SkF-Vorständin wünscht sich mehr Veränderung in der Kirche

Für bunte Vielfalt

Nach drei Jahrzehnten im Amt wünscht sich Monika Kleine, dass katholische Frauen sich weiter für Menschen am Rand einsetzen. Sie sorgt sich um Ausgrenzung und Radikalisierung und attestiert der katholischen Kirche “Verfestigungen”.

Sozialdienst Katholischer Frauen (DR)
Sozialdienst Katholischer Frauen / ( DR )

DOMRADIO.DE: Sie werden pensioniert in einem Moment, den viele in Deutschland als schwierig erleben. Anfängliche Hoffnungen, die Ampelkoalition werde deutliche Erleichterungen im Sozialbereich bringen, haben sich so nicht erfüllt. Wie nehmen Sie diesen Moment aus Ihrer Arbeit heraus wahr? 

Monika Kleine (scheidende Geschäftsführerin und Vorständin Sozialdienst katholischer Frauen in Köln, SkF): Wenn ich an unsere Klientinnen denke, an unsere Mitarbeiterinnen und auch an die Landschaft der Verwaltung und Politik, erlebe ich ein sehr erschöpftes Deutschland. Ich erlebe ein Deutschland, das sich sehr zurückzieht in den privaten Raum, das wenig Optimismus und sehr kurze Zündschnüre hat. 

Monika Kleine, Geschäftsführerin des SkF Köln / © Maria Schulz (Sozialdienst katholischer Frauen (SkF) Köln)

DOMRADIO.DE: In den aktuellen Debatten spielen Politiker mehrerer Parteien immer wieder im Niedriglohnsektor-Beschäftigte gegen Bürgergeld-Bezieher aus. Was zeigt das in Ihren Augen über den Zustand unserer Gesellschaft? 

Kleine: Ich finde, dass das eine große Entsolidarisierung deutlich macht. Die Menschen gucken sehr stark auf sich. Der Blick auf die anderen führt zu einem Miteinander und einem Mehrgewinn. Dies ist gegenwärtig nicht mehr selbstverständlich. 

DOMRADIO.DE: Was macht Ihnen gesellschaftspolitisch die größten Sorgen? 

Kleine: Unsere Welt und auch die Problemlösungen sind sehr komplex. Diese Tatsache treibt die Menschen in die Sehnsucht, ganz einfache Lösungen zu haben. So steigen sie ins Schwarz-Weiß-Denken ein. Das führt zu Radikalisierung und Ausgrenzung. Das ist wirklich das, was mich am allermeisten umtreibt. 

Monika Kleine

"Wir können nur mit sehr viel Menschenliebe, Optimismus und Verständnis Brücken bauen."

DOMRADIO.DE: Haben Sie denn eine Idee, was man dagegensetzen könnte? 

Kleine: Ja, das, was wir beim Sozialdienst katholischer Frauen tun. Es hat sich erwiesen, bestimmten Zielgruppen, die sich sehr eng und sehr ausgrenzend verhalten, zu vermitteln, was die Beweggründe und die Situation der anderen Beteiligten sind, die es in der Gesellschaft noch gibt. 

Wir können nur mit sehr viel Menschenliebe, Optimismus und Verständnis Brücken bauen. 

DOMRADIO.DE: Sie waren hier in Köln und auch in Nordrhein-Westfalen Mitglied diverser Corona-Beratungsgremien. Wie sehen Sie das jetzt im Rückblick? Welche Spuren hinterlässt die Pandemie im gesellschaftlichen Zusammenleben? 

Kleine: Ich sehe, dass es einen großen Rückzug in den privaten Raum und nach dem Durchhalten in der Pandemie eine große Erschöpfung gegeben hat. Ich nehme außerdem wahr, dass die Menschen sich total schwertun, wieder auszusteigen aus diesem “Privatissimum”. 

Viele pflegen und hüten ihre kleine persönliche Blase: Dadurch haben sie das soziale Miteinander oft regelrecht verlernt. 

DOMRADIO.DE: Der SkF vertritt kirchenpolitisch einen progressiven Kurs. Was für Positionen waren und sind Ihnen da besonders wichtig? 

