Sozialethiker Nass warnt vor plakativer Kritik in Migrationsdebatte

"Eine pauschale Diskriminierung sehe ich nicht"

Auch von kirchlicher Seite kommt Kritik an den Unionsvorschlägen für eine strengere Migrationspolitik. Sozialethiker Elmar Nass warnt jedoch vor kirchlichen Wahlempfehlungen und sieht die Notwendigkeit einer neuen Migrationspolitik.

Autor/in:
Mathias Peter
Friedrich Merz / © Daniel Karmann (dpa)

DOMRADIO.DE: Der CDU-Chef und Kanzlerkandidat Friedrich Merz spricht nach dem Mord an einem zweijährigen Jungen im Park von Aschaffenburg von einer neuen Dimension der Gewalt und hat einen Fünf-Punkte-Plan vorgelegt. Am Freitag soll über ein Gesetz abgestimmt werden. Wie sinnvoll oder vielleicht sogar populistisch ist es, das große und auch emotionale Thema Migration im engen zeitlichen Zusammenhang mit einer solchen Tat politisch anzugehen?

Prof. Dr. Dr. Elmar Nass (privat)
Prof. Dr. Dr. Elmar Nass / ( privat )

Prof. Dr. Dr. Elmar Nass (Christlicher Sozialethiker und Prorektor der Kölner Hochschule für Katholische Theologie): Die CDU bringt schon seit Monaten immer wieder Vorschläge zu diesem Thema ein und gibt damit Anstoß zu Diskussionen. Etwa auch Ideen von Abkommen mit Drittländern, wie es Großbritannien praktiziert. 

Es ist also nicht so, dass die Union erst durch Aschaffenburg wach geworden ist, um nach langfristigen Lösungen Ausschau zu halten. Solche Diskussionen und auch kontroversen Vorschläge gehören zu einer funktionierenden Demokratie dazu. Wer das unterbinden möchte, schadet der Demokratie. Die zeitliche Nähe der fünf Punkte zu dem Attentat von Aschaffenburg ist so gesehen nicht eine panische Kurzschlusshandlung, sondern bezieht auch längerfristige Überlegungen mit ein. 

Elmar Nass

"Politik funktioniert natürlich auch so, dass Stimmungen für Entscheidungen genutzt werden."

Politik funktioniert natürlich auch so, dass Stimmungen für Entscheidungen genutzt werden. Ich erinnere da an den Atomausstieg nach Fukushima. Das ist nicht illegitim. Es ist eher bedauerlich, dass mit dem Thema nun mit bisweilen unsachlichen Vereinfachungen und Vergleichen Wahlkampf gemacht wird.

DOMRADIO.DE: Kritiker von kirchlicher Seite wie der Caritas sagen, Friedrich Merz diskriminiere mit seinen Vorschlägen und der damit entstandenen Debatte pauschal die Migranten, die Täter von Magdeburg und Aschaffenburg seien zudem psychisch krank gewesen. Gehen also die Maßnahmen von Merz an den wahren Problemen vorbei?

Nass: Eine pauschale Diskriminierung sehe ich nicht. Davor müssen wir sehr wohl auf der Hut sein. Darin haben die Kritiker recht. Vor solcher Verlockung müssen alle auf der Hut sein, die jetzt im politischen Diskurs streiten. Mir scheint es, dass hier manche Positionen unterkomplex bleiben. Manche dieser Hinweise berücksichtigen zu wenig, dass die Notwendigkeit einer neuen Migrationspolitik nicht erst seit Magdeburg und Aschaffenburg auf dem Tisch liegt. 

Und hinsichtlich der psychischen Erkrankungen muss gefragt werden, ob nicht die deutsche Gesellschaft dafür mitverantwortlich ist. Der palästinensische Psychologe Ahmad Mansour brachte es jüngst nach den Attentaten in einem TV-Interview auf den Punkt: Deutschland hat überproportional viele Menschen aufgenommen und ist nicht hinreichend in der Lage, deren Integration zu gewährleisten. Dieser Missstand begünstigt nicht nur Radikalisierung, sondern auch psychische Erkrankungen. 

Elmar Nass

"Dafür sind die Merz-Punkte sicher nicht der Stein der Weisen. Aber immerhin ein Vorschlag, der sich dieser Realität stellt."

Das Versprechen von Frau Merkel wurde gerade nicht eingelöst. Wir müssen uns eingestehen: "Wir schaffen das nicht". Die geäußerten Kritiken leisten zur Lösung dieses Problems keine Antworten. Genau die braucht es aber jetzt. Dafür sind die Merz-Punkte sicher nicht der Stein der Weisen. Aber immerhin ein Vorschlag, der sich dieser Realität stellt. Gerade in Verantwortung vor den Menschen, die schon als Migranten hier sind. 

