Theologe Zank plädiert für mehr Blasphemie in Religionen

"Das hat etwas mit Zivilcourage zu tun"

Gotteslästerung ist in einigen Ländern lebensgefährlich, aber Blasphemie bringt Religionen weiter, so der Theologe Michael Zank. Es brauche heute mehr Menschen, die wie die Propheten der Bibel den friedlichen Konsens herausforderten.

Koran, Thora und Bibel  / © Elisabeth Schomaker (KNA)
Koran, Thora und Bibel / © Elisabeth Schomaker ( KNA )

DOMRADIO.DE: Blasphemie findet man vor allem bei monotheistischen Religionen, also beim Judentum, dem Christentum und dem Islam. Sind Religionen mit nur einem Gott besonders besonders anfällig für Blasphemie?

Dr. Michael Zank (privat)
Dr. Michael Zank / ( privat )

Dr. Michael Zank (Theologe und ehemaliger Leiter des "Elie Wiesel Center for Jewish Studies" an der Boston University): Schon im Altertum gab es Religionsbeschimpfungen und in bestimmten Städten in Kleinasien haben sich griechische Verehrer bestimmter Gottheiten über die Gottheiten anderer Leute lustig gemacht. Es ist nicht unbedingt mit der berühmten Intoleranz des Monotheismus in Verbindung zu bringen. Es ist schon viel älter, dass man sich über Götter anderer Leute lustig macht.

Michael Zank

"Man muss auch beachten, dass unsere Religionen zum Teil durch Blasphemie entstanden sind."

DOMRADIO.DE: Jetzt könnte man ja auch eigentlich denken: Gott steht über den Lästerungen. Warum empfinden Menschen Blasphemie als so verurteilungenswürdig, dass es Strafen bis hin zur Todesstrafe gibt?

Zank: Das hat etwas damit zu tun, inwiefern Religion mit zur öffentlichen Ordnung dazugehört. In manchen Ländern ist das sehr stark der Fall. Aber vor allem in pluralistischen Gesellschaften, denke ich, ist es wichtig, dass man darauf achtet, dass es so etwas wie Respekt und Ehre gegenüber anderen Gemeinschaften bewahrt wird. Man muss auch mitbeachten, dass unsere Religionen zum Teil durch Blasphemie entstanden sind. Also denken Sie da vor allen Dingen an den Fall Jesus von Nazareth, der aufgrund eines Blasphemievorwurfs hingerichtet worden ist.

Michael Zank

"Die Gesellschaft muss so offen sein muss und lernen, mit solchen Provokationen zu leben und umzugehen."

Dasselbe kann man übrigens nicht behaupten von der islamischen Geschichte, die viel weniger blasphemisch angefangen hat, nämlich eher mithilfe einer Wiederherstellung eines abrahamitischen Heiligtums in Mekka. Das war ja damals der große Akt der Wiederherstellung der Kaaba. Und so war ja auch zunächst mal der frühe Islam eine durchaus sehr tolerante Einrichtung, die darauf beruhte, dass die arabischen Eroberer die Bevölkerung, die sie dann unter ihre Macht brachten, vor allen Dingen Juden, Samaritaner, Christen verschiedener Couleur eigentlich mit vereinnahmt haben, aber in einem sehr toleranten Prinzip.

Der heutige Islam ist ja vielfach ganz anders, und zwar aufgrund verzerrter Vorstellungen dessen, was man im frühen Islam so unter Monotheismus verstanden hat.

Auf dem Bild ist Andreas Serranos "Piss Christ" zu sehen / © Kay Michalak / fotoetage (epd)
Auf dem Bild ist Andreas Serranos "Piss Christ" zu sehen / © Kay Michalak / fotoetage ( epd )

DOMRADIO.DE: In der westlichen Welt prallt ja die Blasphemie zu dem Verständnis freier Meinungsäußerung, eine Gratwanderung. Wie lösen wir das denn im Moment?

Zank: Mein Eindruck ist, dass es vor allen Dingen da um die Freiheit der Kunst geht. Es werden immer wieder Empfindlichkeiten laut, die durch Kunstwerke oder Künstler aus ausgelöst werden, die sozusagen die Toleranzfähigkeit der Religionsgemeinschaften irgendwo ein bisschen austesten. Das berühmte Beispiel von Serranos "Piss Christ", der ein Kruzifix in menschlichen Urin eingetaucht hat. Das hat in den 70er Jahren in den Vereinigten Staaten große Wogen geschlagen. Aber wenn man genau hinschaut, war dieser Serrano eigentlich ein gläubiger und guter Katholik, der noch mal Aufmerksamkeit auf die Menschlichkeit Christi versuchte zu ziehen mit künstlerischen Mitteln.