Kleine: Ganz vorne wünsche ich mir, erwarte ich und fordere auch, dass die Kirche bunte geschlechtliche Vielfalt in allen Lebensformen gleichberechtigt anerkennt. Das ist etwas, wofür wir kämpfen, wofür wir stehen und wo ich auch finde, dass es noch ein weiter Weg zu gehen ist. 

DOMRADIO.DE: Wenn wir das im Hinterkopf haben, wie erleben Sie aktuell die Situation der katholischen Kirche in Deutschland? 

Kleine: Ich finde, sie ist sehr erodiert. Sie spielt eigentlich im Leben der Menschen kaum noch eine Rolle. 

Das macht mich wirklich traurig und wütend, weil ich glaube, dass Menschen einen Transzendenzbezug brauchen. Sie brauchen Halt in diesem Leben zwischen Wurzeln und Flügeln. 

Das Evangelium bietet da eine Menge. Aber die Kirche gibt in ihren Strukturen und mit ihren Verfestigungen ein schlechtes Zeugnis ab. 

Deswegen kommen die Antworten nicht rüber, die die Kirche geben könnte. 

Monika Kleine

"Ich glaube, wenn die Kirche sich mit ihren Wahrheiten nicht der Vielfalt der Menschen stellt, dann wird sie keine Überlebensmöglichkeit haben." 

DOMRADIO.DE: Sie haben von Verfestigungen gesprochen. Wo sehen Sie denn innerkirchlich im Moment den dringendsten Handlungsbedarf? 

Kleine: Den dringendsten Handlungsbedarf sehe ich darin, dass Menschen erleben, dass sie in ihrem Sosein, in ihrer Wesentlichkeit, einen Platz in der Kirche haben. 

Ich erlebe bei der Kirche neben der Erosion auch die Ausgrenzung. Ich glaube, wenn die Kirche sich mit ihren Wahrheiten nicht der Vielfalt der Menschen stellt, dann wird sie keine Überlebensmöglichkeit haben. 

DOMRADIO.DE: Sie hatten jahrzehntelang als Frau eine Führungsposition in einer katholischen Organisation inne. Gegen welche Widerstände mussten Sie da eventuell arbeiten? 

Kleine: Auch wenn ich Sie vielleicht enttäusche, ich musste nicht gegen Widerstände arbeiten. Ich habe immer mein Frausein und meine politischen Meinungen und Haltungen sehr selbstverständlich vertreten und bin damit auch ernst genommen worden. Ich musste nicht um meinen Existenzplatz kämpfen. 

DOMRADIO.DE: Wie hat sich denn in Ihrer Wahrnehmung das Standing von Frauen in den Führungsetagen im Laufe der Jahre gewandelt? 

Kleine: Ich finde, dass sich Frauen heute sehr viel selbstverständlicher und selbstbewusster Plätze nehmen und einfordern, die auch im Machtbereich liegen. 

Wenn wir beispielsweise auf die Kölner Stadtverwaltung gucken, sehen wir, wie viele Plätze mit Frauen besetzt sind. Das hat nicht mehr diesen Beigeschmack, dass es über Quoten geregelt werden muss. 

Ich bin überhaupt keine Verfechterin der Quote, wohlwissend, dass sie aber an der einen oder anderen Stelle notwendig ist, in der Wirtschaft noch mehr als in unseren Bereichen. 

Aber ich finde das Schöne ist die Selbstverständlichkeit, mit der Frauen heute antreten und sagen: “Uns gehört die Hälfte der Welt.” 

Monika Kleine

"Das gefällt und hat mir in Köln stets gut gefallen, dass das Unkonventionelle immer eine echte Möglichkeit war."

DOMRADIO.DE:  Bestimmt gibt es etwas in Ihrer langen Zeit beim SkF, auf das Sie stolz sind.... 

Kleine: Als Überschrift würde ich sagen: Wir konnten bei Fragen und Problemen, auf die wir gestoßen sind, immer experimentell versuchen, Antworten zu finden. 

