Theologe hätte sich im Wahlkampf Gelassenheit der Kirche gewünscht

"Menschen verbinden, statt Öl ins Feuer zu gießen"

Kirche sollte Position beziehen, findet der Theologe Thomas Arnold. Doch im Wahlkampf hätte er sich ruhigere Töne gewünscht. Die katholische Kirche sollte Menschen zusammenbringen und Brücken bauen. Dann könne sie Vorbild sein.

Autor/in:
Jan Hendrik Stens
Dr. Thomas Arnold / © Daniel Reiche (Katholische Akademie Bistum Dresden-Meißen)

DOMRADIO.DE: Im  Zweitstimmenergebnis hat die AfD in Sachsen bei der Bundestagswahl mit 37,3 Prozent fast doppelt so viele Prozente eingefahren wie im Bundesdurchschnitt. Wie erklären Sie sich das?

Dr. Thomas Arnold (Theologe und Berater der Deutschen Bischofskonferenz): Wir sollten nicht nur auf Sachsen schauen, wir sollten auch auf den Bundesdurchschnitt schauen. Es ist nicht so, dass in anderen Teilen Deutschlands der Schnitt gleich geblieben ist im Vergleich zu 2017 oder 2021. Wenn ich nach Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen oder andere Landesteile schaue, sehe ich dort überall eine deutliche Zunahme der Wählerstimmen für die AfD. Ich bin auf Linie der Bischöfe: Auch aus meiner Sicht muss man in Frage stellen, ob man die AfD, die in Teilen eine rechtsextreme Partei ist, wählen soll. Ich kann es nicht begrüßen, dass die AfD eine so starke Zustimmung im ganzen Land erhalten hat. 

DOMRADIO.DE: Hat die Abgrenzungspolitik der Kirchen und auch der anderen Parteien der AfD mehr genutzt als geschadet? 

Arnold: Ich glaube, es war richtig gewesen, dass die Bischöfe im letzten Jahr die Erklärungen gemacht haben. Es ist wichtig, dass verschiedene Diözesen das für sich übersetzt und sich darüber Gedanken gemacht haben, was das im Detail bedeutet, für Mitgliedschaften, für Engagement in der katholischen Kirche. 

Thomas Arnold

"Wir dürfen uns hinter dieser sogenannten Brandmauer nicht verstecken, auch nicht als Kirche."

Aber wir dürfen uns hinter dieser sogenannten Brandmauer nicht verstecken, auch nicht als Kirche. Das sage ich als Berater der Bischofskonferenz. Wir brauchen die Debatten um die Themen. Es ist nicht so, dass plötzlich eine Partei ein Thema wie Migration aufgebracht hat. Wenn ich die Befragungen und die Analysen vom letzten Jahr anschaue, dann ist das Thema Migration nicht erst im Dezember mit Magdeburg oder im Januar mit Aschaffenburg oder mit der Abstimmung im Bundestag hochgekommen, sondern es ist schon länger ein Thema. 

 Menschen demonstrieren mit Schildern vor dem Thüringer Landtag nach den Ergebnissen der Landtagswahl.  / © Michael Reichel (dpa)
Menschen demonstrieren mit Schildern vor dem Thüringer Landtag nach den Ergebnissen der Landtagswahl. / © Michael Reichel ( (Link ist extern)dpa )

Ähnlich auch die innere Sicherheit oder das Thema Frieden, die beschäftigen die Bevölkerung schon länger. Es ist gut, sich einzubringen, konkrete Lösungsvorschläge zu machen, Ideen in diese Diskussion zu bringen, in die gesellschaftlichen Debatten, in den vorparlamentarischen Raum, die natürlich einem christlichen Menschenbild entspringen. 

DOMRADIO.DE: Nicht nur die AfD, auch die Union unter Friedrich Merz wird wegen ihres politischen Kurses zunehmend kritisiert, auch von den Kirchen. Wird hier die Grenze zur demokratischen Mitte immer weiter nach links gerückt, so dass sich immer mehr Wähler rechts dieser Grenze befinden? 

Arnold: Ich habe die Debatten der letzten Wochen wahrgenommen und hätte mir gewünscht, dass Kirche an mancher Stelle etwas gelassener und dadurch etwas ruhiger gewesen wäre. Wir befanden uns in den letzten Wochen des Wahlkampfs. Es war eine parlamentarische Debatte von Parteien, die natürlich auch um Wählerstimmen kämpfen. 

Ich sehe keine Verschiebung von Kirche weiter nach links. Ich glaube auch, dass gerade in der Migrationsfrage kirchliche Positionen von denen der CDU abweichen. Annette Schavan hatte in den letzten Wochen darauf hingewiesen. 

Vielleicht wäre es aber klüger gewesen, gerade in den Tagen und Wochen vor der Wahl eher etwas gelassener und mäßigender vorzugehen und Brücken zu bauen. Das ist die Stärke von Religionsgemeinschaften, im gesellschaftlichen Raum Brücken zu bauen. Zu schauen, wie man diese aufgeheizte, polarisierende Stimmung wieder etwas abkühlen kann. Wie man Menschen miteinander verbinden kann, anstatt noch Öl ins Feuer zu gießen.

