DOMRADIO.DE: Die deutschen Bischöfe hatten Irme Stetter-Karp als Teilnehmerin der Weltsynode vorgeschlagen, die Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK). Der Papst aber hat diesen Vorschlag nicht aufgegriffen. Viele sind darüber enttäuscht, Sie auch?
Annette Schavan (Frühere Bundesministerin und Vatikan-Botschafterin): Ich bin darüber auch erstaunt, denn die Präsidentin des ZdK gehört nun wirklich zu den ganz Aktiven, wenn es um den Reformweg der katholischen Kirche geht. Das zeigt, dass in Rom wohl immer noch nicht klar ist, welche Bedeutung das ZdK in Deutschland hat.
DOMRADIO.DE: Zum ersten Mal überhaupt dürfen Frauen stimmberechtigt an einer Weltsynode teilnehmen. Allerdings bleibt ihr Anteil mit um die 15 Prozent gering, weit entfernt von einer Sperrminorität. Kommt den teilnehmenden Frauen damit im Grunde nicht nur eine Feigenblatt-Funktion zu?
Schavan: Das zu sagen, wäre diesen Frauen gegenüber ungerecht. Es sind ja alles engagierte Frauen, die sich dort einbringen. Es zeigt sich allerdings, dass wir es in der katholischen Kirche mit einer klar verlangsamten Entwicklung zu tun haben. Wir reden in anderen Institutionen über paritätische Besetzung; im Vergleich dazu sind 15 Prozent natürlich aus dem Rennen.
Andererseits hat Papst Franziskus, wenn wir die letzten Jahre betrachten, eine Reihe interessanter Stellen im Vatikan mit Frauen besetzt, auch in Kommissionen. Und so ist es wie so oft: Es gibt Fortschritt, aber wir wünschen uns mehr.
DOMRADIO.DE: Auf der Synode gibt es zwar keine Vertreterinnen aus Deutschland, aber durchaus zwei deutschsprachige Frauen aus Europa: die Schweizer Religionspädagoin Helena Jeppesen-Spuhler und die Generalsekretärin der Nordischen Bischofskonferenz, Anna Mirijam Kaschner. Wie finden Sie die Auswahl?
Schavan: Ich kann mir nicht wirklich ein Urteil erlauben, weil ich sie beide nicht persönlich kenne. Aber jede Frau, die an der Weltsynode teilnimmt, wird ihren Beitrag leisten, genauso wie jeder Mann auch – aus der jeweiligen Perspektive, die nicht nur das eigene Geschlecht trifft, sondern ebenso den kulturellen Kontext. Das macht die Weltsynode schließlich aus, dass so viele verschiedene kulturelle Kontexte zusammenkommen.
Die große Hoffnung ist, dass diese Verschiedenheit am Ende auch zu einer pfingstlichen Aufbruchsstimmung führt. Zu einer pfingstlichen Professionalität, wie ich es einmal nennen will.
DOMRADIO.DE: Konfliktive Fragen wie die nach der Frauenweihe hat Franziskus von vornherein aus der Synode ausgeklammert und sie zum wiederholten Mal einer Arbeitsgruppe zugewiesen. Konkretes ist da also von der Synode kaum zu erwarten. Wie bewerten Sie das?
Schavan: Das Thema der Frauenweihe ist ein echtes Dilemma. Wenn morgen ein großer Fortschritt wie das Diakonat oder gar die Weihe von Frauen erreicht würde, würde das innerhalb der Weltkirche zu massiven Verwerfungen führen.
Wenn es andererseits keinerlei Botschaft gibt, wenn es bleibt, wie es ist, führt das zu weiterem Traditionsabbruch in Deutschland, Europa und all den Kreisen in der Kirche, die seit langem auf ein Zeichen warten. Egal wie wir es drehen und wenden: Die Situation jetzt ist verfahren. Es ist wirklich ein Dilemma.
DOMRADIO.DE: Was erwarten Sie dann überhaupt von der Weltsynode? Sie haben von einer pfingstlichen Aufbruchsstimmung gesprochen.
