DOMRADIO:DE: Herr Schlegelmilch, so jung auf dem Chefsessel eines Senders zu sitzen, in dem Sie journalistisch groß geworden sind, und nun ein Team von rund 60 festen und freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu leiten – wie fühlt sich das an?
Renardo Schlegelmilch (Neuer Chefredakteur von DOMRADIO.DE): Verantwortung ist keine Frage des Alters. Entscheidend für mich ist, dass ich mich mit der neuen Aufgabe wohl fühle, und das tue ich. Für diese Redaktion und für die an mich gestellten Erwartungen bin ich bereit. Da ich bereits seit 16 Jahren bei DOMRADIO.DE arbeite – angefangen habe ich als Praktikant während des Studiums – kenne ich wirklich jeden Bereich. Ich habe Vertretungsdienste im Sekretariat übernommen, moderiert, erst als Jugendreporter, dann als Redakteur gearbeitet, und deshalb weiß ich auch genau, was wir können, worin wir gut sind, aber auch, wo es noch Verbesserungspotenzial gibt.
Hinzu kommt, wir haben ein super Team, das man eigentlich nur anpiksen muss. Dann sprudeln die Ideen wie von selbst. Alle bringen eine große Motivation und auch Leidenschaft für diesen Job mit. Anders als mit solchen Kolleginnen und Kollegen, die mit mir an einem Strang ziehen, könnte ich als Einzelner eine solche komplexe Aufgabe auch gar nicht meistern.
DOMRADIO.DE: Wie haben Sie auf das Angebot reagiert, das ja doch sehr überraschend kam?
Schlegelmilch: Absolut überwältigt, weil sich mir und unserer Redaktion damit auf einmal ganz neue Möglichkeiten eröffnen. Und selbst mit zeitlichem Abstand kommt mir das immer noch surreal vor. Die ersten Wochen konnte ich nicht wirklich gut schlafen, weil mir erst schrittweise die mit dieser neuen Aufgabe verbundenen Konsequenzen klar wurden: Ich habe nun Entscheidungsbefugnis und werde auch in Gremien sitzen. Allmählich aber beruhigt sich die erste Aufregung um meine Person, die ich so nicht erwartet hatte. Und auch ich selbst werde etwas gelassener, weil ich jetzt die Richtung, wohin es absehbar gehen soll, im Kopf habe. Ich weiß, was wir hier machen müssen. Ja, die Anfrage kam völlig unerwartet, freut mich aber umso mehr und ist natürlich auch eine Herausforderung. Das will ich nicht leugnen.
DOMRADIO.DE: Sie treten in große Fußstapfen: Ihr Vorgänger Ingo Brüggenjürgen hat den Sender mit viel Herzblut systematisch aufgebaut und musste dafür zunächst dicke Bretter bohren und immer wieder Überzeugungsarbeit leisten. Heute ist DOMRADIO.DE nach fast 25 Jahren ein in weiten Teilen der katholischen Kirche anerkanntes Medium, das sich dem kritischen Journalismus verschrieben hat und angesichts seiner Vielseitigkeit konkurrenzfähig ist…
Schlegelmilch: Zunächst einmal bin ich sehr dankbar für alles, was Ingo Brüggenjürgen hier in den letzten zweieinhalb Jahrzehnten geleistet hat. Mit großer Hochachtung stehe ich vor dem, was wir im Team zustande gebracht haben. Ingo hat stets in modernen Formaten gedacht, diese immer weiter entwickelt, aufs Internet, später auf Video und auf Social Media gesetzt. Dass wir heute da stehen, wo wir stehen, ist zum Großteil ihm zu verdanken und verdient große Anerkennung. Diese rasante Entwicklung hätte ich damals, als ich selbst hier begonnen habe, nicht für möglich gehalten.
Als ich in den letzten Tagen einmal nachgeforscht habe, was wir hier miteinander eigentlich schon alles erlebt haben, bin ich zum Beispiel darauf gestoßen, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel 2017 in einer Rede, die sie in Bad Godesberg gehalten hat, darauf verwiesen hat, wie sehr sie die journalistische Arbeit von DOMRADIO.DE schätzt. Als Kardinal Meisner gestorben ist, hat die Tagesschau eine Eilmeldung gebracht, bei der wir als Quelle in der Überschrift standen. Jetzt beim Katholikentag in Erfurt habe ich mit Vertretern der Bundesregierung Gespräche geführt, in denen ebenfalls zum Ausdruck kam, dass wir eine journalistische Adresse sind, die Reputation genießt und nicht zu unterschätzen ist.
