Mit knapp eineinhalb Jahren sieht Paul noch aus wie wenige Wochen nach der Geburt: winzig, hilfebedürftig, ruhig. Er krabbelt nicht, er lacht nicht und er kann sich kaum bewegen. Kurz nach der Geburt stellte sich heraus, dass Paul an einer Muskelkrankheit leidet - ein Schock für die Eltern und die stolze große Schwester. Pauls Familie hat ihm zwei Jahre beim Sterben zuschauen müssen und dabei eine emotionale Achterbahn aus Ohnmacht, Enttäuschung, Trauer und Wut durchlebt.
Lebensbedrohliche Krankheiten bringt an Grenzen
Ein solches Schicksal ist gar nicht so selten. Rund 40.000 Kinder und Jugendliche in Deutschland haben eine lebensbedrohliche Krankheit, 5.000 von ihnen sterben pro Jahr. Das bringt Angehörige an ihre Grenzen und wirft viele Fragen auf: Was braucht mein Kind? Will ich Vollzeit arbeiten, wenn mein Sohn im Krankenhaus liegt? Wie die Miete bezahlen und die teuren Medikamente? Oder auch: Ist jemand für mich da, wenn ich nicht mehr kann; wenn ich mich einfach nur auskotzen oder weinen möchte?
Hilfe finden Betroffene zum Beispiel bei der Stiftung Ambulantes Kinderhospiz München (AKM), die Familien mit schwer oder unheilbar kranken Kindern unterstützt. "Was wir machen, ist Lebensbegleitung", betont Sprecherin Stephanie Perret. Ab dem Zeitpunkt der Diagnose steht ein Team aus Pädagogen, Psychologen und Medizinern bereit, das die Familien unterstützt - oft über mehrere Jahre. Denn der Weg der Kinder ist offener als in einem Erwachsenenhospiz, das sich auf den Sterbeprozess konzentriert. Einigen Kindern gelingt es sogar, sich zurück ins Leben zu kämpfen.
Familie ganzheitlich sehen
Im Zentrum der Kinderhospizarbeit steht die Familie als Ganzes. "Nur das kranke Kind zu sehen, ist zu kurz gegriffen", betont Per Toussaint vom Bundesverband Kinderhospiz. Die Diagnose katapultiere alle Familienmitglieder aus ihrem Alltag. Ehen zerbrechen an der Belastung, Geschwister kommen zu kurz oder wissen nicht, wohin sie sich mit ihrer Trauer wenden können. Ambulante Helfer sprechen mit den kleinen Patienten über ihre Ängste, lesen deren Brüdern und Schwestern vor und erklären Papa und Mama, wie die Beatmungsgeräte funktionieren.
Die Münchner Stiftung betreut rund 300 Familien. Eine braucht kurzfristig einen Kinderpsychologen, in einer anderen wird die kranke Tochter aus dem Krankenhaus entlassen. "Die Eltern stehen ständig vor neuen Herausforderungen", sagt Valentin Vollmer vom Kriseninterventionsdienst der Stiftung. Sie hätten Angst, etwas falsch zu machen oder wüssten nicht, wie sie ihr Kind versorgen sollen. Das Team rückt an, wenn es gebraucht wird, auch nachts.
Von Spenden abhängig
So hilfreich die ambulanten Kinderhospizdienste sind, so problematisch ist ihre Finanzierung. Von öffentlicher Seite werden sie nur schwach gefördert, von den Krankenkassen gibt es wenig Geld. Die Einrichtungen sind daher existenziell von Spenden und ehrenamtlichen Helfern abhängig. Zudem ist das Thema insgesamt ein Tabu. "Diese Familien trifft ein knallhartes Schicksal und die Gesellschaft schaut weg", gibt Toussaint vom Bundesverband zu bedenken.
Die Münchner Stiftung ist wirtschaftlich zu etwa 80 Prozent auf Wohltäter angewiesen. Zudem arbeiten rund 200 Freiwillige ehrenamtlich mit. Als Familienbegleiter sind sie vier Stunden pro Woche im Einsatz, kaufen ein, helfen bei den Hausaufgaben und entlasten so die Eltern.
Bei der Schulung der Ehrenamtlichen setzt die Stiftung professionelle Schauspieler ein. Sie üben mit den Teilnehmern in Rollenspielen das Verhalten in Extremsituationen. So können die Helfer auf sicherem Terrain die eigenen Grenzen ausloten und prüfen, ob sie den Herausforderungen der Arbeit gewachsen sind. Eine gute Selbsteinschätzung ist wichtig, denn: "Wenn ich selbst wackle, kann ich für andere keine Säule sein", weiß Vollmer.