Der Gründer der Gemeinschaft von Taize, der Schweizer Frere Roger Schutz (1915-2005), wollte in Europas dunkelsten Jahren einen neuen Weg gehen. Im Zweiten Weltkrieg wählte er den Hügel von Taize in Burgund, um auf neue Weise Gemeinschaft zu leben: Brüderlichkeit und Verbundenheit, zwischen den Generationen, Völkern, aber auch zwischen den Konfessionen.
Sommer 1940 findet Roger Schutz nahe dem einstigen Reformkloster Cluny das verfallene Weindorf Taize; einen heruntergekommenen, geistlich verwaisten Flecken. Nur ein paar Kilometer sind es von der Demarkationslinie zwischen der NS-besetzten Zone und dem sogenannten freien Vichy-Frankreich. Hier versteckt er jüdische und politische Flüchtlinge. Doch 1942 wird er denunziert und muss in die Schweiz zurückkehren.
1944 schließlich vollzieht sich in Taize, was und ein überraschender Welterfolg werden sollte und eine der spannendsten spirituellen Reisen des 20. Jahrhunderts: Eine evangelische Brüdergemeinschaft entsteht, eine Art protestantischer Mönchsorden.
Karger Nährboden - erfolgreiche Idee
Die Zeiten sind hart nach dem Krieg, die Not ist groß. Einer der Brüder fällt im Winter die Akazien vor dem Haus, um daraus Zaunpfähle herzustellen - eine der wenigen Verdienstquellen. Doch wahrscheinlich ist es genau dieser karge Nährboden, der die Idee von Taize so erfolgreich machen sollte. Die Brüder kümmern sich um deutsche Kriegsgefangene aus der Umgebung und teilen ihre Mahlzeiten mit ihnen: eine dünne Suppe aus Brennnesseln, doch angeboten wie ein Festmahl.
Für den Konzilspapst Johannes XXIII. (1958-1963) ist Taize ein "kleiner Frühling" und Frere Roger ein Motor für die ökumenische Bewegung. Schon in den 40er Jahren gibt es erste Aufenthalte von Jugendlichen auf dem Hügel; viele bleiben ihr Leben lang. Ab 1969 werden auch Katholiken aufgenommen: die erste ökumenische Ordensgemeinschaft der Kirchengeschichte und ein Magnet für immer mehr Jugendliche aus aller Welt.
"Den Blick immer nach vorn richten"
Zu den unumstößlichen Überzeugungen des Taize-Gründers Frere Roger, dem Gastfreundschaft über alles ging und der sich Zeit für jeden Menschen in großen und kleinen Nöten nahm, gehörte die Befreiung von allem Ballast: kein Besitz, keine Rechtstitel und Privilegien, keine Archive und Bilanzen, keine Erstarrung oder Selbstzufriedenheit. Suchen, am besten im Gespräch mit der Jugend - immer neu den guten Weg suchen im Vertrauen auf den, dem diese Suche gilt: Gott.
Frere Roger hat sich intensiv mit dem Abendländischen Mönchtum auseinandergesetzt - und am Ende die Parole ausgegeben: den Blick immer nach vorne richten, nie zurück. Nicht erstarren, nichts besitzen, sondern immer neu zuhören und sich erneuern, um nicht eines Tages vom eigenen Erfolg niedergewalzt zu werden und so seine geistigen Wurzeln zu verlieren.
Zahl der Taize-Pilger nimmt nach 2005 noch zu
Zwischen den unruhigen Langhaarigen der 60er Jahre im noch recht festen christlichen Milieu, den "Children of the 80's" zwischen Helmut Kohl und Joan Baez, der postkommunistischen Wendejugend und den "Sozialen Netzwerkern" des 21. Jahrhunderts ohne institutionelle Bindungen gibt es grundlegende Unterschiede, nicht nur was ihre religiöse und politische Bodenkrume oder ihre Einstellungen zum Thema Sexualität angeht. Doch die Zahl der Taize-Pilger hat seit dem Tod von Frere Roger 2005 eher noch zu- als abgenommen.
Der Gottsucher Frere Roger hat sein irdisches Leben und Wirken nie als Selbstzweck verstanden, sondern als eine tägliche Gelegenheit, seinem Nächsten und damit Gott einen Schritt entgegenzugehen. Oder, mit dem 2015 verstorbenen Autor Manfred Hinrich: Das Meer hat keinen Sinn - die Schifffahrt hat einen Sinn.