DOMRADIO.DE: Die Freude, dass es endlich wieder losgeht, ist vermutlich riesig, nicht nur bei Ihnen, sondern auch bei den Schaustellern, oder?
Sascha Ellinghaus (Leiter der katholischen Circus- und Schaustellerseelsorge in Deutschland): Die Freude ist natürlich groß, dass man im Moment die Perspektive hat, wieder in ein relativ normales Jahr starten zu können. Viele Städte ermöglichen es, dass die Reise aufgenommen wird, dass die normalen Volksfeste, Kirmessen wieder stattfinden können. Das macht den Schaustellern nach zwei Jahren des Stillstandes natürlich Hoffnung auf ein wiederkehrendes normales Jahr, auf eine gute Zukunft.
DOMRADIO.DE: Viele Schausteller kämpfen finanziell ums Überleben. Wie sehr waren Sie da in den letzten zwei Jahren als Seelsorger gefordert?
Ellinghaus: Die Schausteller und Zirkusleute schauen quasi auf einen zweijährigen Stillstand zurück. Es gab zwar im letzten Jahr vermehrt auch die Möglichkeit, mit sogenannten temporären Freizeitparks eine Einnahmequelle zu generieren, aber die blieb natürlich weit hinter dem zurück, was normales Leben für Schausteller und Zirkusleute bedeutet und auch weit hinter den Einnahmen, die sie eigentlich brauchen, um ihre Geschäfte selbstständig zu erhalten.
Das hat viele sehr persönlich und auch existenziell betroffen. Zwar müssen wir immer noch dankbar sein, dass wir in Deutschland leben und die Bundesregierung Hilfen generiert hat, sodass Betriebe diese lange Stillzeit überdauern konnten.
Aber es ist natürlich auch nicht zu übersehen, dass so ein langer Stillstand bedeutet, dass Schausteller und Zirkusleute ihrer Berufung nicht nachgehen konnten. Das bedeutete für viele bis auf den heutigen Tag auch eine große seelische Belastung. Denn für Zirkusleute und Schausteller ist die Kirmes nicht nur der Ort des Geldverdienens, sondern auch der Ort des Lebens. Sie stehen ganz konkret mit ihrem Wohnwagen hinter ihren Geschäften und treffen dort Freunde, haben dort ihre sozialen Kontakte.
Ich glaube, es gibt wenige Berufe, wo sich Leben und Arbeit so eng verbinden. Das haben wir als katholische Seelsorge für Zirkusleute, Schausteller und Marktkaufleute natürlich auch ganz stark gespürt in diesem Jahr, dass dort die Kontakte nicht so wahrgenommen werden konnten wie sonst gewöhnlich.
Also wurden wir in diesen zwei Jahren schon extrem mehr gefragt, es wurde auch telefonisch Kontakt mit uns aufgenommen, damit man einen Partner hatte, mit dem man sprechen konnte, den man kannte, wo bereits ein Vertrauensverhältnis besteht, wo man auch seine Sorgen teilen konnte, oft auch mal deutlicher aussprechen konnte, als man das in der eigenen Familie tun wollte, um nicht die anderen Familienmitglieder noch mehr zu belasten.
Es war also schon eine Zeit, die sich sehr von den vorigen Jahren, wo alle normal unterwegs waren, unterschieden hat. Aber jetzt sind positive Zeichen wieder da und man ist froh, dass in vielen Städten wieder die normalen Volksfeste in diesen Tagen beginnen dürfen.
DOMRADIO.DE: Volksfeste sollen zum Beispiel unter 3G-Bedingungen stattfinden, aber es gibt ein neues Wort, das umgeht, und das lautet "Hot Spot". Früher war das durchaus positiv besetzt, seit einer Woche ist es negativ besetzt. Fürchtet Ihre Branche auch, dass zum Beispiel durch einen Hot Spot in einer Stadt wie zum Beispiel Köln wieder abgesagt wird?
