zu tun, ich habe viel erlebt. Ich bin in der sozialistischen DDR-Diktatur großgeworden und ich bin dort auch gewachsen als Mensch, als Persönlichkeit.
Mein Glaube ist gewachsen und ich habe keine Angst oder Scheu vor den Dingen, die kommen werden oder kommen könnten. Wie gesagt, man muss auch sachlich bleiben: Wir werden mit Gottes Hilfe die Herausforderung annehmen und bewältigen.
Das Gespräch führte Hilde Regeniter