Sorge um Katholiken im Gaza-Streifen

"Die Kontakte sind zurzeit abgebrochen"

138 Katholiken leben im Gaza-Streifen. Wie geht es der Gemeinde? Matthias Kopp, Sprecher der Deutschen Bischofskonferenz und Nahostexperte, weilt zur Zeit in Rom auf der Weltsynode. Wie wird dort auf den Krieg geblickt?

Luftangriffe auf Gaza-Stadt / © Fatima Shbair/AP (dpa)
Luftangriffe auf Gaza-Stadt / © Fatima Shbair/AP ( dpa )

DOMRADIO.DE: Wenn Sie auf das Heilige Land jetzt schauen, was bewegt Sie dann?

Matthias Kopp (KNA)
Matthias Kopp / ( KNA )

Matthias Kopp (Sprecher der Deutschen Bischofskonferenz und Nahost-Experte): Es sind erschütternde Bilder, die einem den Hals zuschnüren. Es ist so fürchterlich zu sehen, was dort an Brutalität, an Hass, an Gewalt sich in den letzten Tagen entwickelt hat. Und die Gedanken sind wirklich bei all denen, die entführt wurden von der Hamas, die getötet wurden. Dass ein Land so unter Schock stehen kann, so überfallen wird, das hätte, glaube ich, keiner von uns gedacht.

DOMRADIO.DE: Sie sind hier auch im Austausch mit Synoden-Teilnehmern, die im Nahen Osten beheimatet sind. Wie sehen die die Situation?

Kopp: Kardinal Rai, das Oberhaupt der maronitischen Kirche im Libanon, hat in einer Predigt am Montagmorgen ja auf die Notwendigkeit des Friedens im Nahen Osten hingewiesen. Papst Franziskus hat einen unmissverständlichen Appell zum Schweigen der Waffen veröffentlicht am vergangenen Sonntag. Das ist hier ein Thema in Rom, und das ist auch gut so, dass die Weltsynode natürlich ihre eigenen Themen hat, aber auch das wahrnimmt, was in der Welt passiert, ob es in Israel Palästina ist, ob es in Afghanistan nach dem verheerenden Erdbeben ist, ob es in der Ukraine ist. Die Welt spielt hier schon eine Rolle.

DOMRADIO.DE: Sie kennen die Situation im Heiligen Land, besonders auch die der Christen. Wie sieht das aus für die Christen als eine Minderheit im Gazastreifen?

Junge Christen in Gaza (Archiv) / © Andrea Krogmann (KNA)
Junge Christen in Gaza (Archiv) / © Andrea Krogmann ( KNA )

Kopp: Ja, es ist eine große Sorge, was mit den 1.200 Christen passiert. Von den 1.200 Christen sind nur 138 katholisch. Aber die gibt es eben dort, und die werden jetzt natürlich in Mitleidenschaft gezogen werden, wie die gesamte Bevölkerung im Gazastreifen. Die Kontakte sind zurzeit abgebrochen, weil es keine Telekommunikationsverbindungen in den Gazastreifen gibt. Die Caritas und andere Hilfsorganisationen ständen bereit, wenn geholfen werden müsste und könnte - das alles gerade noch sehr stark im Konjunktiv. Wir wissen es nicht, wie es unserer katholischen Pfarrei mitten im Zentrum von Gaza-City geht. Ich habe sie oft besucht in den vergangenen Jahren. Das war immer sehr bewegend, durch die Sperre der Israelis fahren zu müssen, dann durch Gaza-City bis an diese Pfarrei heranzukommen. Ich kann nur hoffen und beten, dass es unseren Gläubigen da gut geht. Aber ich bete auch für alle anderen, dass dieser Krieg möglichst schnell ein Ende hat.

Matthias Kopp, Nahost-Experte

"Es braucht dringend Verhandlungen."

DOMRADIO.DE: Jetzt hat die israelische Regierung angekündigt, den Gazastreifen komplett abzuriegeln. Was bedeutet das eigentlich?

Kopp: Israel braucht Sicherheit und das uneingeschränkte Existenzrecht Israels steht nicht zur Debatte. Genauso wie es auch einen starken palästinensischen Staat zumindest in der Westbank braucht. Dass der Staat Israel mit der Härte jetzt reagiert ist eine natürliche Reaktion auf das, was die Hamas angerichtet hat. Dass hier ein großer Teil der Bevölkerung mit in das Elend hineingezogen wird, ist wiederum Kalkül des israelischen Staates. In der jetzigen Situation, die teilweise noch ungeklärt ist aufgrund der vielen Entführten in den Gazastreifen hinein, wird man dieses Abriegeln verstehen müssen, um Druck aufzubauen. Ob die dauerhaften Bombardements wirklich zum Ziel führen, wage ich zu bezweifeln. Aber es braucht dringend Verhandlungen und ich bin sehr froh, dass die Europäische Union hier schon signalisiert hat, auch die Verhandlungsbasis für beide Seiten bereitzustellen.

Ordensschwestern in Gaza (Archiv) (KNA)
Ordensschwestern in Gaza (Archiv) / ( KNA )

DOMRADIO.DE: Sie kennen nicht nur die Situation im Heiligen Land, sondern auch rundherum im Nahen Osten sehr gut. Wie groß ist die Gefahr eines Flächenbrandes?

Kopp: Die Gefahr ist groß, vor allen Dingen jetzt mit den ersten Angriffen der Hisbollah aus Südlibanon auf Nordisrael. Wenn wir gucken, wer hinter dieser Aufrüstung der Hamas steht, dann fällt der Blick ja unweigerlich auf Baschar al Assad, den Iran und die Hisbollah im Libanon. Und von da aus kann auch ein Flächenbrand ausgehen. Ägypten ist bedingt stabil derzeit, in Jordanien hält der König das Land gut im Griff. Aber im Moment ist die Situation so, dass es ein Flächenbrand werden kann. Und das Wort, das in diesen Tagen fiel, dass hier schlimmer gewütet wurde durch die Hamas als durch den sogenannten Islamischen Staat im Irak, das ist schon ein starkes Bild. Ich möchte das nicht miteinander vergleichen, aber das zeigt natürlich die Dramatik.

DOMRADIO.DE: Wenn wir noch mal auf die Ursachen schauen. Gibt es etwas, wo man sagen kann, das war eigentlich jetzt der Zeitpunkt, mit dem man doch rechnen musste?

Kopp: Der israelische Staat ist ja zutiefst gespalten gesellschaftlich. Das hat sich in den letzten zehn Jahren schon entwickelt, dass die israelische Gesellschaft nicht mehr die eine israelische Gesellschaft ist, sondern dass man aufgrund einer sehr umstrittenen Gesundheitsreform immer wieder Massendemonstrationen hatte. Dann die letzten Monate die sehr umstrittene Justizreform, die das Land zutiefst gespalten hat. Das heißt, die Gesellschaft war geschwächt. Und diese Schwäche hat die Hamas eiskalt ausgenutzt. Mit dem Effekt, dass Israel nie so geeint war wie in den letzten 72 Stunden im Vergleich zu den letzten zehn Jahren. Aber diese Schwächung der israelischen Gesellschaft führt jetzt auch zu einer Stärke dieser Gesellschaft.

Das Interview führte Ingo Brüggenjürgen, Chefredakteur von DOMRADIO.DE

Quelle:
DR