DOMRADIO.DE: Sie leben in Israel. Dort haben Sie es gerade praktisch mit den Ruinen von zerbombten Häusern zu tun. Was lösen diese Ruinen in Ihnen und in den Menschen aus?
Dr. Georg Röwekamp (Leiter des Pilgerhauses Tabgha am See Genezareth): Ja, das sind natürlich Symbole für das, was dort gerade passiert, für all die Schrecken des Krieges. Man denkt auch an diejenigen, die noch unter den Trümmern begraben sind. Ein schrecklicher Tod muss das sein, wenn man nicht gefunden wird. Von daher liegt mir eine Verklärung von Ruinen gerade von gegenwärtigen Ruinen durchaus fern.
DOMRADIO.DE: Ein Impuls für Sie war das Buch "Gebet in Ruinen" von Ralf Rothmann, um über die Verbindung von Kirche und Ruinen nachzudenken. Inwieweit hat das Ihre Perspektive beeinflusst?
Röwekamp: Das Buch kenne ich seit langem und der Titel hat mich damals sehr angesprochen. Nicht nur, weil der Autor wie ich aus dem Ruhrgebiet stammt. Ich habe damals schon gedacht, das ist eine gute Beschreibung für das, was wir oft in der Kirche zurzeit erleben.
Da ist so viel zusammengebrochen, zusammengestürzt, aber die Reste sind noch da. Wenn man die nicht aufgeben will, wenn man seinen Glauben nicht aufgeben will, dann hat man oft das Gefühl, man lebt in der Mitte von etwas Zusammengebrochenen und will trotzdem weiter beten.
DOMRADIO.DE: Jetzt könnte man den Satz "Gebet in Ruinen" auch auf den Status der Kirche anwenden. Das sagen Sie auch. Wie meinen Sie das?
Röwekamp: Ja, so wie ich das eben versucht habe anzudeuten. Vieles von den Formen, in denen wir großgeworden sind, von Kirchlichkeit und Glauben, die gibt es heute entweder nicht mehr oder die passen heute nicht mehr. So kann man sich eben manchmal fühlen, wenn man in den Ruinen von etwas Vergangenem bleibt, betet und versucht, das aufrecht zu halten, was einem an diesem Vergangenen einmal kostbar war.
DOMRADIO.DE: Jetzt bleiben bei der Kirche auch Kirchengebäude ein Thema. Wir denken an Kirchengebäude, die hierzulande übrig sind, die verkauft werden, die umgewidmet werden. Sollten wir die eine oder andere zur Ruine zerfallen lassen und dadurch irgendwas Besonderes bewirken?
Röwekamp: Das ist ein Gedanke, der mich seit langem in dem Zusammenhang beschäftigt. Zum einen weiß ich, dass Ruinen in der Zeit der Romantik schon einmal ein Symbol waren. Einerseits ein Symbol der Sehnsucht nach etwas Vergangenem, aber gleichzeitig auch der Hoffnung auf etwas Neues.
Die Bilder von Caspar David Friedrich, die im Moment wieder Hunderttausende faszinieren, sind oft von Ruinen geprägt. Manchmal stehen sie für Vergangenheit, für Winter, für Tod, aber manchmal bricht durch die zerbrochenen Fenster einer gotischen Kirchenruine das Licht eines neuen Morgens.
So habe ich manchmal schon an die vielen Kirchen gedacht, die im Moment nicht mehr unterhalten werden können. Könnten die nicht gezielt ruiniert werden, als Ruine stehen gelassen werden und dann zumindest noch verkünden von dem, was einmal war?
Ähnlich wie damals in der Romantik könnte man die Sehnsucht wecken nach etwas, das fehlt. Natürlich weiß ich, dass es Geld kostet, Kirchen zu ruinieren und dann auch zu erhalten. Aber gerade in Köln gab es die Kirche Maria in den Trümmern.
Heute ist diese kleine Kapelle ganz umgeben von dem großartigen Museum Kolumba. Aber die stand einmal in den Trümmern einer Kirche. Sie erinnerte einerseits an die Schrecken der Vergangenheit, war aber gleichzeitig ein aktueller gegenwärtiger Gebetsort, der den Menschen etwas sagte und zu ihrer Situation passte.
DOMRADIO.DE: Wobei der Gedanke schon skurril ist, eine bestehende Kirche aktiv zu einer Ruine zu machen. Das, was es an Ruinen gibt, wie auch die Gedächtniskirche in Berlin, sind im Krieg zerstört worden. Aktiv ein bestehendes Gebäude zerfallen zu lassen, ich glaube, das stößt möglicherweise nicht auf allzu viel Gegenliebe?
Röwekamp: Ich weiß es nicht. Mich hat dieser Gedanke beschäftigt. Ich wollte ihn zur Diskussion stellen. Zumal ich selber erlebt habe, dass die Kirche im Ort, in dem ich groß geworden bin als Jugendlicher, tatsächlich zerstört wurde, weil der Stadtteil sich anders entwickelt hat.
Ich weiß noch, wie wir durch die Trümmer gelaufen sind und ein paar Glasscherben gefunden haben, die mir heute als Überreste von dieser Kirche besonders kostbar sind. Wenn zumindest noch ein paar Mauern davon stünden, würden sie zumindest noch von der lebendigen Gemeinde erzählen, die damals da war. Sie würde in diesem jetzt kirchenlosen Stadtteil darauf hinweisen, für wen diese Kirche einmal gebaut war.
Das Interview führte Bernd Hamer.