DOMRADIO.DE: Maria und eine ungewollte Schwangerschaft in die heutige Zeit zu versetzen, das hat man schon mal gehört. Bei Ihnen steht der feministische Blick auf die Weihnachtsgeschichte im Mittelpunkt. Wie kann man sich das vorstellen?
Dr. Silke Radosh-Hinder (Superintendentin im Kirchenkreis Berlin-Stadtmitte): Ich glaube, so anders ist das gar nicht. Zunächst einmal versucht der Chor in diesem Krippenspiel, die Geschichte von Weihnachten in die heutige Zeit und in eine spezifische Situation zu übertragen.
In diesem Krippenspiel handelt es sich um die Erfahrung der Hauptpersonen Josy und Mary. Sie werden zusammen ein Kind und eine Erfahrung von Ablehnung haben.
DOMRADIO.DE: Sie haben den Chor erwähnt. Das ist der "Heart Chor", der bei dieser Kombination aus Krippenspiel und Gesang mitmacht. Was ist das für eine Truppe?
Radosh-Hinder: "Heart Chor", das klingt, wenn man es nur hört, wie "hart" im Sinne von Härte. "Heart" im Englischen klingt gleich, wenn man es ausspricht. Es handelt sich hier um den "Herz"-Chor. Das ist mir sehr wichtig.
An dem Chor sind 25 Personen beteiligt, die sich dem Thema Queerness und vielfältige Lebensformen an unterschiedlichen Teilen immer wieder zuwenden. Weil sie in einer Kirche proben, haben sie schon länger Kontakt mit der dortigen Pfarrerin. Mit ihr haben sie Kontakt aufgenommen. So kam die Idee zustande.
DOMRADIO.DE: Wie gestaltet sich dieses Krippenspiel?
Radosh-Hinder: Das wird an diesen beiden Personen Mary und Jose berichtet, von denen eine schwanger wird. Sie werden auf viel Ablehnung stoßen und versuchen in die Stadt zu gehen. Dort erfahren sie wieder Ablehnung.
In einem ganz abgeschiedenen Ort kommt dieses Kind als Signal der Liebe zur Welt. In dieser Aufführung kommt die Liebe in Form von einem Lichtschein zur Welt. Viele Menschen sammeln sich um diese Krippe und feiern in der Gemeinschaft.
DOMRADIO.DE: Im Anschluss an das Krippenspiel, bei dem sich auch Menschen bei ihnen in der Kirche versammeln, gibt es ein Fest mit Drag-Show und gemeinsamem Essen. Das klingt nach fröhlichem Beisammensein. Welche Rolle spielt der Glaube dabei?
Radosh-Hinder: Der Glaube spielt eine sehr große Rolle. Er hat die Menschen zusammengebracht und der Inhalt dieses Krippenspiels bringt die Leute dahin. Anschließend zu feiern ist doch eigentlich die beste Form, um wahrzunehmen, dass Gott in die Welt kommt.
Darüber hinaus wird die Pfarrerin El-Manhy da sein und allen, die möchten und wollen, einen eigenen Weihnachtssegen spenden. Es wird ein sehr spirituelles und gleichzeitig festliches Ereignis sein.
DOMRADIO.DE: Wenn Sie jetzt die Weihnachtsgeschichte feministisch erzählen, dann ist es ja oftmals so, dass das wahrscheinlich nicht allen gefällt. Was für Reaktionen haben Sie möglicherweise im Vorfeld schon bekommen?
Radosh-Hinder: Wir versuchen immer wieder als Kirche hier in Berlin Stadtmitte auch neue Formen auszuprobieren. Das machen wir jetzt auch. Dazu stehen wir, dass wir solche neuen Formen entwickeln.
Wenn man etwas Neues ausprobiert, dann gibt es immer Menschen, die das nicht so gut finden und Gegenstimmen formulieren. Wir haben das auch in diesem Falle erlebt.
Es scheint so zu sein, dass hier ein sehr klares Bild vorliegt, wie diese Weihnachtsgeschichte ist oder in welchem Rahmen sie stattfinden soll. Dass sich Menschen dahingehend verletzt fühlen, ist bedauerlich. Aber wir sind der Meinung und festen Überzeugung, dass die Liebe Gottes allen Menschen gilt.
DOMRADIO.DE: Das Projekt wird unterstützt aus einem kirchlichen Innovationsfonds. Gab es da eher Zustimmung oder eher Kritik?
Radosh-Hinder: Es gab Information darüber, was da geplant ist und von der evangelischen Kirche gab keine Kritikpunkte.
DOMRADIO.DE: An diesem Samstag ist die Generalprobe in der Galiläakirche in Friedrichshain. An Heiligabend wird das Krippenspiel aufgeführt. Worauf freuen Sie sich am meisten?
Radosh-Hinder: Ich freue mich am allermeisten darauf, dass in unserer Stadt in so vielen Varianten und Formen das Wort Gottes und die Geschichte Gottes erzählt wird. Die Geschichte wird in der Galiläakirche mit einer Gruppe von Menschen oder sagen wir mal für eine Zielgruppe von Menschen erzählt, die in der Kirche oft keinen Platz gefunden hat.
Sie haben oft geklopft und ihnen ist die Tür nicht geöffnet worden. Das ist ja quasi die Wiedererkennung der Weihnachtsgeschichte. Dass wir diese Möglichkeit haben, darauf freue ich mich auf jeden Fall.
Ich freue mich auch, dass es im Kontext von all den anderen traditionellen und moderneren Weihnachtsfeiern und Weihnachtsgottesdiensten steht, die wir machen. Dieses Krippenspiel ist eins unter ganz vielen anderen.
Das Interview führte Uta Vorbrodt.