Das alles weiter auszubauen ist mein Ziel. Wir sind aufgrund des Rufes, den wir uns erarbeitet haben, als faires kritisches Medium anerkannt – und das nicht nur in kirchlichen, sondern auch gesellschaftlichen und politischen Kreisen. Darauf dürfen wir zu recht stolz sein, denn wir fühlen uns der Wahrheit, einer kritischen Recherche und der Fairness in alle Richtungen verpflichtet. Unter diese Kriterien habe ich jedenfalls immer mein eigenes journalistisches Engagement gestellt.
DOMRADIO.DE: Welcher persönlichen Agenda folgen Sie?
Schlegelmilch: Überhaupt keiner. Mir geht es nicht um Kirchenpolitik, geschweige denn darum, einer Seite den Steigbügel zu halten. Wir werden auch keine Gefälligkeitsinterviews führen. Unser Ziel muss es sein, möglichst alle Facetten kirchlichen Lebens abzudecken und alle Seiten dabei fair und kritisch zu hinterfragen. Das ist auch der Anspruch, den ich an mich selbst stelle: fairen, aber kritischen Journalismus zu machen und mir eine differenzierte, unabhängige Sicht auf die Dinge zu bewahren.
DOMRADIO.DE: Bislang ist der Sender damit aufgefallen, dass er auch vor kontrovers diskutierten Themen – gesellschaftlich wie kirchlich – nicht zurückgeschreckt ist, immer wieder bewusst auch den Finger in die Wunde gelegt und Missstände angeprangert hat, gerade auch wenn es die Institution selbst an empfindlichen Stellen getroffen hat. Es ist also nun nicht unbedingt mehr Rücksichtnahme zu erwarten?
Schlegelmilch: Als Medium mit einem journalistischen Vollprogramm haben wir in erster Linie einen Auftrag. Und diesem Auftrag fühle ich mich ohne Wenn und Aber verpflichtet. Wir schauen aus katholischer Perspektive auf Kirche und Gesellschaft, eben gerade ohne dabei einer kirchlichen oder politischen Agenda zu folgen. Das steht für mich ganz oben und ist der wichtigste Grundsatz. Das kann ich nicht oft genug betonen. Hinzu kommt: Wir sind ein kirchliches Medium im Erzbistum Köln, was bedeutet, dass hier natürlich kirchliche Themen, der Erzbischof und sein Generalvikar vorkommen, aber wir Reforminitiativen wie "#OutinChurch" oder "Maria 2.0" genauso fair behandeln und kritisch hinterfragen wie Stimmen aus dem Erzbistum, der Deutschen Bischofskonferenz oder dem Vatikan.
DOMRADIO.DE: Wo sehen Sie DOMRADIO.DE nach 25 Jahren innerhalb der katholischen Medienlandschaft?
Schlegelmilch: Die Marke DOMRADIO.DE hat einen sehr großen Wert, der in keiner Weise infrage gestellt wird. Eher im Gegenteil: Wenn wir die Bedeutung dieser Marke in Zukunft noch steigern und die Eigenständigkeit dieses journalistischen Produktes noch stärker fördern wollen, dann sollten wir uns noch mehr auf unser Kerngeschäft, nämlich unsere journalistische Kompetenz, konzentrieren.
DOMRADIO.DE: Die redaktionelle Arbeit impliziert immer auch einen Spagat zwischen ganz konträren Positionen und die Vielfalt von Meinungen, aber auch kirchlichen bzw. gemeindlichen Lebens abzubilden und dabei gleichzeitig unterschiedlichste Befindlichkeiten im Blick zu behalten, um sich nicht dem Vorwurf einseitiger oder voreingenommener Berichterstattung auszusetzen. Wie verstehen Sie Ihre Aufgabe?
Schlegelmilch: Auch wenn wir einen katholischen Blick auf die Welt haben, nehmen wir sehr wohl wahr, dass sowohl in Kirche als auch gesellschaftlich eine zunehmende Polarisierung stattfindet. Meines Erachtens kann darin aber auch eine Chance liegen, alle Positionen zu Wort kommen zu lassen, weil nämlich immer weniger katholische Medien auf die zwei Seiten einer Debatte schauen und abweichende Meinungen gelten lassen. So aber haben wir es bisher gemacht, und darauf wollen wir aufbauen, in Zukunft eher noch verstärkt den Fokus richten, zumal ich hier eine richtige Marktlücke sehe.
