DOMRADIO.DE: Bei Trinkliedern geht es natürlich nicht ums Durstlöschen mit Mineralwasser, sondern der Alkohol spielt die zentrale Rolle …?
Sonja Tröster (Musikwissenschaftlerin an der Universität Wien): Ja, meistens ist es der Wein, der besungen wird. Es kann manchmal auch Bier sein oder Most, aber in erster Linie der Wein. Entweder handelt es sich um Lieder, die tatsächlich beim Singen getrunken worden sind, oder Lieder, in denen das Trinken selbst besungen wird. In manchen Fällen kommt sicherlich auch beides zusammen.
DOMRADIO.DE: Je nachdem, wie viel man dann trinkt wahrscheinlich ...
Tröster: Wenn man dann noch singen kann …
DOMRADIO.DE: Ihr Fachgebiet ist "Alte Musik mit geistlichen Elementen im mehrstimmigen Trinklied der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts". Geben Sie mal ein Beispiel, dass wir das verstehen?
Tröster: Es gibt da einige Trinklieder, die sich am Geistlichen anlehnen. Es ist eigentlich auch ganz verständlich, wenn man sich überlegt, wann man damals getrunken hat. Und zwar waren es häufig geistliche Feste, die einen Anlass zum ausgelasseneren Trinken gaben: das Fest des Heiligen Martins hat relativ viele Trinklieder hervorgebracht. Der Heilige wird auch heute noch mit der Martinsgans in Verbindung gebracht. Die wurde gegessen, dazu wurde getrunken; und das findet sich in diesen Liedern wieder. Dann kommt noch dazu, dass dieser 11. November auch im kirchlichen Kalender der Tag ist, nach dem die Fastenzeit vor Weihnachten beginnt. Insofern ist das ein Gegenstück zum Karneval.
Auch beim Karneval kommen viele unterschiedliche Dinge zusammen: geistliche und profane Elemente, ebenso dieses ausgelassene Feiern. Insofern ist genau dieser Martinstag ein Anlass, bei dem es sich anbietet, diese Elemente zusammenzubringen. Und schließlich spielt der Wein natürlich auch in der Kirche eine große Rolle. In der Eucharistie steht er für das Blut Christi.
DOMRADIO.DE: Wie integrieren die Komponisten Geistliches in diese Lieder?
Tröster: Das kann in unterschiedlicher Art und Weise passieren, zum Beispiel durch ein responsoriales Singen, also dass man einen Vorsänger hat und einen Chor, der dann antwortet. Das ist eine Singweise, die im Stundengebet häufig vorkommt.
Dann gibt es einige Trinklieder, die solche liturgischen Versatzstücke aufweisen: Plötzlich kommt im Liedtext, wo der Wein so schön ist und so gut schmeckt, irgendwann ein "Kyrieleis" oder ein "Benedicamus Domino", das da eingeflochten ist.
DOMRADIO.DE: Es gibt diese Trinklieder seit der Antike. Was ist seit Jahrhunderten der Reiz, mit und über Alkohol zu singen?
Tröster: Es gibt viele, viele Aussagen, vor allem aus der Zeit der Renaissance, dass Singen und Wein wunderbar zusammenpassen, dass natürlich der Wein dann auch die Hemmungen nimmt, fröhlich heraus zu singen.
DOMRADIO.DE: Waren das auch die Themen, die Sie am Wochenende besprochen in Essen besprochen haben?
Tröster: Ja, das war eine ganz tolle, vielfältige Tagung, bei der eben von der Antike bis hin zu ganz modernen Trinkliedern alles zu Wort gekommen ist.
Das Interview führte Carsten Döpp.