Thomas Arnold

"Ich hätte mir gewünscht, dass Kirche an mancher Stelle etwas gelassener und ruhiger gewesen wäre."

DOMRADIO.DE: Innerhalb der katholischen Verbände rumort es gewaltig. CDU-Politiker, die dort Mitglied sind, fühlen sich gemobbt, und treten aus wie Annegret Kramp-Karrenbauer. Der Münstersche Oberbürgermeister Markus Lewe ruft sogar zur Abschaffung der Kirchensteuer auf. Wie politisch dürfen oder müssen katholische Verbände sein? 

Arnold: Katholische Verbände dürfen auch politisch engagiert sein. Aber die Vielfalt der Verbände, und das ZdK ist ein Zusammenschluss dieser Verbände, sollte auch die Buntheit der katholischen Gläubigen in Deutschland zeigen. 

Es wird meiner Meinung nach mit Kanonen auf Spatzen geschossen, wenn man direkt die Kirchensteuer-Abschaffung fordert. Aber es sollte schon alarmieren, dass Menschen, die in der katholischer Kirche sehr stark sozialisiert sind, wie der Oberbürgermeister von Münster, so heftige Kritik an Kirche und Verbänden äußern. 

IN VIA Köln steht laut eigener Aussage für eine Welt, in der alle Menschen die gleichen Chancen und Möglichkeiten haben. / © Titikul_B (shutterstock)
IN VIA Köln steht laut eigener Aussage für eine Welt, in der alle Menschen die gleichen Chancen und Möglichkeiten haben. / © Titikul_B ( (Link ist extern)shutterstock )

Wie kommen wir wieder zusammen? Welche Debatten müssen wir führen, damit wir uns untereinander in der Sache konstruktiv auseinandersetzen, aber am Ende uns nicht als Menschen auseinanderdividieren und nicht verlieren? Wenn wir das als Glaubensgemeinschaft schaffen, können wir Vorbild für diese Gesellschaft sein, weil wir am Ende natürlich Teil dieser Gesellschaft sind. Wir sollen diese Brücken nicht abreißen lassen. 

Thomas Arnold

"In dieser Krise der Freiheit macht die Kirche mit ihrem Transzendenzglauben, mit ihrem Verständnis vom Menschen als Ebenbild Gottes Angebote, die Zuversicht geben."

DOMRADIO.DE: Sie selbst rufen in einem Kommentar dazu auf, dass den Kirchen in Deutschland gerade jetzt die Aufgabe zukommt, für Halt in unserer Gesellschaft zu sorgen. Menschen suchen nach Orientierung. Wie soll das funktionieren, wenn sich die Kirche sehr deutlich positioniert und dies von Teilen unserer Gesellschaft als sehr große Einmischung in das Privatleben oder in die eigene politische Handlungsfähigkeit interpretiert wird?

Arnold: Es ist notwendig, dass die Kirchen eine Position beziehen, gerade zu in der Tendenz rechtsextremen Parteien, ohne Diskussionen, ohne Frage. Aber wir brauchen die Debatte in der Mitte der Gesellschaft. Die Kirche könnte, weil sie verschiedene Milieus erreicht in der Gesellschaft, in ihrer Analyse am Kern des Problems, entgegenwirken. 

Ich möchte Ihnen zwei Gefahren nennen, die mir im Moment erscheinen. Das erste ist zu sagen, Kirche hat nur noch was im Privatraum zu suchen und ist nur für die persönliche Glaubenserfahrung da. Das ist zu wenig. Gerade in Priorisierungsprozessen, wie sie die katholische Kirche in den letzten Jahren erlebt hat und weiter erleben wird, ist natürlich die Aufgabe, das Individuum in seinem Glauben und der Resilienz zu stärken. Das ist eine entscheidende, wichtige Aufgabe für Kirche. 

Die zweite Gefahr: Die Kirche meint, dass sie, weil sie viele Jahre und Jahrzehnte eine Relevanz in der Gesellschaft hatte, in einer pluralen Gesellschaft automatisch weiter diese Relevanz als Player hat. Das ist nicht so. Sie muss mit Argumenten um ihre Positionen werben. Da würde ich aus meiner Sicht betonen, dass wir in einer Krise der Freiheit stecken. Die Gesellschaft ist mit einer Vielzahl von Herausforderungen konfrontiert: Es gibt Krieg, wirtschaftliche Unsicherheit, globale Veränderungen in vielen Teilen der Welt, die uns alle betreffen. In dieser Krise der Freiheit macht die Kirche mit ihrem Transzendenzglauben, mit ihrem Verständnis vom Menschen als Ebenbild Gottes, Angebote, die Zuversicht geben, die zusammenführen und die am Ende auch einen politischen Katholizismus ermöglichen. Und das in einer Zeit, wo Katholizismus und Christentum nicht mehr die einzigen Lösungsoptionen für die Gesellschaft bieten. 

Das Interview führte Jan Hendrik Stens.

Quelle:
DR

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