Theologe Hagencord fordert dringenden Schutz der Ökosysteme

"Wir brauchen stärkere Kontrollen"

Invasive Tiere und Pflanze werden zum Problem für lokale Ökosysteme. Das geht aus einem Bericht der UNO hervor. Rainer Hagencord vom Institut für Theologische Zoologie erklärt, warum es nicht reicht, nur auf diese Arten zu schauen.

Kirschfruchtfliege, großer Schädling von Kirschpflanzen in Europa / © Tomasz Klejdysz (shutterstock)
Kirschfruchtfliege, großer Schädling von Kirschpflanzen in Europa / © Tomasz Klejdysz ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Warum stellen die invasiven Arten ein so großes Problem für die lokalen Ökosysteme dar? 

Rainer Hagencord, Theologe und Biologe, sowie Leiter des Instituts für Theologische Zoologie / © Lars Berg (KNA)
Rainer Hagencord, Theologe und Biologe, sowie Leiter des Instituts für Theologische Zoologie / © Lars Berg ( KNA )

Rainer Hagencord (Theologe und Biologe, Leiter des Instituts für Theologische Zoologie e. V. in Münster): Es gibt enorme Zahlen, die mich schwindlig werden lassen. Es sind 423 Milliarden Dollar, die jährlich aufgebracht werden müssen aufgrund der wirtschaftlichen Kosten durch diese invasiven Arten. Und alle zehn Jahre vervierfachen sich diese Kosten.

Wir sehen in alledem ein Grundproblem: Ökosysteme sind über Jahrhunderttausende, Jahrmillionen sehr komplexe Systeme geworden, und die verschiedensten Arten stehe alle miteinander in Kontakt und sorgen für ein Gleichgewicht. Es braucht nur eine invasive Art, wie zum Beispiel die Kirschessigfliege oder das weiße Stängelbecherchen, die aus anderen Lebensräumen kommen und hier die gesamten Ökosysteme durcheinanderbringen. Das ist dann nicht nur ein Problem für die dann kollabierenden Ökosysteme, sondern auch für das Gesundheitssystem des Menschen und die Land- und Forstwirtschaft. 

DOMRADIO.DE: Was wiegt schwerer: die ökologischen oder wirtschaftlichen Folgen? 

Rainer Hagencord

"Wenn wir das jetzt nicht tun, so sagen Forschende, sind bis 2100 die Lebensgrundlagen auf dieser Erde vernichtet."

Hagencord: Das kann man gar nicht so sagen, denn insgesamt führt die eine Katastrophe wieder zur nächsten. Wir hatten vor einem guten halben Jahr einen Beschluss der Vereinten Nationen. "30 to 30" nannte der sich mit der Aufgabe 30 Prozent der Lebensräume bis 2030 unter Schutz zu stellen. Die Lage ist dramatisch. Wenn wir das jetzt nicht tun, so sagen Forschende, sind bis 2100 die Lebensgrundlagen auf dieser Erde vernichtet. Zu den 30 Prozent, der zu schützenden Lebenräumen, gehören auch vorrangig landwirtschaftlich genutzte Flächen.

Dieses Thema ist leider Gottes in den Hintergrund geraten. Dabei müssen wir, die Politik und auch die Europäische Union dringend aktiv werden. Denn es sind nicht die invasiven Arten, die unsere Ökosysteme zerstören. Wir Menschen bringen die Ökosysteme weltweit durcheinander.

DOMRADIO.DE: Brauchen die invasiven Arten nicht auch ihren Lebensraum, ist der nur an der falschen Stelle? Sollte man exotische Pflanzen und Tiere da lassen, wo sie herkommen? 

Hagencord: Genau. Das ist fast eine Binsenweisheit, weil wir hier gigantische Probleme haben. Es geht nicht darum, ob ich aus meinem Urlaub in Teneriffa jetzt eine bestimmte Insektenarten einführe, sondern um die weltweiten Warenflüsse. Die Meere sind zum Beispiel durch das Ballastwasser der Containerschiffe betroffen. Wenn ein riesiger Container aus asiatischen Gewässern hier in die Nordsee kommt und das Ballastwasser ablässt, können aufgrund des Klimawandels hier plötzlich bestimmte Krabben, Quallen, Tiere und Pflanzen existieren, die vorher noch nie hier existiert haben.

Das andere Problem im Handel ist die Industrie mit Lebensmitteln, Gemüse, Obst und Hölzern. Auch die werden weltweit verschifft. Und überall verstecken sich dann Pilze wie das Stängelbecherchen oder eine kleine Fliege, die hier gesamte Ernten vernichten. Da braucht es zum Beispiel stärkere Kontrollen.

DOMRADIO.DE: Der Weltbiodiversitätsrat fordert die Regierungen zum Handeln auf. Was sollte aus Ihrer Sicht passieren? 

Rainer Hagencord

"Ich sehe es ein bisschen kritisch, dass die invasiven Arten so stark im Mittelpunkt der Berichterstattung stehen und die viel größeren Probleme dabei nicht behandelt werden."

Hagencord: Wir sollten das Problem im Gesamtpaket sehen. Ich sehe es ein bisschen kritisch, dass die invasiven Arten so stark im Mittelpunkt der Berichterstattung stehen und die viel größeren Probleme dabei nicht behandelt werden. Wir rotten gerade Millionen von Arten aus, Stichwort Biodiversitätsverlust. Der Klimawandel sorgt ja nicht nur in den Ökosystemen, sondern auch in unserem Gesundheitssystem für verheerende Folgen.

Wir müssen das Gesamtpaket ansehen. Wenn wir nur über invasive Arten sprechen, kommt es mir vor, als würden Tiere und Pflanzen fast dämonisiert. Unsere Probleme sind aber nicht damit gelöst, wenn die invasive Arten einfach wieder weg sind und wir so in unserem Konsumverhalten weiterleben wie bisher. 

DOMRADIO.DE: Die Frage ist natürlich, wie könnte man das Problem lösen? Welche Schritte sind nötig, um dahin zu kommen? 

Hagencord: Es gilt das gesamte Paket in Angriff zu nehmen und Lebensräume zu schützen. Da sind die Regierungen und Kommunen gefragt, Schutzgebiete auszuschreiben und die Landwirtschaft umzustellen. Das Thema invasive Arten muss man als eines wahrzunehmen, das jetzt Aufmerksamkeit verdient, aber gleichzeitig ein wenig in den Hintergrund rücken müsste, um die ganze Problematik im Blick zu behalten. 

Das Interview führt Dagmar Peters. 

Invasive Arten sind massives Problem

Sogenannte invasive Arten sind einem internationalen Bericht zufolge ein massiv unterschätztes Problem und verursachen Kosten von mehreren Hundert Milliarden Euro im Jahr. Solche Tiere und Pflanzen, die sich in Gebieten außerhalb ihrer Heimat ausbreiten und dort eine Gefahr für die heimische Flora und Fauna darstellen, gelten als eine der Hauptursachen für den weltweiten Artenrückgang. Der Bericht wurde am 4. September 2023 von dem in Bonn angesiedelten Weltbiodiversitätsrat (IPBES) veröffentlicht.

Eine Asiatische Hornisse ist in Deutschland eine invasive Insektenart. / © Axel Heimken (dpa)
Eine Asiatische Hornisse ist in Deutschland eine invasive Insektenart. / © Axel Heimken ( dpa )
Quelle:
DR