Telim Tolan ist Vorsitzender des Zentralrats der Jesiden in Deutschland.
domradio.de: Die Terrororganisation IS, Islamischer Staat rückt immer weiter im Norden vor und bedroht zurzeit vor allem die kurdischen Jesiden. Warum gerade die Jesiden?
Tolan: Die Jesiden gelten in den Augen der Dschihadisten des Islamischen Staates als Ungläubige, und werden entweder zum Islam zwangsbekehrt oder ermordet. So ist die aktuelle Situation in dem Krisengebiet.
domradio.de: Wie gehen die Terrormilizen vor? Wie müssen wir uns die Situation der Jesiten genau vorstellen im Irak?
Tolan: Wir haben mehrere gesicherte Erkenntnisse, dass Jesiden aufgefordert werden, ihre Religion abzugeben und die islamische Religion anzunehmen. Da die Jesiden das verweigern, werden sie einfach hingerichtet - und das vor den Augen der Kinder und Frauen. Frauen werden entführt, vergewaltigt, werden auf Märkten verkauft. Die Situation ist katastrophal.
domradio.de: Rund 200.000 Jesiden sind zurzeit auf der Flucht. Etwa 30.000 Familien befinden sich im Sindschar-Gebirge, ohne Vorräte, also ohne Wasser und Essen. Wir haben vom amerikanischen Präsidenten Obama gehört, dass Hilfeleistungen geplant sind, vielleicht sogar schon angelaufen sind. Aber können Hilfskräfte da überhaupt hinkommen, wo sich die Menschen befinden?
Tolan: Das Problem ist, dass sehr viel Jesiden, circa 80.000, mittlerweile in die Berge geflüchtet sind. Dort kommen die Hilfsgüter nur sehr schwer an, zumal im Moment die Hilfsgüter auch nur in sehr geringem Maße abgeworfen werden - nur wenige ereichen letztendlich die Jesiden. Es muss einfach mehr abgeworfen werden, und es müssen vor allem auch die Truppen der Kurden und der Iraker noch deutlich mehr in das Krisengebiet marschieren und Sicherheitszonen schaffen.
domradio.de: Was fordern Sie von Deutschland? Von der Internationalen Gemeinschaft?
Tolan: Wir fordern von der Bundesregierung, dass sie die Versorgung aller Flüchtlinge mit Trinkwasser, mit Nahrungsmitteln und allen anderen benötigten Hilfsgütern unterstützt. Wir wollen, dass die internationale Staatengemeinschaft über Sofortmaßnahmen entscheidet, und zum Beispiel militärische Intervention einleitet. Das heißt unter anderem auch, eine Schutzzone einzurichten, um eben die Sicherheit die Menschen dort zu gewährleisten und sicher zu stellen, dass die Versorgung gewährleistet ist.
domradio.de: Der Konflikt reicht bis nach Deutschland - im westfälischen Herford gab es gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Jesiden und Muslimen. Am Wochenende sind auch wieder neue Kundgebungen, Proteste angekündigt für Bielefeld und auch noch einmal Herford. Wie kann man verhindern, dass es wieder zu Gewalt zwischen diesen beiden Gruppen kommt?
Tolan: Das ist etwas, das sehr schwer zu beurteilen ist. Von unserer Seite gibt es keine Absichten, irgendetwas auch noch in Deutschland vorzuführen. Wenn Provokationen da sind, und Leute versuchen, diese Konflikte in Deutschland weiterzuführen, dann verurteilen wir das aufs Schärfste. Es kann nicht sein, dass jetzt, bei dem, was den Jesiden im Nord-Irak passiert, hier auch noch Islamisten die friedlichen Kudngebungen der Jesiden zu stören. Hier bitten wir die Polizei weiterhin, einzugreifen, und wir fordern aber auch die Jesiden selbst auf, sich nicht auf die Provokationen einzulassen, auch wenn die emotionale Situation im Moment extrem zugespitzt ist.
(Das Interview führte Daniel Hauser.)