Darüber hinaus decken wir auch innerhalb unseres Teams, in das ich großes Vertrauen habe – schließlich kenne ich es wirklich gut – eine große Bandbreite an Expertise, aber auch an Interessen und Standpunkten ab. Von daher soll jede und jeder die Chance haben, ihr und sein eigenes Profil – basierend auf der persönlichen Meinung und einem entsprechenden Spezialwissen, das sie oder er einbringt – noch weiter zu schärfen. Dabei bleibe ich vorrangig Wächter über unser journalistisches Credo, bei aller Toleranz und Wertschätzung für die gegnerische Argumentation und Meinung fair, kritisch und ohne kirchenpolitische Agenda zu berichten, und gleichzeitig Steuermann, das Schiff auch durch unruhiges Fahrwasser sicher zu navigieren.
DOMRADIO.DE: Um im Bild zu bleiben – was zeichnet denn die Kollegen aus, die mit am Ruder sitzen und helfen, dieses Schiff auf Kurs zu halten? Auf welche Expertise können Sie zurückgreifen?
Schlegelmilch: Wir haben im Team zum Beispiel einen der deutschlandweit anerkanntesten Experten beim Thema Kirchenglocken, der zudem Vorsitzender des Deutschen Glockenmuseums ist. Wir haben zwei Kolleginnen, die sich extrem gut bei Themen aus Lateinamerika auskennen, was sowohl in kirchlichen als auch gesellschaftlichen Kontexten einen durchaus hohen Stellenwert hat. Auch für die Kirchenmusik haben wir einen Redakteur mit absolutem Fachwissen. Und so gibt es für fast jedes kirchliche und gesellschaftliche Thema eine Expertin oder einen Experten im Team. Jeder hier hat seine besonderen Fähigkeiten, so dass das in der Summe alles Leute sind, die die gesamte Redaktion mit ihrer wertvollen Expertise inspirieren und weiterbringen.
DOMRADIO.DE: Aus anderen Ländern, auch Kontinenten und nicht zuletzt aus dem Vatikan wird schon mal mit großem Unverständnis auf die Kirche in Deutschland geblickt, Stichwort Synodaler Weg. Inwieweit kann und muss vielleicht sogar DOMRADIO.DE dabei auch als eine Art Erklärungshilfe der deutschen Kirche dienen?
Schlegelmilch: In der Tat liegt mir dieses Thema, bei dem ich meine persönliche Expertise einbringen kann, ganz besonders am Herzen, weil ich mich in den letzten Jahren intensiv mit den Themen Synodalität, Synodaler Weg und Weltsynode, aber auch mit der Berichterstattung dazu im internationalen katholischen Kontext auseinandergesetzt habe. Dabei habe ich festgestellt, dass es international ein sehr großes Interesse an den Reformbestrebungen der deutschen Kirche gibt, weil da etwas passiert, was Konsequenzen auf Weltkirchenebene hat. Und das meine ich keineswegs wertend. Vielmehr sehe ich, dass vieles davon nicht wirklich erfolgreich kommuniziert wird – sowohl in den Vatikan als auch in die Weltkirche hinein.
Meine persönliche Einschätzung ist, dass der bestehende Konflikt dabei auf einem Mentalitätsunterschied beruht: dass sich die deutsche Kirche Änderungen erhofft und denkt, wir können diese Änderungen nur erreichen, wenn wir das mit Paragrafen und Fußnoten bis ins kleinste Detail ausdefiniert haben, während man sich in anderen Kontexten – zum Beispiel in Südamerika, woher der Papst kommt, oder im italienischen Kontext, der den Vatikan prägt – denkt, bevor wir diese Schritte gehen, müssen wir erst einmal die Leute für den Glauben begeistern und sie von der Botschaft der Kirche überzeugen. Das ist in meinen Augen der Kern des Konfliktes. Und es gibt eigentlich kein anderes kirchliches Medium in Deutschland, das das so wirklich im Blick hat und ausländisches Publikum über den deutschen Standpunkt objektiv informiert – auch weil es lange Zeit einfach an erfolgreichen Austauschformaten gefehlt hat.
DOMRADIO.DE: Haben Sie eine Idee, wie man das ändern kann?