Ein Beispiel ist, dass wir es in Köln damals geschafft haben, den Drogenstrich vom Reichenspergerplatz an die Geestemünder Straße zu verlegen

Die Menschen sind mitgegangen, wenn wir versucht haben, experimentell neue Wege zu begehen. Das gefällt und hat mir in Köln stets gut gefallen, dass das Unkonventionelle immer eine echte Möglichkeit war. 

DOMRADIO.DE: Wo haben Sie das Gefühl, da wäre vielleicht noch mehr drin gewesen, da hätten Sie noch mehr tun müssen?

Kleine: Ich weiß nicht, ob wir mehr hätten tun müssen. Wir wollen aber auf jeden Fall nicht nachlassen. Ich sagte eingangs, dass Ausgrenzungen stark zunehmen. Da müssen wir laut bleiben und gegebenenfalls auch noch lauter werden, wenn es um Randgruppen geht wie wohnungslose Menschen, Prostituierte oder inhaftierte Frauen. Die fallen ganz schnell durchs Raster.

DOMRADIO.DE: Was war und ist denn Ihr Herzensthema beim SkF? 

Kleine: Ich würde das vielleicht so beschreiben: Als ich beim SkF angefangen habe, hatten wir 130 Mitarbeiterinnen, heute sind es 540. Obwohl wir stark gewachsen sind, ist es uns gelungen, keine Konzernmentalität zu entwickeln. 

Wir haben nach wie vor in einer sehr persönlichen Art und Weise miteinander gearbeitet. Mein Herzensthema ist also, dass wir miteinander so umgehen, wie wir mit den Menschen umgehen, die uns anvertraut sind. 

DOMRADIO.DE: Zum Jahresende gehen Sie in Rente. Was ist das für ein Gefühl? 

Kleine: Das kann ich gar nicht richtig beschreiben. Ich habe wirklich mit Herz und Seele und viel Energie gearbeitet. Jetzt bin ich wild entschlossen, erst einmal anzuhalten, tief Luft zu holen und ein bisschen leer zu werden. Dann werde ich versuchen, mich noch einmal neu zu erfinden. 

DOMRADIO.DE: Wenn Sie auf die Zukunft Ihres SkF schauen, was wünschen Sie Ihren Nachfolgerinnen? 

Kleine: Ich wünsche ihnen, dass sie so viel Lebensfreude und Lust haben wie ich am Ende meiner Dienstjahre. Und dass sie sich darauf verlassen können, dass sie eine wunderbare Gruppe von Menschen haben, die sie unterstützen werden. 

Ich glaube, wenn diese Lebenshaltung bleibt, dann kann uns gar nicht so viel passieren. 

DOMRADIO.DE: Wir haben über die schwierige Lage unseres Landes im Moment gesprochen. Sie wirken trotz allem sehr optimistisch und zukunftszugewandt. Was gibt Ihnen Hoffnung, dass es trotz allen Schwierigkeiten gut weitergehen kann? 

Kleine: Ich kann gar nicht genau beantworten, woher ich meinen Optimismus habe. Mein Glaube hat mich immer getragen. Wenn es um die Entscheidung geht, ob ich es regeln kann oder nicht, geht es immer auch ein bisschen um Demut. 

Ich habe viel geschenkt bekommen, an Talenten, Hilfen und Unterstützung. Ich glaube, das ist das kleine Geheimnis. 

Das Interview führte Hilde Regeniter.

Sozialdienst katholischer Frauen (SkF)

Die Gründung des Sozialdienstes katholischer Frauen e. V. Köln geht zurück auf die Initiative zweier Frauen, Agnes Neuhaus in Dortmund und Marie Le Hanne Reichensperger in Köln, die sich unabhängig voneinander um 1899/1900 herum entschlossen, Frauen und Mädchen in Not Hilfe zu leisten.

Sozial-caritatives Leben entsprach zwar durchaus den gesellschaftlichen Moralvorstellungen und dem Frauenbild des ausgehenden 19. Jahrhunderts, allerdings nicht in der Form, wie es dann von den Frauen dieses Vereins gelebt wurde.

Sozialdienst Katholischer Frauen (DR)
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