Was haben Beethoven und die Kathedrale von Salisbury gemeinsam? Antwort: Ihr runder Geburtstag 2020 geht viral - aber ganz anders als geplant. Corona hat den meisten Feiern den Garaus gemacht.
Unweit von Stonehenge entfernt
Vor 800 Jahren war Europa im Kathedralenfieber. Wer als Bischof etwas auf sich hielt, wollte mit seinem Kirchbau im gefeierten gotischen Stil alle bereits bestehenden ausstechen. Für eine der schönsten und größten Bischofskirchen Englands wurde am 28. April 1220 in feierlicher Zeremonie der Grundstein gelegt: im südenglischen Salisbury.
Der Vorgängerbau in der Festung Old Sarum entstand unmittelbar nach der normannischen Eroberung Englands 1066 und wurde Anfang des
12. Jahrhunderts umfassend erweitert. Doch der Platz in der unwirtlichen Militäranlage war begrenzt, das Wasser knapp; es gab Dauerkonflikte zwischen Klerus und Soldaten. So baten Bischof und Domkapitel den Papst um Erlaubnis zur Verlegung des Bischofssitzes, die 1219 eintraf. Endlich konnten sie den "mons maledictus", den vermaledeiten Hügel, verlassen.
Die Kathedrale von "New Sarum" - erst ab dem 16. Jahrhundert "Salisbury" genannt - entstand in der fruchtbaren Ebene nahe dem Fluss Avon, buchstäblich auf der grünen Wiese und übrigens nur acht Meilen von dem rätselhaften Monument von Stonehenge entfernt.
Höchster Kirchturm Großbritanniens
Weil man keinerlei bauliche Rücksichten nehmen musste und weil König Heinrich III. den Bau finanziell massiv förderte, wurde er in weniger als 40 Jahren gleichsam aus dem Boden gestampft und erscheint stilistisch aus einem Guss, nüchtern und festlich zugleich mit einer imposanten Innenlänge von 135 Metern. Die Reduzierung auf das Wesentliche mutet - im Vergleich zum experimentellen Formenreichtum anderer Kathedralen der Zeit - fast bauhausartig geordnet an.
Heinrich III. nahm 1258 persönlich an der Weihe teil. 1265 war die Westfassade fertiggestellt; anschließend wurden das Kapitelhaus und der um 1310 vollendete große Kreuzgang in Angriff genommen. Der im frühen 14. Jahrhundert ergänzte steinerne Vierungsturm ist heute mit 123 Metern der höchste Kirchturm Großbritanniens.
Von der Reformation und dem Bürgerkrieg des 17. Jahrhunderts blieb das Ensemble komplett verschont. In den 1790er Jahren allerdings wurde der freistehende Glockenturm abgerissen, der zwischenzeitlich als Bierschenke Ärgernis erregt hatte. Zudem wurde im Inneren der mittelalterliche Lettner durch einen neugotischen ersetzt - der dann wegen seiner stilistischen Kurzlebigkeit seinerseits bald wieder entfernt wurde.
Kathedrale in Salisbury ist komplett geschlossen
Ihre architektonische Geschlossenheit und die riesige Domfreiheit ohne jeden städtischen Verkehr machen die Kathedrale von Salisbury zu einer der schönsten der europäischen Gotik. Die Landschaftsmaler John Constable (1776-1837) und William Turner (1775-1851) wetteiferten darum, das mittelalterliche Ensemble möglichst dramatisch einzufangen.
In der Kathedrale wird das besterhaltene der ursprünglich 13 Exemplare der Magna Carta Libertatum aufbewahrt; jenes von König Johann Ohneland 1215 besiegelte Zugeständnis an den revoltierenden englischen Adel. Er verbriefte ihm damit grundlegende politische Freiheiten; der Kirche garantierte er Unabhängigkeit von der Krone - was erst Heinrich VIII. 1531/34 ins Gegenteil verkehrte.
Unter dem Motto "Salisbury 2020: City on the move" (Stadt in Bewegung) hatte das 40.000-Einwohner-Städtchen zum Jubiläum große Pläne. Nun ist auf Anordnung der Behörden sogar die Kathedrale selbst komplett geschlossen. Immerhin sind auf dem Gelände außerhalb noch bis Ende Oktober 20 Meisterwerke der modernen Kunst ausgestellt. Konzerte, Vorträge und Ausstellungen sind verschoben; das Sommerkino sowie ein großes Blumenfestival Mitte September im Kathedralbezirk stehen bislang noch auf der Agenda.
Meghan Markle und Prinz Harry feierten hier Hochzeit
Dass man an der Kathedrale von Salisbury prima feiern kann, zeigte sich zuletzt im Mai 2018. Die Hochzeit von Prinz Harry und Meghan Markle wurde live auf einen 600-Zoll-Bildschirm übertragen. Dazu gab es eine royale Wedding Party.
Und noch eine Zahl für die Geschichtsbücher: 1991 wurden in Salisbury erstmals Mädchen in den Kathedralchor aufgenommen; die Entscheidung machte landesweit Schlagzeilen. Die englische Tradition, dass nur Knaben in Kirchenchören singen, war da schon weit über tausend Jahre alt. Inzwischen, 2020, singen in Englands anglikanischen Bischofskirchen mehr Chormädchen als Chorknaben.
Von Alexander Brüggemann