Anfang der Woche platzte dem Gouverneur von Kalifornien der Kragen. Sein Staat werde "nicht zusehen, wie sich Unternehmen vor Extremisten wegducken und den kritischen Zugang zu reproduktiven Gesundheitsdiensten und Freiheiten abschneiden", schimpfte der Demokrat Gavin Newsom bei der Ankündigung erster Strafmaßnahmen gegen Walgreens.
Die Apothekenmarkt-Kette verliert einen Vertrag mit Kalifornien im Wert von 54 Millionen Dollar, weil sie in mindestens 20 anderen Bundesstaaten Medikamente zum Schwangerschaftsabbruch nicht vertreiben will. Weitere Sanktionen könnten folgen.
Unter Hinweis darauf, dass Kalifornien eine der weltweit größten Volkswirtschaften habe, drohte Newsom damit, "unsere Marktmacht zu benutzen, um das Selbstbestimmungsrecht der Frauen zu verteidigen". Der Konzern zeigte sich "tief enttäuscht" über die Entscheidung und bekräftigte seine Bereitschaft, nach Vorliegen der nötigen Zertifizierung durch die Medikamentenaufsicht FDA mit der Abgabe der Präparate zum Schwangerschaftsabbruch zu beginnen.
Gesetze gleichen einem Flickenteppich
"Wir halten uns an die Staats- und Bundesgesetze", erklärte ein Unternehmens-Sprecher. Und die gleichen einem Flickenteppich, seit das Oberste Gericht im Juni vergangenen Jahres das ein halbes Jahrhundert geltende Abtreibungsrecht über den Haufen geworfen hatte. Damit trat automatisch der Status quo aus der Zeit vor dem Grundsatzurteil "Roe vs. Wade" von 1973 wieder in Kraft: Mangels einer nationalen Gesetzgebung fiel die Zuständigkeit nun automatisch den 50 Bundesstaaten zu.
In 13 republikanisch regierten Bundesstaaten gelten fast vollständige Abtreibungsverbote; sogar ohne Ausnahmen bei Vergewaltigung und Inzest. Noch einmal so viele Staaten bewegen sich in diese Richtung. Hingegen ist in 16 demokratisch regierten Bundesstaaten der legale Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen gesetzlich verankert.
Abgaben der Medikamente sollte erleichtert werden
Zulassung und Vertriebswege von Abtreibungsmedikamenten werden dagegen von der US-Regierung kontrolliert. Weshalb das Weiße Haus Druck auf die FDA ausübte, die Abgabe der Pillen zu erleichtern. Das Justizministerium verschickte im Dezember ein Memorandum, in dem es klarstellt, dass der Versand von Medikamenten durch die Post landesweit möglich sei, solange diese das Gütesiegel der FDA haben.
Während der Pandemie ließ die Behörde bereits die Vorschrift fallen, dass die Pillen unter telemedizinischer Aufsicht eingenommen werden müssen. Laut Guttmacher Institute stieg der Anteil der medikamentös eingeleiteten Abbrüche 2020 auf 54 Prozent. Die US-Regierung machte den Weg frei, dass die Medikamente nun auch direkt in den Apotheken abgegeben werden dürfen. Die fanden sich plötzlich zwischen allen Stühlen wieder.
Während das Weiße Haus versucht, den Zugang zu legalen Schwangerschaftsabbrüchen in den USA nach dem Ende von "Roe vs. Wade" landesweit zu garantieren, drohten 20 Justizminister aus republikanisch geführten Staaten mit Konsequenzen bei Verstößen gegen die örtlichen Gesetze.
Dabei muss man wissen, dass es in den USA nur noch wenige Familienbetriebe gibt. Kontrolliert wird der Apothekenmarkt von großen Ketten wie Costco, CVS, RiteAide, Walmart, und Walgreens.
Undurchsichtige Rechtslage
Die Lage ist rechtlich so verworren, dass Ketten Risiken eingehen, egal, wie sie sich positionieren. Die Medikamente bleiben in jedem Fall verschreibungspflichtig. Nach den neuen Regeln der FDA können Frauen den Abbruch zu Hause vornehmen. Zunächst nehmen sie dafür das Medikament "Mifepristone" ein. 24 bis 48 Stunden später muss dann zur sicheren Beendigung der Schwangerschaft das Präparat "Misoprostol" eingenommen werden. Beide Pillen sind von der FDA vor 23 Jahren als "sicher" eingestuft worden.
Der gordische Knoten könnte schon in absehbarer Zeit von einem Bundesrichter in Texas durchschlagen werden, der seine Berufung Donald Trump verdankt. Matthew Kacsmaryk muss darüber entscheiden, ob die Zulassung der Medikamente durch die FDA vor zwei Jahrzehnten rechtens war. Sollte er diese kassieren, hat sich der Streit vorläufig erledigt. Dann wären die Pillen nicht nur in den republikanisch geführten Bundesstaaten nicht verfügbar, sondern auch überall sonst verboten. Mindestens, solange keine andere Gerichtsinstanz einschreitet.