Wie vielfältig die Kölner Kirchen mit ihrem je eigenen Profil und einer sowohl architektonisch als auch pastoral unterschiedlichen Ausstrahlung sind, zeigte einmal mehr die "Lange Nacht der Kirchen": meditative Psalmtexte, Taizé-Andachten, verhaltene Orgelklänge, Bildbetrachtungen, Bibellesungen, Lichtinstallationen oder auch Seelsorgegespräche, vor allem aber viel Ruhe und Andacht – das war am Freitagabend in vielen Innenstadtkirchen erfahrbar, die sich an diesem ökumenischen Projekt beteiligten.
Wer sich in der einsetzenden Dunkelheit in die Innenstadt aufmachte, womöglich noch den Rhein von Deutz bis hinüber in die Altstadt überquerte, dem bot sich in fast allen Gottesdiensträumen dasselbe Bild: ein bis Mitternacht in spärliches Licht getauchter Innenraum und die damit beabsichtigte Gelegenheit, in ganz unterschiedlichen Sakralräumen der geheimnisvollen Wechselwirkung von Dunkelheit und Transzendenzerfahrung auf die Spur zu kommen. Der konnte sich verstohlen in dem manchmal nur mit Kerzen erhellten Raum in einer Ecke verschanzen, sich in einer Kirchenbank zum Gebet niederknien und sich mit allen Sinnen einer kontemplativen Stimmung überlassen. Oder aber er hatte die Möglichkeit, sich aktiv an dem zu beteiligen, was der jeweilige Gastgeber unter der Überschrift "Die Nacht – der Raum – die Stille" bot. Schweigen, Staunen und Hören inbegriffen.
In ökumenischer Verbundenheit unterwegs sein
Viel Aktion sollte es nicht sein. Die Räume selbst sprechen zu lassen, um Begegnungen mit ihrer Geschichte, vor allem aber mit Gott zu ermöglichen – darauf hatten sich mehrheitlich die verantwortlichen Pfarrer im Stadtdekanat Köln und im Evangelischen Kirchenverband Köln und Region ursprünglich einmal verständigt. So sollen die bis Null Uhr geöffneten Kirchenpforten dazu anregen, nach Herzenslust die Atmosphäre, den Duft und die Erhabenheit großartiger Räume voller Geschichte und Leben, voller Mystik und Originalität einzuatmen.
"Wir verbinden mit dieser Einladung der offenen Türen die Hoffnung, in dieser Nacht gemeinsam mit vielen anderen Menschen innerlich und äußerlich unterwegs zu sein und in ökumenischer Verbundenheit eine Spurensuche im Glauben zu gestalten", hatte Domdechant Robert Kleine im Vorfeld zu dieser Initiative formuliert, die in diesem Jahr bereits in die 16. Runde ging.
In St. Andreas hat sich Kirchenrektor Pater Christoph Wekenborg für eine Mischung aus meditativer Einstimmung in die Nacht und Beteiligung der Gemeinde entschieden. Daher wird zunächst mit schlichten Mitteln – wenige Sätze aus dem Schöpfungsbericht und eine Messiaen-Komposition von Organist Christoph Kuhlmann – ein "Großes Lucernarium", eine Art Danksagung und Abendlob mit Lichtern, eingeleitet, bevor der Dominikaner dann zu jeder vollen Stunde bei Kurzführungen eines der Kunstwerke der Kirche erläutert.
Der Heilige Andreas sei Patron der Ostkirche gewesen, erklärt Pater Christoph, daher passe dieses Element der abendlichen Lichtfeier, bei der jeder eine Kerze in der Hand halte, besonders gut in die Andreaskirche. Das abendliche Licht sei Christus selbst, das die Dunkelheit der Menschen erhelle. "Es passt zur Nacht – auch der unseres Lebens – sie mit einem Licht zu begrüßen", unterstreicht der Ordensmann, der im Übrigen in diesen nächtlichen Stunden nur das tun will, was in St. Andreas auch sonst "das Prägende" ist: nämlich Liturgie feiern. "St. Andreas ist gelebter, gefeierter Raum, in dem jeden Tag Gottesdienste stattfinden, und kein Museum", betont der Theologe seine persönliche Motivation, sich an dieser traditionellen Veranstaltung zu beteiligen.
Gewünscht sind besondere Raumerfahrungen
Auf den Effekt des natürlichen Lichts setzen auch die Verantwortlichen in der Minoritenkirche. Ein großes Lichtermeer aus vielen einzelnen Kerzen erhellt den weiten gotischen Raum nur gerade mal so viel, dass man vage den Altarbereich mit dem großen Hängekreuz und die Orte erahnt, wo sich die Gräber von Adolph Kolping und Johannes Duns Scotus befinden. Besonders eindrucksvoll ist das Kolping-Logo gestaltet: vor dem Altar und neben den Fahnen des berühmten Kolpingwerkes, das einst von dem gebürtigen Kerpener als Gesellenverein gegründet wurde.