Bundeskanzlerin Angela Merkel / © Michele Tantussi/Reuters-Pool (dpa)

DOMRADIO.DE: Merz' Vorschläge sehen dauerhafte Grenzkontrollen, ein striktes Einreiseverbot für Personen ohne gültige Papiere sowie eine Inhaftierung ausreisepflichtiger Migranten vor. Droht dadurch nicht eine Aushöhlung des Asylrechts, das ja ein hohes demokratisches Gut ist und auch von den Kirchen immer stark unterstützt wird?

Nass: Das Ayslrecht kann und darf nicht ausgehöhlt werden. Das ist klar. Ein "einfach weiter so" mit einer unbegrenzten Zuwanderung kann es aber nicht geben. Wir müssen auch die Proportionen sehen, wie viele von den Millionen Migranten hier tatsächlich Asylrecht genießen. 

Elmar Nass

"Es muss also ein Weg gefunden werden, der die wirklich Asylsuchenden schützt."

Es muss also ein Weg gefunden werden, der die wirklich Asylsuchenden schützt. Wenn ich die Analyse von Herrn Mansour ernst nehme, heißt das aber, dass sich Deutschland mehr Zuwanderung nicht leisten kann, und das ist nicht materiell gemeint. 

Pater Stefan Kiechle SJ / © privat
Pater Stefan Kiechle SJ / © privat

DOMRADIO.DE: Vor allem, dass die AfD den Vorschlägen der Union im Bundestag zustimmen und ihnen so zu einer Mehrheit verhelfen kann, wird von den politischen Gegnern als Fall der CDU-Brandmauer zu den Rechtspopulisten angesehen. Der Jesuit Pater Stefan Kiechle sagt, für Christen wird es immer schwerer, die CDU zu wählen. Verrät die Union gerade ihren christlichen Kern?

Nass: Kirchenvertreter sollten sich mit Wahlempfehlungen zurückhalten. Was man den Bischöfen in den 70er und 80er Jahren vorwarf, gilt auch heute. Mir scheint es so, dass hier auch manches sehr plakativ formuliert wird. 

Elmar Nass

"Die politische Verdrossenheit im Land steigt, wenn eine bestimmte politische Avantgarde sich zum einzigen moralischen Hüter der Demokratie aufschwingt."

Wenn etwa der Bund der katholischen Jugend (BDKJ) der CDU pauschal Demokratie- und Menschenfeindlichkeit vorwirft, so schmeißt er mit Steinen aus dem Glashaus. Mit solch populistischen Mutmaßungen und erst recht mit anklingenden Gleichsetzungen von Konservativen mit Nazis werden Gräben gezogen statt Brücken gebaut. 

Die politische Verdrossenheit im Land steigt, wenn eine bestimmte politische Avantgarde sich zum einzigen moralischen Hüter der Demokratie aufschwingt und den politischen Gegner (in dem Fall die CDU) in die extremistische Schmuddelecke drängt. Die Väter unserer Sozialen Marktwirtschaft setzen dagegen auf eine demokratische Friedenskultur als Alternative zu allen Kampfideologien. Was wir jetzt in den zu hitzigen Gefechten sehen, entfernt sich von solchem Respekt und spaltet weiter die Gesellschaft. 

Ich glaube übrigens, dass es überzeugte Christen in allen demokratischen Parteien gibt. Man muss als Christ also kein Freund der CDU sein, aber auch nicht ihr Gegner. Einen Verrat des Kerns sieht wohl derjenige, der das Christliche in einer utopischen Urgesellschaft ausmacht, in der alle Menschen ohne Egoismus alles selbstlos miteinander teilen. 

Elmar Nass

"Was wir jetzt in den zu hitzigen Gefechten sehen, entfernt sich von solchem Respekt und spaltet weiter die Gesellschaft."

Thomas von Aquin sah es anders: Die Menschen sind nicht so. Und deshalb brauchen wir Regeln, die auch den Eigennutz einbeziehen und menschliche Schwächen zügeln. Gerade zum Schutz der Schwachen. Wer das Christliche im Sinne des Thomas versteht, wird in den Punkten den Verrat also nicht erkennen, sondern eher eine realistisch gebotene Verantwortung. Das hängt also vom Standpunkt ab, wer wie das Christliche zu definieren beansprucht.

Die Fragen stellte Mathias Peter.

Quelle:
DR

Die domradio- und Medienstiftung

Unterstützen Sie lebendigen katholischen Journalismus!

Mit Ihrer Spende können wir christlichen Werten eine Stimme geben, damit sie auch in einer säkulareren Gesellschaft gehört werden können. Neben journalistischen Projekten fördern wir Gottesdienstübertragungen und bauen über unsere Kanäle eine christliche Community auf. Unterstützen Sie DOMRADIO.DE und helfen Sie uns, hochwertigen und lebendigen katholischen Journalismus für alle zugänglich zu machen!

Hier geht es zur Stiftung!