Schavan: Im Moment steht in der öffentlichen Diskussion vor allem im Vordergrund, was auf der Weltsynode alles möglicherweise nicht an Botschaft gesetzt wird, bei der Frauenfrage etwa oder beim Verständnis von Synodalität. Ich wünsche mir, dass wir während der Synode erleben, dass mehr Verständigung möglich ist, als wir vorher dachten. Die pfingstliche Erfahrung war ja genau das: Wir erleben eine Verständigung, die wir überhaupt nicht für möglich gehalten hätten.
Ein bisschen davon würde schon helfen. Denn wenn diese Weltsynode zu Ende geht und in der Kirche und bei den Beobachtern der Eindruck entsteht: "Außer Spesen nichts gewesen", wäre das ein enttäuschendes Signal gerade in die aktuelle Weltsituation hinein.
Gerade für die Welt von heute wäre das eine große Enttäuschung, die sich selbst doch so schwertut mit Verständigung, Versöhnung und Kompromissen. Wir erleben gerade eine Welt, in der Verständigung wieder zerbricht, die schon erreicht worden ist. Und die Weltkirche ist die einzige Institution, die wirklich weltweit und auf allen Kontinenten präsent ist. Da wäre es etwas Großartiges, wenn von dieser Weltsynode die Botschaft ausgehen würde: Es ist mehr Verständigung möglich, als wir selbst geglaubt haben. Und wir sind uns auch der Verantwortung bewusst, die in einer so fragilen Welt für die Weltkirche besteht.
DOMRADIO.DE: Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, sagt, er wolle sich bei der Weltsynode für Gleichberechtigung einsetzen. Steht er da unter seinen Amtsbrüdern nicht ziemlich einsam da?
Schavan: Das glaube ich nicht. Bei bisherigen Synoden hat sich schon gezeigt, dass viele wenigstens die Frage nach dem Diakonat der Frau geklärt sehen wollen. Und wenn wir zum Beispiel an die Amazonassynode denken, gibt es doch Hinweise darauf, dass es auch keine Frage alleine des Kulturkreises ist. Bischof Bätzing steht also nicht alleine.
Wenn es keinerlei Hinweise geben sollte, bleibt die Erfahrung der Frauen, wie sie war: Sie wirken zwar enorm in der Kirche, in ihrer Gemeinde, in Verbänden. Aber sie fühlen sich nicht wirksam.
DOMRADIO.DE: Die katholische Kirche ist heute nur eine Option, also eine Möglichkeit unter vielen anderen. Versperrt sie nicht durch diesen sehr konservativen, sehr patriarchalen Umgang mit Frauen den Zugang für viele zur Kirche, weil sie sagen: "Mit so einem Männerverein will ich nichts zu tun haben"?
Schavan: Der große Religionssoziologe José Casanova hat schon vor vielen Jahren darauf hingewiesen, dass Institutionen, die die Frage der Gleichberechtigung nicht für sich selbst verwirklichen, an Relevanz verlieren werden. Das werden wir in der katholischen Kirche erleben, das ist klar.
Außerdem ist die Zeit der Volkskirche vorüber. Für die Kirche und auch fürs Christentum heißt es nun generell: Ich wachse nicht hinein. Ich muss mich dafür entscheiden. Und dann ist die Frage: Wie sieht diese Institution aus, wie baut sie sich auf? Wie versteht sie sich selbst? Das ist nicht überall so.
In vielen Ländern der Erde tritt niemand ein oder aus, da wird getauft und die Taufe ist der entscheidende Punkt. Aber in anderen Regionen gibt es eben ganz bewusst die Entscheidung des Eintritts oder Austritts, die Entscheidung für die Weltkirche oder gegen sie. Und wenn es keine Zeichen der Weiterentwicklung gibt, wird eine solche Entscheidung für die Weltkirche erheblich erschwert.
Das Interview führte Hilde Regeniter.