Stiller und auch sehr viel ruhiger als sonst geht es in dieser Nacht ein paar Meter weiter in "Kolumba" zu. In allen Sälen des offenen Museums ist das Licht gedimmt. Und obwohl es die ganze Nacht über ein ständiges Kommen und Gehen gibt und die Mitarbeiter gehalten sind, besonders darauf zu achten, dass die Besucher möglichst bedächtig durch die Säle auf Entdeckungsreise gehen, bedarf es gezielter Anweisungen nicht. Die modernen Installationen, die sonst von Tönen und Geräuschen unterlegt sind, seien deutlich zurückgefahren, erklärt Joachim Groß von der Museumsaufsicht. Damit passe man sich dem Wunsch der Besucher nach einer ganz besonderen Raumerfahrung an.
Denn das Publikum bewegt sich tatsächlich mit großer Behutsamkeit von Saal zu Saal: sprichwörtlich auf leisen Sohlen, als suchte es auch innerhalb der Museumswände die eher spirituelle Anregung, für die der überwiegende Teil der Exponate in der Tat ja auch grundsätzlich steht. Diese gewollte Atmosphäre schaffe eine Verdichtung des Eindrucks; die einzelnen Objekte würden an Wert gewinnen, zeigt sich Groß überzeugt. Schließlich aber sei das ja auch Sinn dieser Kirchen-Nacht, eine andächtige und meditative Stimmung zu erzeugen und darüber in einen intensiveren Dialog mit den Kunstwerken zu treten.
Dass die Menschen in sich gekehrter unterwegs seien, beobachtet auch Kollegin Cornelia Bürk. "Fast wie bei einem Candle-light-Dinner", findet sie. Diesen Eindruck bestätigt Besucher Heinz Schumacher, der sich in den Lesesaal auf der zweiten Etage zurückgezogen hat, hier eine kurze Pause einlegt, dann aber noch ein paar Stationen auf seiner Liste stehen hat. "In Ruhe, in Stille, in Kirchen sein" – das mag er so an dieser Nacht, sagt er.
In der Nacht ist Gott wahrnehmbarer
In der Antoniterkirche erklärt Pfarrer Markus Herzberg einer beachtlichen Zahl an Besuchern, wie die Komplet, das Nachtgebet der Kirche, gestaltet wird – und dass man sich von den Texten und Gesängen tragen lassen kann. Auch hier spielt die mit Lichteffekten erzeugte Atmosphäre eine nicht unwesentliche Rolle bei der Einladung zum andächtigen Innehalten.
Citykirchenarbeit wird hier sonst groß geschrieben – zum Beispiel mit regelmäßigen 10 Minuten-Andachten Tag für Tag kurz vor sechs. Und unter der Berücksichtigung, dass viele Passanten der größten Einkaufsstraße Kölns nur im Vorübergehen diese Oase mitten in der Stadt zum Ausruhen nutzen oder Touristen ihr Besuchsprogramm mal kurz für die Betrachtung der Barlach-Werke unterbrechen. "In der Nacht haben sich die wichtigsten Geschehnisse unseres Glaubens ereignet", erklärt Herberg seinen Zuhörern. "Wenn alles andere mal still ist, nehmen wir Gott viel sensibler und aufmerksamer wahr." Wo es dunkel und leise sei, werde Gott umso erfahrbarer.
Sakralräume erzählen Glaubensgeschichten
Ähnlich sieht es auch der leitende Pfarrer von Köln-Mitte, Dr. Dominik Meiering. In St. Gereon, wo in dieser Nacht ebenfalls alles elektrische Licht aus bleibt, nutzt er die Chance, "den Raum lebendig werden zu lassen", wie er sagt, "mit Geschichten, die uns diese Steine erzählen, oder mit Geschichten über die Menschen, die diese Räume über Jahrhunderte hinweg gestaltet haben." Diese Architektur spiegele Glaubensgeschichten der Menschen und Gottesgeschichten wider.
"Wenn wir unsere Kirchenräume als groß und zum Himmel strebend erleben, werden auch wir innerlich weit, aufrecht und den Blick nach oben richten" so Meiering. Die nächtliche Öffnung der Räume bedeute auch, diesen Räumen zuzuhören. "Wenn wir nur aufmerksam genug sind, predigen sie ganz von selbst."
In Groß St. Martin schließlich bietet sich ein Bild von außergewöhnlicher Innigkeit. Wie in Marmor gegossene Statuen verharren Schwestern und Brüder der Monastischen Gemeinschaften von Jerusalem im Gebet versunken vor dem Allerheiligsten. Das warme, heimelige Licht des Raumes korrespondiert mit der Farbe der Gewänder dieser bewegungslos scheinenden Beter. Hier dringt kein Lärm von außen ins Kircheninnere; hier lässt sich die Stille hören. Die anrührende Kargheit dieser schlichten Szene hat etwas Vollendetes. Es braucht nicht viel für das Zwiegespräch mit Gott – das wird hier deutlich spürbar: allenfalls Nacht, Raum und Stille. Aber das in letzter Konsequenz.
Beatrice Tomasetti