Also man muss dann auch einfach sagen, dass die Gesellschaft so offen sein muss und lernen muss, mit solchen Provokationen irgendwie zu leben und umzugehen. In der Bundesrepublik war um das Jahr 2000 mal wieder die Diskussion wieder laut, einerseits den Blasphemie-Paragrafen zu verschärfen, andere wollten ihn ganz abschaffen und ich denke, heute ist eigentlich das gar nicht mehr so die große Diskussion.

Heute geht es eher so wie in Dänemark zum Beispiel um den Versuch, irgendwie auf einer liberalen Grundlage die Provokationen, die da jetzt ständig stattfinden und wirklich Provokationen sind, irgendwie gesetzlich in den Griff zu bekommen.

Der Demonstrant Salwan Momika vor der irakischen Botschaft in Stockholm / © Oscar Olsson (dpa)
Der Demonstrant Salwan Momika vor der irakischen Botschaft in Stockholm / © Oscar Olsson ( dpa )

Und meiner Ansicht nach wird da ein Fehler gemacht. Denn zum Beispiel bei der Gesetzesvorlage, die jetzt in Dänemark diskutiert wird, will man sowohl eine Verunglimpfung der Bibel als auch eine Verunglimpfung des Korans oder der Verbrennung dieser Bücher unter Strafe stellen. Meiner Ansicht nach ist das schief, weil der Koran im Islam eine völlig andere Stellung einnimmt als, sagen wir mal die Bibel im Christentum. Der Koran ist im Islam eher der Hostie zu vergleichen. Er hat eine Heiligkeit als Schrift, als Gegenstand, als Objekt des Glaubens, der im Christentum der Bibel gar nicht zukommt. Also man muss sich ja nicht aufregen, wenn jemand die Bibel verbrennt. Das muss man wirklich auch im Griff behalten, dass das von diesen liberalen Gleichsetzungen eigentlich gar nicht zu verstehen ist.

Michael Zank

"Propheten waren Unruhestifter und insofern haben die auch etwas Blasphemisches an sich."

 

DOMRADIO.DE: Was ist denn für Sie im Moment das spannendste Thema, wenn Sie auf die Entwicklung im Umgang mit Blasphemie gucken?

Zank: Das Spannendste für mich ist einfach zu bedenken, dass es nicht nur so ist, dass Religion in gewisser Weise durch Blasphemie wieder neu angefacht werden kann, sondern auch, dass Blasphemie nötig ist, um Religionsgemeinschaften vorwärts zu drängen und ihnen praktisch neue Alternativen darzustellen. Das geht natürlich auf Kosten derjenigen, die diese Dinge tun und wagen. Aber wenn es konstruktiv ist, finde ich, ist Blasphemie auch etwas, was uns allen nottut.

DOMRADIO.DE: Warum?

Zank: Denken Sie mal an die biblischen Propheten. Die haben immer wieder den Konsens der Gesellschaft herausgefordert und wurden nach biblischer Aussage immer wieder verfolgt dafür. Der Prophet Elias in den Königsbüchern wird vom König Ahab als jemand bezeichnet, der Unruhe stiftet, Propheten waren Unruhestifter. Und insofern haben die auch etwas Blasphemisches an sich.

Sie haben den Konsens gestört, sie haben die Riten herausgefordert, haben gesagt, wir brauchen nicht mehr Lieder und wir brauchen nicht mehr Opfergänge, wir brauchen eine bessere Verhaltensweise. Also ich denke, Propheten heute sind oft die Störer, diejenigen, die den friedlichen Konsens etwas herausfordern. Und ich denke, da brauchen wir mehr davon. Das hat etwas mit Zivilcourage zu tun.

Das Interview führte Heike Sicconi.

Blasphemie

Der Ausdruck "Blasphemie" stammt aus dem Griechischen und heißt so viel wie „schmähen, lästern“. Heute findet das Wort ausschließlich Verwendung als Fachbegriff für die Gotteslästerung.

Blasphemische Äußerungen sind also Gott lästernde, Heiliges verhöhnende Worte. Wo wie in der Antike die (religiöse) Kultgemeinde mit der politischen Gemeinschaft zusammenfiel, galt die Blasphemie zugleich als politisches Delikt, das hart zu ahnden war. Auch im Alten Testament wurde die Gotteslästerung mit dem Tod bestraft.

Symbolbild: Blasphemie / © SNeG17 (shutterstock)
Quelle:
DR