Eine kleine Gedenkstätte an der Landstraße außerhalb der Hauptstadt San Salvadors erinnert heute noch an die grausame Tat: "Las Tres Cruces" heißt sie, weil drei Kreuze in den Himmel ragen. Auf einem Stein steht in verwitterten Buchstaben: "Es gibt keine größere Liebe, als das Leben für seine Freunde hinzugeben". Hier wurden am 12. März 1977 der Priester Rutilio Grande und seine beiden Begleiter, der Küster Manuel Solórzano und der 16jährige Nelson Lemus getötet. Die drei waren auf dem Weg zur Abendmesse, als sie in einen Hinterhalt gerieten und im Kugelhagel einer Gruppe von Todesschwadronen starben: Die Rache der Oligarchen dafür, dass der Seelsorger in seinen Predigten die soziale Ungleichheit und die Gewalt in El Salvador angeprangert hatte.
Langjährige Freundschaft mit Oscar Romero
Rutilio Grande war Pfarrer in der Stadt Aguilares, rund 30 Kilometer nördlich von San Salvador, und ein enger Freund des inzwischen heiliggesprochenen Óscar Arnulfo Romero. Das Attentat war ein Wendepunkt in dessen Leben: "Monsignore Romero kann nicht ohne Rutilio Grande verstanden werden", schreibt sein Biograph Padre Rodolfo Cardenal. Romero, der erst kurz zuvor Erzbischof von San Salvador geworden war, hatte lange als konservativer Kirchenmann gegolten, der sich aus politischen Konflikten heraushalten wollte. "Rutilio hat mir die Augen geöffnet", sagt er später, "wenn sie ihn umbringen für das, was er getan hat, dann muss ich denselben Weg gehen!" Romero und Grande verband eine langjährige Freundschaft, nach dem Mord begann auch der Bischof, die schweren Menschenrechtsverletzungen und soziale Ungerechtigkeit in El Salvador zu kritisieren – und wurde dafür am 24. März 1980 während der Heiligen Messe getötet.
Umsetzung der "Option für die Armen"
Wie Romero war auch Rutilio Grande zunächst ein zurückhaltender Mensch, sein Biograf Cardenal beschreibt ihn als einen Mann, der einen "Genauigkeitsfimmel hatte, übertriebenen Wert auf das Äußere legte und Angst davor hatte, sich lächerlich zu machen." Ängstlich und unsicher sei er anfangs gewesen. Geboren am 5. Juli 1928 und 1959 zum Priester geweiht, arbeitete Rutilio Grande zunächst 20 Jahre in der Priesterausbildung, bevor er 1972 als Seelsorger in seine Heimatstadt Aguilares zurückkehrte.
Dort setzte er das um, was die lateinamerikanischen Bischöfe 1968 im kolumbianischen Medellín beschlossen hatten: die vorrangige "Option für die Armen", mit der die lateinamerikanische Kirche sich in der Nachfolge Christi an der Seite der Armen und Entrechteten stellte. "Und er hat ernst genommen, was sich der Jesuitenorden – er war ja auch Jesuit - im Anschluss an das Zweite Vatikanische Konzil zum Programm gemacht hat, nämlich Glaubensverkündigung mit dem Kampf für die Gerechtigkeit zu verbinden", sagt der Jesuit Martin Maier, der viele Jahre in El Salvador gelebt hat und heute Hauptgeschäftsführer des Lateinamerikahilfswerkes Adveniat ist. "Glaube und Gerechtigkeit - das ist die Kurzformel dessen, was Jesuiten als ihre Sendung in der Welt von heute verstehen. Und das hat in Rutilio Grande persönlich verändert", sagt er.
Anklage und Protest
In seiner Gemeinde baute "Padre Tilo", wie sie ihn dort nannte, Basisgemeinden auf, bildete Katecheten aus und setzte sich für die Verbesserung der Lebensverhältnisse der Landarbeiter und Kleinbauern ein. El Salvador war Ende der 1970er Jahre de facto eine Diktatur, beherrscht von einer Koalition aus Militärs und den wirtschaftlich Mächtigen des Landes. Die Armut war groß.
Verkündigung habe die prophetische Anklage eingeschlossen, schreibt der Biograf Cardenal. Nach dem Vorbild Jesu habe Rutilio Grande die Unterdrücker angeklagt und die Unterdrückten ihrer Würde und ihrer Rechte bewusst gemacht. Einmal predigte Grande: "Die herzlosen und gottlosen Reichen, die den Maisbrei nur für sich und […] nicht mit den Brüdern und Schwestern in dieser geschwisterlichen Eucharistie teilen wollen, das sind die Reichen, die Gott mit leeren Händen davongehen lässt, weil sie grausame Kaine sind".
Protest besiegelte sein Todesurteil
Jeglicher Protest wurde damals mit Repression beantwortet; finanzielle und logistische Unterstützung bekam die Oligarchie aus den USA. "Mit seiner leidenschaftlichen Predigt gegen den Machtmissbrauch und die Heuchelei der Mächtigen und für die Rechte und die Würde der Armen besiegelte Rutilio Grande sein Todesurteil", davon ist der Jesuit Martin Maier überzeugt.
Der Priester wurde eine Symbolfigur für die Hinwendung der katholischen Kirche El Salvadors zu den Armen. Dass er jetzt gemeinsam mit seinen beiden Begleitern Manuel Solórzano und Nelson Lemus seliggesprochen wird, bezeichnet Maier als wichtiges Zeichen: "Es sind die ersten Laien El Salvadors, die selig gesprochen werden und deshalb ist es für die Kirche und für das Volk dort wichtig", sagt er. Zudem würdige die Seligsprechung auch die Tausenden Katecheten und Leiterinnen von Basisgemeinden, die in El Salvador in den Jahren des Bürgerkriegs umgebracht wurden.
Mit ihnen wird auch der Franziskaner Cosme Spessotto seliggesprochen, ein italienischer Missionar, der in den 1950er Jahren nach El Salvador kam. Auch er hatte angesichts der Ungleichheit und der Gewalt im Land geschwiegen. Er wurde nur wenige Monate nach Oscar Romero, am 14. Juni 1980, in seiner Kirche erschossen. Mitten im Gebet.
Ina Rottscheidt