epd: Was waren die eindrücklichsten Erlebnisse von sechs Jahren «Wort zum Sonntag»?
Alfred Buß (Pfarrer und langjähriger Sprecher der Sendung "Wort zum Sonntag"): Das war ein Beitrag zu Olympia im Jahr 2016. Da kam das "Wort zum Sonntag" schon früher, vor dem Fußballendspiel Brasilien - Deutschland, und hatte über fünf Millionen Zuschauer. Ich habe gesagt, dass die olympische Idee des fairen Wettbewerbs großartig ist, aber inzwischen müsse selber gedopt sein, wer jetzt noch an sie glaube. Olympia habe seine Seele verkauft.
Am Schluss verwies ich auf einen, der seine Seele zeitlebens nicht verkauft habe. 1960 Olympiasieger als Boxer im Halbschwergewicht, habe er danach den Kriegsdienst verweigert und sei Muslim geworden: Muhammad Ali. Zuerst kamen reichlich E-Mails mit Dankadressen. Am Sonntagnachmittag aber hatte Pegida diesen Beitrag auf ihre Homepage gestellt nach dem Motto "ein Pfarrer nennt einen Muslim als Vorbild". Ab da bekam ich ungefähr zwei Tage lang Hassmails übelster Art.
Auch das Internationale Olympische Komitee (IOC) setzte sich monatelang mit meinem Beitrag auseinander. Gesprächsbereitschaft habe ich dem IOC zugesagt, sofern es seine Geschäfte nicht mehr auf Kosten der Ärmsten macht - wie in Rio - und beim Doping klare Kante zeigt. Daraufhin blieb es still.
epd: Bei welchen Themen kommen die meisten Reaktionen?
Buß: Ein Beispiel: Wenn es um Billigfleisch und Tierprodukte geht, bekommt man von Leuten, die auf Bio-Fleisch und artgerechte Tierhaltung achten, viel unterstützende Post. Allerdings gibt es dann auch viel Widerspruch von Lobby-Verbänden. Regelrechten Kampagnen sind die Sprecherinnen und Sprecher beim "Wort zum Sonntag" ausgesetzt, wenn das Wort "Muslime" positiv besetzt vorkommt. Dann wird man mit Hassmails überzogen.
Insgesamt merken wir, dass das "Wort zum Sonntag" wahrgenommen wird. Es sind im Durchschnitt 1,5 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer. Laut der Analyse der Zuschauerzahlen bleiben viele noch beim "Wort zum Sonntag" dabei, und danach kommt eigentlich erst der Knick.
epd: Sie waren oft bei Krisen oder Naturkatastrophen im Einsatz. Ist Ihnen auch einmal ein Thema schwergefallen?
Buß: Manchmal war es schwierig - etwa bei dem Attentat auf die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker. Ein anderer Beitrag war schon produziert. Dann wird am Samstag deutlich, es hat ein schlimmes Attentat gegeben, aber du kennst nicht die Hintergründe. In einer solchen Situation ist es schwierig das Thema einzuordnen, ob es etwa ein terroristischer Angriff war oder nicht.
Im Laufe des späteren Nachmittags wurde dann klar, dass um 20 Uhr ein neuer Beitrag aufgenommen wird. Den habe dann im Zug zum Kölner WDR-Studio geschrieben. Das Thema "Kain und Abel" mit der Aussage: Ja, jeder Mensch soll Hüter seines Bruders sein!
epd: Was war beim "Wort zum Sonntag" für Sie selbst wichtige Erfahrung?
Buß: "Wort zum Sonntag" bedeutet: Auf den Punkt kommen - ohne Umschweife. Ich predige seitdem anders. Als Prediger neigt man dazu, viele Seitenthemen zu assoziieren. Beim "Wort zum Sonntag" gilt es, ein einzelnes Thema anzusprechen, es in Bildern zu variieren und damit nah beim Zuschauer dran bleiben. Diese Übung hätte ich gern am Berufsanfang gemacht. In der Kirche schalten die Leute ab, ohne dass man es merkt. Vor dem Fernseher schalten sie um, zappen weg, nachweisbar!
Auch sitzen vor dem Fernseher Menschen aller Bildungsschichten. Da ist Alltagssprache gefordert. Und Bibelkenntnis kann man kaum noch voraussetzen. Du kannst zum Beispiel nicht an den "Barmherzigen Samariter" erinnern, sondern musst das Gleichnis erzählen, und das alles in dem knappen Format unterbringen.
epd: An welche positive Reaktionen erinnern Sie sich besonders?
Buß: Das sind Sendungen, wo du merkst, jetzt hast du die Herzen der Menschen erreicht. Zum Beispiel bei einem Beitrag über "Verschüttete Talente". Es ist für mich ein Skandal, dass Kinder hierzulande bildungsfern aufwachsen und ihre Gaben nicht entfalten können, weil sie in Armut aufwachsen oder Angehörige reisender Familien sind - wie Kinder von Schaustellern oder Zirkusleuten.
Als es gelang, dass zwei Zirkuskinder ihr Abitur ablegten, habe ich das im "Wort zum Sonntag" aufgegriffen. Dieses Video wurde dann beim Jubiläum der "Zirkusschule der Evangelischen Kirche im Rheinland" gezeigt. Das sind schöne Momente, wenn du mitten unter den Betroffenen sitzt und die sich dann richtig über deinen Beitrag freuen. Oft habe ich auch erlebt, dass Menschen mich direkt angesprochen und sich bedankt haben.
epd: Was machen Sie nach dem Ausstieg vom "Wort zum Sonntag"?
Buß: Ich bin und bleibe Pastor, predige oder halte auch Vorträge, wo ich darum gebeten werde. Und ich bin Vorstandvorsitzender der "Stiftung Umwelt und Entwicklung NRW". Wir alle stehen vor riesigen Herausforderungen, wenn im Jahr 2050 neun bis zehn Milliarden Menschen auf dieser Welt ernährt werden müssen. Und zugleich der drohende Klimakollaps unbedingt vermieden werden muss. Das geht nur mit einer "großen Transformation" unserer gesamten Welt-Wirtschaft.
Es dürfen zum Beispiel keine Rohstoffe mehr verbraucht werden. Wir müssen sie zurückführen in einen Kreislauf. Beim Plastikmüll steht jetzt vor Augen, was wir anrichten. Oder wenn wir die Nahrungsketten kaputtmachen, weil wir die Meere überfischen. Die bisherigen "großen Transformationen" der Menschheitsgeschichte - die Sesshaftwerdung mit Ackerbau und Viehzucht oder der Prozess der Industrialisierung - haben sich über Jahrhunderte hingezogen oder über viele Jahrzehnte.
Jetzt haben wir nur noch drei, vier, höchstens fünf Jahrzehnte Zeit, dass es nicht zur Katastrophe kommt. Wenn man dann solche winzigen Kompromisse wie bei der Weltklimakonferenz sieht, merkt man, wie uns die Zeit davonläuft. Diese Vorgänge werden mich weiter beschäftigen, so lange ich noch die Kraft dazu habe.
Holger Spierig