DOMRADIO.DE: Welche Beobachtungen haben Sie denn hier in Köln gemacht? Gab es hier einen Anstieg häuslicher Gewalt während Corona?
Anne Rossenbach (Öffentlichkeitsarbeit beim Sozialdienst katholischer Frauen (SkF) e.V. Köln): Wir haben ja die Zahlen auch für das Land Nordrhein-Westfalen, die die Deutsche Presse-Agentur erhoben hat. Da zeigt sich in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen, dass es keine vermehrten Anzeigen zum Thema häusliche Gewalt gegeben hat. Die Berliner Ambulanz verweist auch auf die Zahlen vom Juni. Das können wir bestätigen.
Seit der Lockdown zurückgefahren ist, das heißt, seit alles wieder offen ist, haben auch wir wieder steigende Zahlen, während es in der Zeit des Lockdowns sehr ruhig war, aber da sehr viel Telefonberatung stattgefunden hat, mit Überlastungsanzeigen. Aber die tatsächlichen Anzeigen bei der Polizei wegen häuslicher Gewalt sind in Köln und in ganz Nordrhein-Westfalen nicht angestiegen.
DOMRADIO.DE: Lassen Sie uns das nochmal definieren. Häusliche Gewalt, bedeutet das Prügel von Männern ausgehend gegen Frauen oder auch gegen ihre Kinder?
Rossenbach: Häusliche Gewalt ist nach dem Gewaltschutzgesetz, das seit 2001 gilt, jede Form von Gewalt in engen sozialen Beziehungen. Das heißt: Gewalt von Männern gegen Frauen, von Frauen gegen Männer, Gewalt im Pflegekontext, wenn also der zu Pflegende die Pflegeperson schlägt und umgekehrt, aber auch Gewalt gegen Kinder.
DOMRADIO.DE: Die Umfrage ergibt kein einheitliches Bild. In Berlin und Hamburg gab es mehr Fälle, in anderen Bundesländern nicht. Geht die Gleichung, Corona führt zu mehr häuslicher Gewalt nicht auf, oder es ist ein statistisches Problem?
Rossenbach: Erst einmal, denke ich, ist es ein statistisches Problem, das wir erst auswerten müssen wie viele andere Dinge am Ende des Jahres, wenn wir eine Kurve haben und sagen können: Da gab es mehr Beratung, da gab es weniger Beratung.
Bei der Statistik muss man ja auch trennen zwischen den Anzeigen, die bei der Polizei gemacht werden wegen häuslicher Gewalt. Die können relativ zeitnah ermittelt werden, während die Beratungsstellen ja immer erst am Ende eines Jahres einen Strich darunterziehen. Ich kann Ihnen natürlich heute sagen: Wir haben so viele Beratungszahlen, aber wir können das jetzt nicht klar auswerten.
Es ist also einerseits ein statistisches Problem, andererseits aber auch ein Definitionsproblem. Nämlich: Wann führte Corona, des Abgeschottet sein, die Sorgen, die Überforderung mit der Kinderbetreuung tatsächlich zu mehr Gewalt? Oder waren das ohnehin schon gewalttätige Beziehungen, die unter den Bedingungen von Corona dann nochmal stärker in die Gewalt gegangen sind? Vielleicht hat es jemand ausgehalten, einmal pro Monat gewalttätig angegriffen zu werden. Wenn das aber wöchentlich oder täglich geschieht, dann ist die Not so groß, dass man dann doch schneller geht.
DOMRADIO.DE: Wie sind so Ihre Beobachtungen beim SkF? Hat die Corona-Zeit die Familien denn in den letzten Monaten sehr überfordert?
Rossenbach: Corona war für Familien eine absolute Katastrophe. Und zwar nicht nur für ohnehin belastete Familien, sondern für alle Familien. Kinderbetreuung, Angst um die eigene Existenz, die Kinder nicht in der Schule zu wissen. Wir haben ganz hautnah erlebt, dass Familien gehungert haben, weil die Kinder kein Essen in der Schule oder in der Kita bekommen haben, nicht wissen, wie es mit der mit dem Unterricht weitergeht. Das war ja zum Teil von Lehrerin zu Lehrerin unterschiedlich.
All diese Belastungen haben sich unmittelbar auf Kinder ausgewirkt. Es gibt auch Untersuchungen, dass Kinder sehr darunter gelitten haben, wenn die Eltern sich gestritten haben. Das muss noch nicht mal was mit Gewalt zu tun haben. Einfach die Tatsache, dass Kinder jede Form von Verunsicherung, von Aggressionen, auch von verbaler Gewalt miterleben, prägt die Kinder – auch die Unsicherheit im Alltag.
DOMRADIO.DE: Sie haben beobachtet, dass die Inobhutnahme von Kindern jetzt gestiegen ist?
Rossenbach: Ja, das ist tatsächlich bundesweit, denke ich, ein einheitliches Phänomen. Zumindest wird da vielfach darüber berichtet, dass, seit die Systeme Schule, Kindertageseinrichtungen und so weiter wieder hochfahren, man viel mehr Kindeswohlgefährdungen sieht und Kinder auch wieder aus ihren Familien verstärkt herausgenommen werden.
DOMRADIO.DE: Welche kurzfristigen Hilfen bieten Sie als Sozialdienst katholischer Frauen den Betroffenen an?
Rossenbach: Wir haben als Sozialdienst katholischer Frauen jeden Tag eine offene Sprechstunde. Die haben wir unter Corona-Bedingungen auch noch einmal ausgeweitet, in den Nachmittag hinein. Wir haben eine Interventionsstelle gegen häusliche Gewalt, gemeinsam mit der Diakonie Michaelshofen, die das im rechtsrheinischen Köln macht. Wir arbeiten mit ambulanter Familienhilfe in Fällen mit Kindeswohlgefährdung. Aber am wichtigsten ist es, glaube ich, dass man einfach da ist und erreichbar ist und dann gemeinsam guckt: Was braucht man denn?
Das Interview führte Tobias Fricke.