DOMRADIO.DE: Im Winter zu pilgern ist eine andere körperliche Herausforderung als im Frühling. Was ist anders anders, wenn Sie im Winter unterwegs sind?
Michael Kaminski (Religionspädagoge, Pilgerreferent und Studienleiter an der Evangelischen Stadtakademie München): Eigentlich ist es gar nicht so sehr anders, weil man sich ja bewegt. Man hat natürlich mehrere Zwiebelschichten übereinander an, die man dann nach und nach auch ablegen kann. Denn wenn es mal bergauf geht, kann es einem durchaus warm werden.
Man muss eher darauf achtgeben, wo man läuft und ob der Boden vielleicht rutschig ist. Wichtig ist auch, dass man seine Pausen gut plant, denn es ist oft schwierig, draußen zu pausieren und einfach ein Picknick zu machen. Das heißt, man braucht Einkehrmöglichkeiten entlang des Wegs.
DOMRADIO.DE: Das Winterpilgern ist vermutlich nicht für jeden etwas?
Kaminski: Das kommt drauf an. Eintägig, finde ich, geht es ganz gut. Wenn man sich vielleicht nur zehn oder zwölf Kilometer vornimmt, in seinen Rucksack womöglich Tee und Brot einpackt, dann kann man damit ganz gut durchkommen. Ich gehe oft im Winter mit Gruppen oder auch alleine mehrere Tage. Das ist vielleicht nicht gleich für jeden etwas. Aber man muss gar nicht so viel Gepäck auf dem Rücken nehmen, wenn man mehrere Tage unterwegs ist, weil man mehr auf dem Leib trägt. Insofern ist es gar nicht so viel, was in den Rucksack muss.
DOMRADIO.DE: Sie wählen für Ihre Pilgerrouten Themen aus, mit denen Sie sich dann unterwegs auseinandersetzen. Welches Thema haben Sie im Advent?
Kaminski: Das erste Thema, mit dem ich im Advent immer unterwegs bin, ist "Pilgern statt Shoppen". In der Regel ist unsere Vorweihnachtszeit oft davon geprägt, dass wir auf Christkindlmärkten oder in Kaufhäusern sind, dort Glühwein trinken und irgendwie konsumieren. Das ist ja auch in Ordnung, man darf ja auch nach Geschenken schauen. Aber es ist eine andere Einstimmung auf Weihnachten, wenn man eben pilgert statt shoppt.
Unter diesem Oberthema behandele ich aber inzwischen auch ganz andere Themen, die jetzt nicht mit Konsum und Selbstbezogenheit zu tun haben. Beispielsweise war ich beim Nikolauspilgern am 6. Dezember mit 30 Menschen unterwegs, und wir haben unsere Erinnerungen an den Nikolaus als Kind und als Erwachsene geordnet. Wir haben sogar kleine Nikolausschiffchen gebaut, die wir auf dem See fahren ließen. Es war wirklich sehr eindrücklich. Schön ist auch immer, sich den Figuren der Weihnachtsgeschichte anzunähern.
DOMRADIO.DE: Wie die Heiligen Drei Könige - warum passen die so gut zum Pilgern im Advent?
Kaminski: Das sind für mich die Pilger der Weihnachtsgeschichte, die voller Sehnsucht in der Ferne aufgebrochen und einem Zeichen - dem Stern - gefolgt sind. Sie sind einen weiten Weg gegangen, um an einen heiligen Ort zu kommen. Was dieser heilige Ort für sie war, war für sie noch nicht so ganz klar. Sie wollten einem König huldigen. Aber wie das so alles geht und was sie sich vorgestellt haben, war bestimmt ganz anders als das, was sie dann erlebt haben. Dass sie dann im Stall in Bethlehem ankommen und das als heiligen Ort erleben können, ist sicher eine ganz große Besonderheit.
DOMRADIO.DE: Viele Menschen sind in der Zeit vor Weihnachten eher im Stress mit Geschenken oder ihrer Arbeit. Inwiefern kann so eine Pilgerwanderung helfen, den Stress oder die Hektik abzuwerfen?
Kaminski: Allein dadurch, dass man seinen Startort so wählt, dass er außerhalb der Stadt ist, ist es gar nicht so schwierig. Wobei ich mit Gruppen auch in der Stadt losgehe. Wir gehen dann nach und nach aus dem Weihnachtsmarktgeschehen, durch die Vorstädte, vielleicht an einem Fluss entlang aus der Stadt hinaus und sind schnell in der Natur. Bei den Gruppen hilft auch, dass es mit Impulsen verbunden Schweigezeiten gibt, die einen dabei unterstützen, dass man gut zu sich kommt.
DOMRADIO.DE: Wer pilgert mit Ihnen? Wer darf dabei sein?
Kaminski: Im Prinzip sind es alle Menschen, die eine Sehnsucht spüren, Dinge anders zu machen und sich selbst besser zu spüren. Wenn sie sich dann mit mir auf den Weg machen, erleben sie oft ganz große Überraschungen mit sich und mit den anderen, die mit unterwegs sind. Denn die Pilgergemeinschaft bildet sich dann, wird schnell intensiv und geht dann wieder auseinander. Vielleicht liegen darin auch so manche Geheimnisse, dass Menschen einerseits eine große Freiheit spüren, wenn sie pilgern, und andererseits aber auch eine große Verbundenheit mit denen, die mit ihnen unterwegs sind, mit den Menschen am Wegesrand und natürlich mit denen, die auf diesen Wegen schon vor Hunderten von Jahren gegangen sind.
Körperliche Voraussetzungen geben eine Begrenzung vor: Man sollte je nachdem zwischen zehn und zwanzig Kilometer laufen können. Aber wir haben dafür auch einen ganzen Tag Zeit. Die Sehnsucht, die ist das Wichtigste. Wenn man Sehnsucht spürt, dann kann man auch zum Pilgern aufbrechen.
Das Interview führte Dagmar Peters.