Ein gewaltiger Stein wird künftig über dem berühmten Lochner-Altar an der Stirnwand der Marienkapelle des Kölner Domes schweben: Eine fotorealistische Wandmalerei, die das Fundament des Thora-Schreines aus der mittelalterlichen jüdischen Synagoge Kölns abbildet, die bis zum 14. Jahrhundert im Zentrum der Stadt stand. So sieht der Entwurf der Künstlerin Andrea Büttner aus, die jetzt den Internationalen Kunstwettbewerb für den Kölner Dom gewonnen hat.
"Früher stand der Lochner-Altar in der Ratskapelle "Maria in Jerusalem", dafür war er gefertigt worden", erklärt der Kölner Dombaumeister Peter Füssenich, "und diese war ursprünglich eine Synagoge, die nach den Pogromen im 14. Jahrhundert in eine Kirche umgewandelt wurde." Der Altar stand auf dem Fundament des Scheins, der künftig als Bild im Kölner Dom zu sehen sein wird.
Was tun mit den Schmähdarstellungen?
Das Kunstwerk ist eine Antwort auf ein historisches Erbe, dessen man sich erst Anfang der 2000er Jahre bewusst wurde: Im und am Kölner Dom gibt es – wie in vielen Kirchen und Profanbauten im deutschsprachigen Raum - antijüdische Schmähdarstellungen aus dem Mittelalter. Prominentestes Beispiel: Die so genannte "Judensau" in Wittenberg. Sie alle sind Ausdruck historischen kirchlichen Antijudaismus.

Seit 2016 hatte sich eine von der Kölnischen Gesellschaft für Christlich Jüdische Zusammenarbeit initiierte Arbeitsgruppe mit diesen Artefakten in und an der Kathedrale beschäftigt. Lange wurde dort darum gerungen, ob sie entfernt oder mit Hinweisschildern versehen werden sollten. Eine Ausstellung wurde zwischenzeitlich konzipiert, mittlerweile gibt es auch thematische Führungen.
Christlich-jüdisches Verhältnis im Wandel
Jetzt soll dieses Kunstwerk im Dom diese Maßnahmen ergänzen: "Wir wollten nach vorne gucken und eine neue Perspektive eröffnen", sagt Weihbischof Rolf Steinhäuser. Er ist Mitglied des Domkapitels und als Bischofsvikar zuständig für den interreligiösen Dialog. Man wolle nicht nur die Schmähdarstellungen thematisieren und aufarbeiten, sondern auch auf das heutige jüdisch-christliche Verhältnis schauen. Den Siegerentwurf der Künstlerin Andrea Büttner findet er "hochspannend", er mache schmerzliche Zusammenhänge unübersehbar deutlich. Und er wird künftig – da ist sich der Weihbischof sicher – große Aufmerksamkeit erfahren, "denn an keinem Ort des Domes werden so viele Gottesdienste gefeiert, wie in der Marienkapelle", sagt er. DOMRADIO.DE und kooperierende Partnersender übertragen täglich die Heilige Messe um 8 Uhr von dort.

Für die Künstlerin selbst ist es eine große Ehre: "Ich freue mich sehr darauf, im Dom zu arbeiten und Zeit dort zu verbringen", sagt die Professorin für Malerei und Grafik an der Akademie der Bildenden Künste in München. Über ein Jahr hat sie an dem Entwurf gearbeitet, sie hat mit vielen Archäologen, Theologen und Kirchenhistorikern gesprochen, um diese verborgene Verbindung zwischen dem Lochner-Altar und der zerstörten Synagoge in Köln aufzuspüren und künstlerisch umzusetzen. Sie schätzt, dass sie im Jahr 2026 mit ihren Arbeiten beginnen wird. Wie lange diese dauern werden, vermag sie nicht zu sagen.
Zum Nachdenken anregen
Ihr Entwurf setzte sich gegen 14 weitere in der Endrunde durch. Prof. Andrea Wandel, Architektin und Vorsitzende der Wettbewerbsjury nannte ihn einen "visuellen Einschlag": Er fordere die Betrachtenden intellektuell heraus und rege zum Nachdenken an. "In der Stadt Köln, die jüdisches Leben seit 321 ersterwähnt, wurde die christlich-jüdische Nachbarschaft unter anderen durch die Zerstörung der Synagoge und ihre "Umwidmung" in die Ratskapelle brutal überschrieben, begraben und verdrängt", sagt sie.

Und auch auf jüdischer Seite ist man zufrieden: "Mir gefällt der Entwurf sehr gut, er hat eine Tiefe, die auf den ersten Blick nicht so schnell zu durchschauen ist", sagt Abraham Lehrer. Er saß ebenfalls in der Jury, ist stellvertretender Vorsitzender des Zentralrats der Juden und im Vorstand der Synagogen-Gemeinde Köln. Er weiß: So mancher in seiner Gemeinde hatte auf diesen Prozess skeptisch geblickt, einige hätten die antijüdischen Schmähplastiken lieber abmontiert gesehen.

Lehrer wünscht sich, dass Menschen, die künftig den Dom besuchen – egal ob Gläubige oder Touristen – sich bei der Betrachtung des Lochner-Altares Fragen stellen, denn dieser sei auch "ein Zeugnis beschämender christlicher Machtinteressen". Das Kunstwerk schaffe eine Verbindung zwischen der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, sagt er. Und er hofft auf einen Vorbildcharakter, denn dass Kirche sich auf diese Weise mit ihrer unrühmlichen Geschichte auseinandersetzt ist – vermutlich weltweit – ein Novum: "Es kann eine Ausstrahlung für ganz Deutschland, sogar ganz Europa haben, für alle diese Bauten, wo es antisemitischen Artefakte gibt", sagt er, "ich bin mir sicher, dass es viel Beachtung finden wird."