Schlegelmilch: Wir stehen tatsächlich schon in Kontakt mit verschiedenen Medienorganisationen in anderen Ländern und Kontinenten, die großes Interesse daran haben, mit uns Inhalte auszutauschen, weil die einzige Informationsquelle im Moment die offiziellen Wege sind oder die englischsprachige Berichterstattung der Katholischen Nachrichten-Agentur, was aber eben Agenturmeldungen, also die reinen Fakten sind und meist keine Einordnung mitliefert. Da würde ich gerne mehr auf Internationalität setzen, indem wir zum Beispiel Interviews, die wir auf Englisch oder Italienisch führen, auch im Original veröffentlichen, um uns mehr noch in der internationalen katholischen Szene einen Namen zu machen. Schon jetzt haben wir in vielen Ländern – Südafrika, Australien, Afghanistan bis hin in die USA – Ansprechpartner, auf die wir zurückgreifen können. Da sehe ich jedenfalls noch mehr Potenzial.
DOMRADIO.DE: Ganz sicher wird unter der neuen Leitung nun mit Argusaugen die zukünftige Entwicklung von DOMRADIO.DE innerhalb der Medienlandschaft beobachtet werden – auch unter der Maßgabe, inwieweit von jetzt an die Stimme des Erzbischofs (neu) Berücksichtigung findet bzw. ob sich der Kölner Multimedia-Sender auch weiterhin als unabhängig und seinem Selbstverständnis nach in Abgrenzung zum Erzbistum positioniert…
Schlegelmilch: Nochmals: Wir sind ein kirchliches Medium im Erzbistum Köln. Deswegen spielt natürlich die komplette kirchliche Debatte, inklusive der Stimme des Erzbischofs, für uns eine wichtige Rolle. Trotzdem müssen – egal bei welchem Thema – immer auch unterschiedliche Stimmen zu Wort kommen – so wie es für alle unsere anderen Gesprächspartner auch gilt. Der Erzbischof darf damit rechnen, dass er von uns jederzeit fair und ohne Agenda dargestellt wird. Er sollte sich aber auch darauf einstellen, kritisch hinterfragt zu werden.
DOMRADIO.DE: Sie deuteten es schon an: Worauf werden Sie demnächst mehr noch als früher Ihren Fokus richten? Wo sehen Sie noch Luft nach oben?
Schlegelmilch: Mein Ziel ist es, dass DOMRADIO.DE zu der katholischen Medienmarke in Deutschland schlechthin wird. Denn auch wenn die Kirchenbindung in unserem Land zurückgeht, werden immer Menschen gebraucht, die medial erklären, wie es um die Kirche steht, oder die ein Konklave erläutern, einen Skandal kommentieren und Hintergründe aufzeigen können. Darin sehe ich unsere Aufgabe. Denn die gesellschaftliche Relevanz von Kirche ist da, und sie wird bleiben. Dafür bedarf es fähiger "Übersetzer" und Erklärer, die ihr Wissen in die Öffentlichkeit bringen.
Katholische Medien gibt es auf der ganzen Welt und schon aktuell sind wir gut in die USA vernetzt, was mir persönlich sehr wichtig ist, aber auch in asiatische Länder und natürlich in den Vatikan. Und überall gibt es großes Interesse an unserer Berichterstattung. Den gegenseitigen Austausch hier zu strukturieren, ihn auf weitere Länder und Weltregionen auszudehnen ist zwar Zukunftsmusik, mir aber sehr wichtig.
DOMRADIO.DE: In den letzten Tagen hieß es bei Würdigungen des scheidenden Chefredakteurs oft: Bei DOMRADIO.DE geht eine Ära zu Ende. Wenn Sie sich mal ein paar Jahre weiter denken und einen Wunsch frei hätten – was wäre Ihre Lieblingsschlagzeile?
Schlegelmilch (lacht): Franziskus unterbricht Deutschlandreise für Stippvisite bei DOMRADIO.DE.
DOMRADIO.DE: Und was würde als ganz persönliches Highlight Ihre journalistische Karriere krönen?
Schlegelmilch: Naja, wenn schon, denn schon… Ein Knaller wäre natürlich ein Exklusivinterview mit dem Papst, um einmal authentisch bei ihm nachzuhören, was echte synodale Reformen für die Kirche bedeuten können und weshalb er die Reformbestrebungen in Deutschland kritisch sieht. Wenn dann ausgerechnet wir dazu ein Forum bieten könnten, wäre das schon ein Sechser im Lotto.
Das Interview führte Beatrice Tomasetti.