DOMRADIO.DE: Am 18. Juni 2017 gerieten etwa 500 Flüchtende knapp hinter den libyschen Hoheitsgewässern in Seenot. Es war die Crew des deutschen Rettungsschiffes Iuventa der Organisation "Jugend rettet", die diese Menschen an Bord holte und ihnen das Leben rettete. Nun wird den Crewmitgliedern deswegen von der italienischen Justiz Menschenschlepperei vorgeworfen. An diesem Samstag gibt es dazu auf Sizilien eine Vorverhandlung. Ein Richter muss entscheiden, ob es zum eigentlichen Prozess gegen insgesamt 21 angeklagte Menschen und drei Organisationen kommt. In der Anklage heißt es, die Menschen, die Sie an Bord geholt haben, seien gar nicht in Seenot gewesen. Was ist denn aus Ihrer Sicht damals, am 18. Juni 2017, passiert?
Kathrin Schmidt (Iuventa-Crewmitglied): Die Anklage lautet "Beihilfe zur unerlaubten Einreise". Die Staatsanwaltschaft behauptet damit, dass die Menschen, die wir gerettet hätten, nie wirklich in Seenot gewesen seien. Was natürlich sehr absurd ist in Anbetracht der vielen Bilder und Videos, die wir alle kennen und auch der Zahlen, dass seit 2014 über 22.000 Menschen im Mittelmeer gestorben sind.
Am besagten Datum und bei dieser Mission war ich persönlich nicht an Bord. Ich war über eine Zeit von einem Jahr mit dem Projekt auf insgesamt sechs Missionen unterwegs. Die Erklärung oder die Behauptung, dass sich diese Menschen nicht in Seenot befunden hätten, ist absolut absurd.
DOMRADIO.DE: Dann hieß es auch, es wurde auf Anweisung der italienischen Küstenwache gehandelt, oder?
Schmidt: Wir haben den kompletten Zeitraum über immer unter der Koordination der Seenot-Leitstelle in Rom gearbeitet. Das heißt, wir haben von dort meistens die Informationen über Boote in Seenot bekommen. Oder wir haben, wenn wir selbst Boote entdeckt haben, diese Information an die Seenot-Leitstelle weitergegeben, die dann angefangen hat, das mit den Schiffen in der Region zu koordinieren. Das waren nicht nur die NGO-Schiffe, sondern natürlich auch die italienische Küstenwache selbst, auch Militärschiffe und Frontex damals noch.
DOMRADIO.DE: Mit der "Iuventa" wurden alleine zwischen Juli 2016 und August 2017 mehr als 14.000 Menschen aus Seenot im Mittelmeer gerettet. Warum machen Sie das als private Organisation? Gibt es da keine staatlichen Helfer, die die Menschen retten?
Schmidt: Das ist eine gute Frage. Ich glaube, wir haben alle dieselbe Frage im Kopf. Damals war allen Beteiligten natürlich klar, dass die zivile Seenotrettung keine Antwort auf die Jagd auf die politische Problematik sein kann und darf, dass Menschen im Mittelmeer bei dem Versuch, sich in Sicherheit zu bringen, sterben müssen.
Das Problem, dass es keine staatliche Seenotrettung gibt, ist zweitranging. Das Problem ist hauptsächlich, dass es keine legalen und sicheren Einreisewege für Menschen auf der Flucht gibt. Dieser Straftatbestand von unerlaubter Einreise beziehungsweise Beihilfe zur unerlaubten Einreise ist eine absolute Farce, in Anbetracht der Tatsache, dass es sowas wie eine erlaubte Einreise für Menschen auf der Flucht schlichtweg nicht gibt.
DOMRADIO.DE: Wenn es jetzt zum Prozess kommen würde, dann könnten Ihnen bis zu 20 Jahre Haft und eine hohe Geldstrafe drohen. Wie sehr besorgt Sie das gerade?
Schmidt: Aus juristischen Standpunkt gar nicht, weil ich der festen Überzeugung bin, dass das alles vor Gericht keinen Bestand haben wird und kann. Das kann ich mir im Moment wirklich nicht vorstellen.
Der Kontext von diesem Prozess muss ganz klar politisch gesehen werden. Das ist ein sehr, sehr aufgeladener politischer Schauprozess. Die Anstrengungen, die getätigt wurden, um gegen uns zu ermitteln, sind enorm.
Wir wurden wie auch andere Organisationen verwanzt. Es wurde ein verdeckter Ermittler eingesetzt. Wir haben eine Strafakte, die sich auf fast 29.000 Seiten beläuft. Das ist auf jeden Fall enorm, welcher Aufwand da betrieben wird und das zeigt, welches politische Interesse dahintersteckt.
DOMRADIO.DE: Das wirkt dann wahrscheinlich auch abschreckend auf viele andere private Rettungsaktionen, oder?
Schmidt: Ich glaube, dass es das auch ein Stück weit sein soll. Nicht nur gegenüber anderen Rettern, sondern für die Menschen auf der Flucht selbst. Das hat aber eigentlich nur zwei Effekte. Das eine, und das ist das Fatale dabei, dass diese Kriminalisierung von Migration an sich beinhaltet, dass Fluchtrouten einfach nur noch länger, noch mühsamer, riskanter und damit auch tödlicher werden. Das hat als Ursache einzig und allein die europäische Asyl- und Migrationspolitik.
Und der zweite Effekt ist natürlich, dass die zivile Seenotrettung dadurch enorm verkompliziert wird.
Es hängt immer diese dunkle Wolke der drohenden Kriminalisierung über allem, weil uns in den letzten Jahren klar geworden ist, dass es egal ist, was wir tun oder wie wir es tun. Natürlich bewegen wir uns hier nicht in einer Grauzone, sondern das ist ganz klar legal. Seenotrettung ist kein Verbrechen. Alle beteiligten Akteure im zentralen Mittelmeer machen genau das.
Trotzdem müssen sie ständig befürchten, dass sie von Kriminalisierung betroffen werden, weil, wie wir gesehen haben und wie unser Prozess gezeigt hat, alles Mögliche konstruiert werden kann. Aus nichts, im Endeffekt.
Das Interview führte Michelle Olion.