Pia Hollenstein (73), Schweizer "Klimaseniorin", sieht dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte am Dienstag gelassen entgegen. "Ich hoffe, dass der Gerichtshof die Schweiz rügen wird und sie dies als Chance wahrnimmt, um mehr gegen die Erderwärmung zu tun", sagte die ehemalige Nationalrätin der Grünen im Interview des Schweizer Portals kath.ch (Sonntag).
Der 2016 gegründete Verein "Klimaseniorinnen Schweiz" wirft seinem Land vor, zu wenig gegen den Klimawandel zu tun und damit die Menschenrechte zu verletzen. In der Klage vor dem Menschenrechtsgerichtshof (EGMR) argumentiert der Verein mit einer erhöhten Sterblichkeit von Frauen durch vermehrte Hitzewellen.
Klimawandel wird deutlich
Sie kenne die Folgen des Klimawandels aus den Bergen, sagte Hollenstein. "Wenn ich heute wieder an dieselben Orte komme, stelle ich fest, dass die Gletscher sehr stark geschmolzen sind. Das tut mir richtig weh."
Der EGMR solle überprüfen, "ob die Schweiz mit ihrer ungenügenden Klimapolitik die in der Verfassung verankerte Pflicht zum Schutz der Menschenrechte verletzt", erläuterte Hollenstein. "Das ist das Neue und das Besondere unserer Beschwerde. Deshalb interessiert sich auch die halbe Welt dafür", so die frühere Pflegefachfrau und Berufsschullehrerin für Gesundheits- und Krankenpflege. Das Urteil sei für die Schweiz bindend und für alle Mitglieder des Europarates von Bedeutung.
Schweizer Klimaziele
Im Fokus der Klägerinnen stünden vor allem die Ziele, die sich die Schweiz selber gesetzt, aber immer noch nicht erreicht habe, etwa im 2017 von der Schweiz ratifizierten Pariser Klimaabkommen. "Oder in der Verfassung, die vorgibt, dass die Schweiz das Recht auf Leben respektieren und die Gesundheit schützen muss."
Es sei weder Aufgabe der Klimaseniorinnen noch des Gerichtshofs, der Schweiz Maßnahmen zur Erreichung der Klimaziele zu empfehlen. "Was getan werden müsste, ist hinlänglich bekannt."
Katholische Familie
Über ihre Erfolgschancen zeigte sich Hollenstein "zuversichtlich, weil unsere Argumente einfach stichhaltig sind. Schlimm wäre, wenn der Gerichtshof zum Schluss käme, die Menschenrechte werden gar nicht verletzt", so die "Klimaseniorin". "Das wäre eine Legitimation für Staaten, wenig Klimaschutz zu betreiben."
Sie sei in einer katholischen Familie auf dem Land aufgewachsen, berichtete Hollenstein. "Meine Eltern waren sehr religiös. Durch sie bin ich in die kirchliche Gemeinschaft hineingewachsen und fühle mich in ihr noch immer beheimatet. Meine Eltern haben die Natur sehr geschätzt und wussten, dass man sie schützen muss. Diesen positiven Bezug zur Natur haben sie uns Kindern mitgegeben."