Theologe Söding unterstützt Papstkritik an Trump-Regierung

"Der Papst hat klare Worte gefunden"

So deutlich ist Papst Franziskus selten geworden. In einem Brandbrief an die US-Bischöfe kritisierte er die Migrationspolitik der Trump-Regierung scharf. Die begründet ihr Handeln auch aus dem Christentum heraus. Zu Recht?

Autor/in:
Johannes Schröer
US-Präsident Donald Trump (r.) und Vizepräsident JD Vance (l.) / © Kenny Holston (dpa)
US-Präsident Donald Trump (r.) und Vizepräsident JD Vance (l.) / © Kenny Holston ( (Link ist extern)dpa )

DOMRADIO.DE: Kann man die Kritik des Papstes an der Migrationspolitik von US-Präsident Donald Trump biblisch begründen? Oder sollte sich der Papst raushalten, weil man sich in die Politik "des Kaisers", in diesem Fall des US-Präsidenten, nicht einmischen sollte? 

Prof. Dr. Thomas Söding / © ZdK/ Peter Bongard (Zentralkomitee der deutschen Katholiken)

Prof. Dr. Thomas Söding (Seniorprofessor für neutestamentliche Exegese an der Ruhr-Universität Bochum und Autor): Der Papst würde seiner Aufgabe nicht gerecht werden, wenn er hier schweigen würde. Ich drehe die Sache um: Wer kann in der Welt von Donald Trump und Vladimir Putin und den vielen Diktatoren dieser Welt die Stimme der Menschlichkeit erheben, einer Menschlichkeit, die Klugheit und Verantwortung realisiert? 

Der Papst hat diese Möglichkeit. Ich bin sehr froh, dass der Papst zu so klaren Worten gefunden hat. Und ja, er kann nicht nur, er muss mit der Bibel argumentieren. Denn wenn es heißt "Gebt dem Kaiser, was des Kaisers und Gott, was Gottes ist", dann muss auch der Kaiser Gott geben, was Gottes ist. Daran muss die Kirche erinnern. 

DOMRADIO.DE: Das heißt, Sie drehen das Zitat gewissermaßen um und sagen, der Kaiser ist hier in einer Bringschuld?

Söding: Das ist der Ansatz Jesu. Jesus denkt von Gott her, vom lebendigen Gott, vom verborgenen Gott, vom nahen Gott. Diesem Gott müssen Menschen entsprechen. Der Kaiser ist eine Symbolfigur für alle, die Macht haben. Es gibt die Kaiser, die reden oder handeln, als seien sie selbst Gott. Das endet regelmäßig in der Tyrannei. Diese Freiheit, nur Gott auch Gott zu nennen, begründet die politische Ethik. 

DOMRADIO.DE: Nun begründen Donald Trump und sein Vize-Präsident James David Vance ihr Handeln auch aus dem Christentum heraus. Vance hat zuletzt gesagt, er finde auch Zeugnisse des Heiligen Augustinus, die rechtfertigen, die Liebe zur eigenen Familie vor die Nachbarliebe zu stellen.

Thomas Söding

"Die Pointe des Gebotes der Nächstenliebe ist, dass ich gerade nicht Menschen aus meinem Gesichtsfeld und aus meinen Handlungsmöglichkeiten ausschließe."

Söding: Dann sollte man sich mit der Schrift und der theologischen Tradition auch auskennen. Tatsächlich ist es so, dass ich mit meinen Grenzen als Mensch zwar allen Menschen Gutes wünschen kann und soll, aber auch meine Kräfte konzentrieren muss. Das hat mit dem Gebot der Nächstenliebe zu tun. Aber die Pointe des Gebotes der Nächstenliebe ist, dass ich gerade nicht Menschen aus meinem Gesichtsfeld und aus meinen Handlungsmöglichkeiten ausschließe, bloß weil sie von woanders kommen, bloß weil sie anders aussehen, bloß weil sie eine andere Religion haben. 

Das ist die Pointe von Augustinus und Thomas von Aquin, und beide haben dieses Jesuswort genau verstanden. "Ich muss mich konzentrieren, ich habe Grenzen meines Handelns. Aber diese Grenzen schotten nicht ab, sondern müssen Brücken werden, mit denen ich in der Lage bin, Menschen, die von außen kommen, als Menschen zu behandeln." Das ist auch die Aufgabe der Politik. 

DOMRADIO.DE: Wenn man sich die Bergpredigt genauer anschaut, steht da: "Leiste dem, der euch Böses tut, keinen Widerstand" - also das Gebot der Feindesliebe. Erzählen Sie das mal den Menschen in der Ukraine. Diese Handlungsanweisungen sind doch in der Praxis irrsinnig und absolut untauglich, oder?

Söding: Die Gebote der Bergpredigt sind nicht in der Praxis untaugliche Handlungsanweisungen, sondern Hinweise Jesu darauf, wie weit Menschen im persönlichen und auch im politischen Handeln zu gehen bereit sein müssen, um aus diesem schrecklichen Zirkel der Gewalt auszusteigen. Fundamentalistisch wäre es, unmittelbare Handlungsanweisungen aus der Bergpredigt abzuleiten. 

