Das von Papst Franziskus und Großimam Großimam der Kairoer Al-Azhar-Moschee Ahmad Al-Tayyeb im Februar 2019 unterzeichnete Papier beanspruche "von den Angehörigen der beiden Religionen eine Zustimmung, die sie in ihrem Gewissen verpflichtet", schrieb Müller in der Zeitschrift "Communio".
Zwar sei die Unterzeichnung kein Akt des päpstlichen "Lehramtes, der die geoffenbarten Glaubens- und Sittenlehren betrifft", es sei aber auch nicht "eine Privatmeinung des Papstes", so Müller in der aktuellen Ausgabe (3/2020).
Jeder Zwang in Glaubensfragen absolut unvereinbar
Franziskus und der Großimam würden sich in dem Schriftstück dazu bekennen, dass "jede Gewalt und jeder Zwang gerade in Glaubensfragen absolut unvereinbar" seien. Dies entspreche im Übrigen einer "Folgerung", die bereits Benedikt XVI. in seiner Regensburger Rede 2006 "als Erkenntnis-Prinzip des interreligiösen Dialogs formuliert hatte".
Ebenso wenig sei es aus christlicher wie islamischer Sicht legitim, "mit welcher Begründung auch immer die fundamentalen Menschenrechte in Frage" zu stellen, weil niemand anderer als Gott ihr Urheber und Garant sei. "Denn die Menschenrechte sind in der Würde begründet, die Gott selbst jedem Menschen verliehen hat."
Kritik von streng konservativer Seite
Zu dem von Kritikern geäußerten Vorwurf, das "Dokument über die universelle Geschwisterlichkeit der Menschen" relativiere den katholischen Glauben, schrieb Müller: "Weder Papst noch Großimam haben in ihrer Erklärung ihr je eigenes und inhaltlich sich in wesentlichen Fragen widersprechendes Glaubensbekenntnis aufgegeben." Und weiter: "Das Dokument wurzelt ebenso wenig im Relativismus gegenüber dem Wahrheitsanspruch Gottes, wie es in die Richtung einer Einheitsreligion weist."
Kurz nach der Unterzeichnung des Dokumentes gab es von streng konservativer Seite Kritik, der Text relativiere den katholischen Glauben. Es hieß es unter anderem, das Christentum sei die einzige von Gott gewollte Religion. Es gleichwertig neben andere Religionen zu stellen, widerspreche der christlichen Offenbarung. Diesen Vorwurf weist Müller zurück. Das Dokument mache klar, dass interreligiöser Dialog keinem "dogmatischen und ethischen Relativismus die Tür öffnet, indem er auf die Wahrheitsfrage verzichtet".