DOMRADIO.DE: An vielen öffentlichen Schulen ist der Religionsunterricht wegen Corona ausgefallen. Wie haben Sie das an den erzbischöflichen und katholischen Schulen hinbekommen?
Christoph Westemeyer (Abteilungsleiter Schulische Religionspädagogik und Kath. Bekenntnisschulen im Erzbistum Köln): Zunächst mal, glaube ich, muss man relativieren. Ausgefallen ist er nur in dem Sinne, wie auch alle anderen Fächer ausgefallen sind. Er hat eine andere Erscheinungsform gehabt. Er hat nicht so stattgefunden wie sonst, nämlich in Präsenzunterricht, sondern er hat in digitaler Form oder per E-Mail stattgefunden, was auch immer eine Schule leisten konnte.
DOMRADIO.DE: Inwieweit muss man denn aufpassen, dass der Religionsunterricht nicht hinter den Hauptfächern zurücksteckt?
Westemeyer: Es ist sicher richtig, dass Eltern immer als erstes nach diesen sogenannten "Hauptfächern" schauen, auch wenn es Hauptfächer in dem Sinne eigentlich nicht gibt. Aber ich glaube, gerade in dieser Zeit war es wichtig, dass es ein Fach gab, wo über das gesprochen werden konnte, was uns in dieser Zeit so maximal verunsichert hat: über Ängste, Verunsicherungen, über Fragen von Leben und Tod. Diese Fragen hatten im Religionsunterricht ihren genuinen Ort. Insofern war es besonders wichtig, dass dieses Fach auch stattgefunden hat.
Wir sind froh und dankbar, dass die Religionslehrerinnen und Religionslehrer sich da in einer Weise engagiert haben, die wirklich bemerkenswert und eindrucksvoll war. Jeder Lehrer und jede Lehrerin hat zwei Fächer, manchmal auch drei – aber Religion ist einfach ein Fach, das die Lehrkräfte meist mit ganz großem inneren Engagement unterrichten. Das war hier besonders deutlich. Sie wussten: Jetzt zählt es. Hier müssen wir besonders rangehen.
DOMRADIO.DE: Der Religionsunterricht hat also das aktuelle Thema "Corona" aufgegriffen?
Westemeyer: Das war uns auch wichtig. Wir haben auch versucht, mit einem neuen Format "Impulse zur Zeit" mögliche Pfade zu legen. Wenn man die Bilder aus Bergamo im Kopf hat, wo große Lastkraftwagen dabei waren, Leichen abzutransportieren, weil man das alles nicht mehr schultern konnte, ist das so erschreckend und grausam für das Auge.
Wenn das dann noch in die Zeit vor Ostern fällt, wo wir sowieso auch religiös über Tod und Auferstehung sprechen, dann geht es darum, das Schreckliche ins Wort zu fassen und zu schauen, wo es hier Möglichkeiten gibt, das zu besprechen. Was gibt die Religion, was gibt unser Glaube für Antworten darauf? Und wo kann vielleicht auch die Hoffnungsperspektive liegen?
DOMRADIO.DE: Manche sagen ja, Religionsunterricht sei gerade jetzt systemrelevant, weil da auch Fragen gestellt und beantwortet werden können, die anderswo keinen Platz im Unterricht haben. Sehen Sie das auch so?
Westemeyer: Das würde ich unterstreichen. Ich glaube, man kann sagen, Religionsunterricht ist deshalb systemrelevant, weil er lebens-relevant ist. Wenn man sagen kann, dass es ein Fach gibt, was gerade in dieser Zeit behaupten kann "Ich war mit dieser Frage ganz vorne bei den Schülerinnen und Schülern, ihren Ängsten, ihren Hoffnungen und ihren Fragen", dann war das sicher der Religionsunterricht. In dieser Weise ist er sicher auch systemrelevant. Selbst wenn man sonst immer sagen würde: Das sind die Wirtschaftsfächer, das ist Deutsch, das ist Mathematik. Aber ich glaube, der Religionsunterricht ist in dieser Weise auch wirklich systemrelevant, weil er wichtig für das Leben ist.
DOMRADIO.DE: Wie geht es weiter jetzt nach den Sommerferien?
Westemeyer: Es sind jetzt ganz viele Verlautbarungen und Ansagen des Schulministeriums gekommen, die wir auch für unsere eigenen Schulen noch einmal übersetzt haben. Die klare Ansage ist: Wenn es eben möglich ist, soll es den Präsenzunterricht wieder als Regelfall geben. Aber natürlich mit ganz deutlichen Vorsichtsmaßnahmen: Abstandsregelungen etwa – bis hin zu der ja doch bemerkenswerten Entscheidung, dass man sogar im Unterricht in den weiterführenden Schulen eine Maske tragen soll.
Alles ist gut vorbereitet. Alle freuen sich darauf, dass sie sich wieder präsentisch begegnen dürfen, lernen und Bildung von Angesicht zu Angesicht betreiben dürfen – und nicht mehr auf Distanz. Deshalb ist man auch bereit, eine Maske zu tragen und sich etwas anders zu verhalten, als man es sonst täte.
DOMRADIO.DE: Denken Sie, dass damit auch das Gespräch zwischen Lehrern und Schülern persönlicher wird, gerade wenn es um Gespräche über die Coruna-Pandemie geht?
Westemeyer: Es wird sicher notwendig sein, dass man auch über das noch mal spricht, was man erlebt hat und nochmal reflektiert, was man an Erfahrungen gemacht hat. Ich wage mal die These, dass das vielleicht sehr viel später nochmal kommen wird. Vielleicht im nächsten Jahr, wenn wir wissen, dass es auch wieder etwas anders sein kann und es vielleicht eine Impfungmöglichkeit gibt. Dann kann man noch einmal darüber reflektieren, was da letztes Jahr eigentlich war. Was hat uns da tief im Inneren so verunsichert, wo wir meinen, wir hätten alles im Griff und können alles selbst regeln.
Auf einmal merken wir: Wir können auf einmal fast nichts mehr selbst regeln. Das ist auch ein Thema der Religion, dass man sagt: Wir sind gehalten, wir sind geschützt. Wir haben jemand, der auf uns achtet und der uns im Blick behält. Das ist sicher ein wichtiges Thema, was im Religionsunterricht gerade in Corona und nach Corona weiter thematisiert wird.
Das Interview führte Dagmar Peters.