Aber wenn man fragt, in welcher Einstellung, mit welchem Ethos, mit welcher Fähigkeit, andere Menschen nicht als Unmenschen zu betrachten, Politik betrieben werden muss, dann zeigt sich, dass die Bergpredigt das Herz öffnet. Sie regt die Kreativität an, Gewalt zu überwinden. Niemals ist aus der Bergpredigt abgeleitet worden, es gäbe kein Recht auf Selbstverteidigung. 

Das gilt auch im militärischen Bereich. Die Lehre vom gerechten Krieg, vom gerechten Frieden, hat das aufgefangen. Entscheidend ist allerdings, nicht mit gleicher Münze heimzuzahlen. Entscheidend ist, Menschen nicht nur in die Opferrolle zu zwängen. Entscheidend ist, dass eine Kreativität entsteht, um Gewalt zu minimieren. Das ist das politische Ethos des Neuen Testaments. 

DOMRADIO.DE: Ist denn nun die Bergpredigt ein Grundgesetz des Christentums? Da kommt doch auch Transzendenz hinzu. Wenn wir sie zum Beispiel mit dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland vergleichen, kann man beides doch nicht eins zu eins nebeneinanderlegen, oder? 

Söding: Die Bergpredigt ist kein Regierungsprogramm. Jesus war kein Politiker. Jesus hat das Reich Gottes verkündet, aber keinen Gottesstaat begründet. Das ist die große Leistung. Dass politische Theologie immer wieder dazu tendiert, in der Antike wie auch in der Gegenwart mit religiösen Motiven direkt durchzuregieren, ist die fatale Versuchung jeder Religion. 

Und das, was mit Johann Baptist Metz "Neue politische Theologie" genannt worden ist, hat genau diese Versuchung benannt und dadurch zu überwinden versucht, dass man deutlich gemacht hat: Ja, in der Religion geht es um das Beten; denken wir an das Vaterunser. Aber genau deswegen geht es auch um eine soziale Verantwortung. Und die so zu praktizieren, dass mehr Gerechtigkeit entsteht – das ist ja das Leitwort der Bergpredigt –, ist der politische Impetus des Neuen Testaments. 

Thomas Söding

"Manchmal höre ich, angeblich könne man mit der Bibel alles beweisen. Das ist keineswegs der Fall."

DOMRADIO.DE: Das katholische Christentum ist, wie andere auch, eine reine Buchreligionen. Das verführt dazu, sich aus der Bibel herauszupicken, was man herauspicken will, oder?

Söding: Ich halte das Christentum nicht für eine Buchreligion. Das Christentum ist eine Religion, die einen Menschen ins Zentrum stellt, den Menschen Gottes, nämlich Jesus. Das Christentum hat aber eine Heilige Schrift. Die Bibel ist das grundlegende Zeugnis der Begegnungen mit Gott in der Geschichte Israels, in der Geschichte Jesu und in der Missionsgeschichte der frühen Kirche. Im Zentrum des Christentums steht kein geschriebener Text, sondern der Mensch. 

Und von diesem Menschen her kann ich durch das Lesen der Heiligen Schrift etwas von Gott wissen. Genau diese Spannung macht es aus, dass ich die Bibel nicht fundamentalistisch lese, dass ich in der Lage bin, die Bibel aus dem Kontext ihrer Zeit heraus zu interpretieren. 

Manchmal höre ich, angeblich könne man mit der Bibel alles beweisen. Das ist keineswegs der Fall. Es gibt so etwas wie eine Hierarchie der Wahrheiten in der Bibel selbst. Es gibt sehr differenzierte Ansätze, Zeitbedingtheit mit Unbedingtheit zu vermitteln. 

Es braucht allerdings eine theologische Expertise für die Bibel. Dann wird deutlich, dass man mit einem Fundamentalismus á la JD Vance und anderer nicht weiterkommt, sondern das Religiöse, auch das Christliche, in eine Ideologie verdreht. Wie unmenschlich das wird, kann man an der Trumpschen Migrationspolitik erkennen.

Das Interview führte Johannes Schröer.

Schreiben von Papst Franziskus an die US-Bischöfe zur Migrationspolitik der Regierung unter Präsident Donald Trump

Schreiben von Papst Franziskus an die katholischen Bischöfe der Vereinigten Staaten zur Migrationspolitik der Regierung unter Präsident Donald Trump

Liebe Brüder im Bischofsamt,

Ich schreibe Ihnen heute, um einige Worte an Sie zu richten in diesen heiklen Momenten, die Sie erleben als Hirten des Volkes Gottes, das in den Vereinigten Staaten von Amerika zusammenlebt.

Papst Franziskus / © Cristian Gennari/Romano Siciliani (KNA)
Quelle:
DR

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