Sozialpfarrer Meurer hinterfragt "Penny"-Experiment

"Für arme Menschen geht es um die Existenz"

"Penny" will auf die Umweltfolgekosten aufmerksam machen, die bei der Lebensmittelproduktion entstehen. Neun Produkte werden nun zum "wahren Preis" verkauft. An die Armen wurde dabei nicht gedacht, sagt Sozialpfarrer Franz Meurer.

Für neun Produkte kassiert das Unternehmen Penny die wahren Preise. Dabei werden auch verdeckte Kosten etwa für Umweltverschmutzung bei der Produktion berücksichtigt. / © Oliver Berg (dpa)
Für neun Produkte kassiert das Unternehmen Penny die wahren Preise. Dabei werden auch verdeckte Kosten etwa für Umweltverschmutzung bei der Produktion berücksichtigt. / © Oliver Berg ( dpa )

DOMRADIO.DE: Als Sozialpfarrer kümmern Sie sich viel um Menschen, die nicht so viel Geld in der Tasche haben. Was halten Sie von der "Penny"-Aktion?

Pfarrer Franz Meurer / © Melanie Trimborn (DR)
Pfarrer Franz Meurer / © Melanie Trimborn ( DR )

Pfarrer Franz Meurer (Sozialpfarrer in Köln-Höhenberg und Vingst): Erstens habe ich mir natürlich sofort den Maasdamerkäse gekauft, der 94 Prozent teurer ist und habe heute Morgen den teureren Bio-Joghurt gegessen. Ich weiß also, worum es geht.

Zweitens haben wir heute unsere Lebensmittelausgabe. Ich bin grundsätzlich ein riesiger Gegner der Lebensmittelausgabe, denn wir müssen es sozial schaffen, dass die Leute von dem Geld, über das sie verfügen, einkaufen können. Solange das nicht so ist, können wir das leider nicht verändern. Wahrscheinlich wird das noch sehr lange so sein, denn die Bibel sagt, die Armen haben wir immer bei uns.

Und drittens habe ich gedacht: Die haben das Sommerloch mit einem guten Thema ausgefüllt.

DOMRADIO.DE: Wie ist das für Menschen, die ganz wenig in der Tasche haben und zum Beispiel Bürgergeld beziehen? Regen die sich darüber auf? 

Franz Meurer

"Für arme Menschen geht es zuerst mal um die Existenz."

Meurer: Sie werden sich nicht besonders aufregen, weil sie solche Spiele nicht so schnell mitmachen können. Sie müssen gucken, wo sie günstig einkaufen können. Wenn man zum Beispiel mal die Preise für Butter vergleicht, dann wird einem schlecht. Für gut-bürgerlich situierte Menschen sind diese Sachen wie Tierwohl, Landwirtschaft und die Zukunft der Bauern jetzt interessant.

Zurecht wird darüber diskutiert. Aber für arme Menschen geht es zuerst mal um die Existenz. Um es mal klar zu sagen: 20 Prozent der Kinder in NRW sind armutsgefährdet. Bei uns in Köln sind es die Hälfte der Kinder. Wir verteilen gerade 350 Schulranzen, damit die Kinder sich nicht schämen müssen, wenn sie mit einer Aldi-Tüte nächste Woche zum Unterricht kommen. 

Franz Meurer

"Es ist unser Beitrag als Christen, diesen zentralen Gedanken des Papstes "Ökologie und Armut zusammen denken" immer wieder in Gespräche und Diskussionen einzuspeisen."

DOMRADIO.DE: Sie meinen, das ist eher eine Sommerloch-Werbeaktion, als dass Menschen deshalb ihre Gedanken zum nachhaltigen Leben ändern?

Enzyklika "Laudato si"

Klimawandel, Artenvielfalt, Trinkwasser: Diese Themen bestimmen die Umweltenzyklika von Papst Franziskus. Er wendet sich damit an "alle Menschen guten Willens" - und erklärt, warum eine ökologische Umkehr auch soziale Gerechtigkeit bedeutet. Papst Franziskus hat die reichen Industrienationen zu einer grundlegenden "ökologischen Umkehr" aufgefordert, um globale Umweltzerstörung und Klimawandel zu stoppen.

Deutsche Ausgabe der Enzyklika "Laudato si" / © Cristian Gennari/Romano Siciliani (KNA)
Deutsche Ausgabe der Enzyklika "Laudato si" / © Cristian Gennari/Romano Siciliani ( KNA )

Meurer: Ich finde es sehr gut, was "Penny" macht. Aber nicht für die armen Menschen, die bei uns wohnen. Ich finde es sehr gut, dass wir diskutieren, wofür wir Geld ausgeben. Ich finde es sehr gut, dass wir in die Diskussion mit dem Bauernverband kommen.

Der Papst sagt es in seiner berühmten Enzyklika "Laudato si": Die Ökologie hängt eng mit der Frage der Armut zusammen, weil arme Leute unter den Problemen des Klimas am meisten leiden müssen.

Es ist unser Beitrag als Christen, diesen zentralen Gedanken des Papstes "Ökologie und Armut zusammen denken" immer wieder in Gespräche und Diskussionen einzuspeisen. 

DOMRADIO.DE: Werden die Käufer denn mehr Bewusstsein für Umweltbelastung durch die Lebensmittelproduktion entwickeln? Die Ärmeren können sich die Produkte nicht leisten und die, die es sich leisten können, werden vielleicht auch den höheren Preis einfach zahlen. 

Meurer: Nein, das werden die wahrscheinlich nicht tun, weil sie wahrscheinlich gar nicht bei "Penny" einkaufen. Es gibt andere Lebensmittelgeschäfte, auch Discounter, die ihrem Lebensgefühl mehr entsprechen.

Natürlich steht die Gerechtigkeitsfrage im Hintergrund. Und um es mal mit den Worten des Nobelpreisträgers Amartya Sen auszudrücken: Wir brauchen eine Befähigungsgerechtigkeit. Das heißt, wer sich nicht gesund ernährt, wer keinen Kindergartenplatz bekommt, wo die Eltern arbeiten müssen und deswegen ihr Kind nicht betreuen können, da wird Gerechtigkeit an der Wurzel berührt.

Das Interview führte Dagmar Peters.

Wie teuer Lebensmittel eigentlich sein müssten

Seit Montag verlangt der Discounter Penny für neun seiner mehr als 3.000 Produkte eine Woche lang die "wahren Preise" – also den Betrag, der bei Berücksichtigung aller durch die Produktion verursachten Umweltschäden eigentlich berechnet werden müsste. Die Produkte vom Käse bis zum Wiener Würstchen werden dadurch um bis zu 94 Prozent teurer, wie die Handelskette mitteilte. Die Mehreinnahmen will die zur Rewe-Gruppe gehörende Kette für ein Projekt zum Klimaschutz und zum Erhalt familiengeführter Bauernhöfe im Alpenraum spenden.

Produkte deren Preis mit den verdeckte Kosten angepasst wurden, liegen an der Kasse / © Oliver Berg (dpa)
Produkte deren Preis mit den verdeckte Kosten angepasst wurden, liegen an der Kasse / © Oliver Berg ( dpa )
Quelle:
DR