Ellinghaus: Sie sind natürlich eingebunden in die Landesgesetze und Verordnungen, die erlassen werden und haben dort selber wenig Einfluss. Ich will aber sagen: Von der Struktur eines Volksfestes ist es eine Veranstaltung, die unter freiem Himmel an frischer Luft stattfindet, wo sich Schausteller innig bemühen, Abstände einzuhalten.
Ich glaube, dass zumindest der Ort des Volksfestes oder der Kirmes geringe Chancen hat, eigentlich zum Hotspot zu werden. Da gibt es sicherlich andere Modalitäten, andere Orte, die mehr gefährdet wären. Aber natürlich bleibt einem gewisse Angst, dass man wieder unter restriktive Verordnungen fällt.
DOMRADIO.DE: Jetzt haben wir die Corona-Pandemie laut Politik jetzt nicht hinter uns gelassen, aber zumindest sind Lockerungen da. Nun kommt die nächste Hiobsbotschaft: Ukraine-Krieg. Der hat den Karneval bereits ausfallen lassen. Könnte das dem Zirkus in der Stadt oder der Kirmes auch drohen?
Ellinghaus: Das haben weder ich noch Schausteller oder Zirkusleute letztlich zu entscheiden. Natürlich ist das ganz, ganz tragisch, was dort geschieht. Wir spüren das ja jetzt auch in der lokalen Nähe, so unmittelbar wie lange nicht zuvor. Schausteller sind auch sehr mitfühlende Menschen und sie finden diesen Krieg in der Ukraine auch ganz schrecklich.
Ich persönlich sage aber immer oder ich frage bei Absagen oder bei Absage-Forderungen: Wem nützt das? Ich glaube, dass eine Anteilnahme ganz wichtig ist, dass aber Hilfe immer noch wichtiger ist. Und da würde ich sagen: Schausteller engagieren sich auf ganz vielen Feldern. Ich will ein Beispiel nennen. Es hilft nichts, wenn wir alle Volksfeste oder Zirkusveranstaltungen absagen. Die Schausteller haben am vierten März mit der Verleihung des Goldenen Karussellpferdes, mit dem Ehrenpreis in diesem Jahr sozusagen die neue Saison eröffnet.
Und traditionell gehört dazu ein großer Einzug mit den Fahnen der Schausteller-Verbände. Man hat gleich am Anfang, bevor eigentlich die NRW-Fahne und Bundesfahne der Schausteller hinein getragen wird, als allererstes eine Fahne der Ukraine hinein getragen. Und man hat auch gleich die Zusage gemacht, wenn die Kirmes stattfindet, dass amn ukrainische geflüchtete Kinder einlädt. Wir schaffen damit Möglichkeiten, Kinder bei der Bewältigung des Erlebten zu helfen. Und ich glaube, dass sich da auch noch ganz viele andere Dinge anschließen werden, die die Schausteller auf ihren Festen, wenn sie stattfinden, anbieten werden, um diesen Menschen zu helfen.
Oder genauso parallel hinüber geschaut in die Zirkus-Branche: Ich weiß, dass beispielsweise der Zirkus Krone, der noch in seinem Winterbau in München ist, gesagt hat: "Ukrainische Artisten, ihr könnt rüberkommen, wir nehmen euch auf". Aber all das können Schausteller und Zirkus-Leute nur tun, wenn sie auch spielen dürfen. Deshalb würde ich sagen, die Absage ist immer nur ein Zeichen, dass man mit den anderen Menschen mitfühlt. Aber es bringt nichts.
Und ich glaube auch, dass das Volksfest uns in diesen schweren Zeiten auch helfen kann, weil es ist ein Ort, in dem Verständigung stattfindet, wo alle Menschen eingeladen sind hinzukommen, gleich welcher Nationalität, Religion oder Herkunft, wo alle Freude finden können. Vielen Menschen tut es vielleicht nach Corona und diesen ganzen Kriegsereignissen, die wir durch die sozialen Medien und Fernsehen nahegebracht bekommen, auch wieder gut, etwas Freude und Abwechslung erleben zu können - für die eigene seelische Gesundheit.
Das Interview führte Oliver Kelch.