Theologe zu Benedikts Liturgiekritik

"In einen Topf geworfen"

Der emeritierte Papst Benedikt XVI. hat jüngst in einem Vorwort seiner Werke die Gestaltung von modernen Gottesdiensten kritisiert.

Papst em. Benedikt XVI.  / © Osservatore Romano (KNA)
Papst em. Benedikt XVI. / © Osservatore Romano ( KNA )

Liturgiewissenschaftler Albert Gerhards meint, Benedikt unterscheide nicht genug und wiederhole alte Vorwürfe.

domradio.de: Der emeritierte Papst äußert seine Kritik an der modernen Liturgie im Vorwort der russischen Ausgabe seiner Werke zur Liturgie. Sind schlecht vorbereitete Gottesdienste wirklich die Ursache der Krise der Kirche?

Prof. Dr. Albert Gerhards (Professor für Liturgiewissenschaft an der Uni Bonn): Das ist zunächst einmal nichts Neues. Denn das, was er im Vorwort schreibt, steht auch in vielen Stellen im Buch. Er hat Recht, wenn er von "schlecht vorbereiteten Gottesdiensten" spricht. Die Praxis an der Basis ist natürlich oft nicht so, wie man sich das wünschen würde. Das Problem ist, dass er das mit der Liturgieform selbst in einen Topf wirft. Und das hat er aber schon in den 1960er Jahren gemacht – mit dem Beginn der Liturgiereform.

domradio.de: Benedikt schreibt, dass man im Gottesdienst die Unterweisung und die eigene Aktivität und Kreativität in den Mittelpunkt des Gottesdienstes gestellt habe. Was meint er damit Ihrer Meinung nach?

Gerhards: Er hat sich schon immer gegen gewisse Dinge gewehrt. Ich kann mich an den Aachener Katholikentag 1986 erinnern. Da gab es auch schon eine Kontroverse. Wenn Tanz im Gottesdienst und neues geistliches Liedgut verwendet wurde, dann hat er das immer auf diese Formel gebracht.

Das Problem, das dahinter steht, ist meines Erachtens, dass er hier in einem Entweder-Oder-Denken steht. Entweder ist Liturgie kultig oder verflacht kommunikativ. Aber das Konzil hat ja gerade den dritten Weg vorgelegt, der besagt, dass der Gottdienst ein gott-menschlicher Austausch ist, der einerseits schon die göttliche Vorgabe hat, aber auch auf der anderen Seite, den Menschen mit all seinen kreativen Möglichkeiten und Fähigkeiten einbeziehen will. Das ist meiner Meinung nach in seiner Liturgietheologie nicht wirklich ausgewogen.

domradio.de: Wenn Gott nicht mehr Vorrang in der Liturgie und im Leben hat, ist die Kirche in Gefahr, meint Benedikt weiter. Können Sie den Vorwurf nachvollziehen, dass es in modernen Gottesdiensten zu wenig um Gott und vielleicht zu sehr um den Menschen geht?

Gerhards: Hier müssen wir wieder unterscheiden zwischen dem, was die Liturgiereform wollte und was in den liturgischen Bestimmungen enthalten ist und dem, was manchmal oder auch öfter de facto vorkommt. Ich habe damals noch Kardinal Ratzinger bei einem Gespräch vor vielen Jahren gesagt, wie anders kann denn Theologie, Kirche, Liturgie als anthropozentrisch (Anm. d. Red.: so, dass es den Menschen und seine Bedürfnisse in den Mittelpunkt stellt) sein, wenn Gott selber Mensch geworden ist. Dann steht doch der Mensch im Mittelpunkt, allerdings der Mensch, der von Gott geschaffen, berufen, erlöst, geheiligt und zu Großem vorherbestimmt ist. Da hat er auch keine Antwort drauf gegeben.

domradio.de: Die Kritik an vermeintlich zu modern gestalteten Gottesdiensten gibt es schon lange. Unterliegt der emeritierte Papst da nicht einem Zerrbild?

Gerhards: Natürlich. Einerseits ist die Kritik im Einzelnen absolut berechtigt. Das hat auch die Liturgiewissenschaft immer wieder betont. Auch wenn er das erst in jüngerer Zeit, nachdem wir mit in Gespräche gekommen waren, wirklich zur Kenntnis genommen hat. Aber letztlich kommt es darauf an, dass man ständig versucht zum Zentrum vorzustoßen. Das ist ein ewiges Ringen. Das kann nur dadurch gelingen, wenn wir die Brücke zwischen dem schlagen, was Kirche als Überlieferung vorgibt, und dem, was Menschen an ihren eigenen Fragen und Zweifeln mitbringen. Und hier wird im Grunde genommen so ein platonisches Bild einer vollkommenen himmlischen Liturgie vor Augen gestellt, die ja schon vor dem Konzil die Menschen nicht wirklich erreicht hat. Denn der Auszug aus der Kirche beginnt längst vor 1965. Nur gewinnt er aus verschiedenen Gründen, das sind nicht nur innerkirchliche Gründe, in den Jahren um 1968 natürlich neu an Fahrt.

domradio.de: Was muss denn ein Gottesdienst leisten, damit die Menschen sich angesprochen fühlen, idealerweise wirklich zu Gott finden?

Gerhards: Ich komme gerade von einer Tagung von Burg Rothenfels zurück. Da gibt es einen Kreis "Ökumenisches Stundengebet" und da haben wir in den Tagen so an die zwölf Gottesdienste gefeiert. Das waren alles Erfahrungen dessen, worum es auch dem emeritierten Papst Benedikt letztlich geht: Die Erfahrung, dass im Gottesdienst eine gott-menschliche Begegnung stattfindet. Das kann aber nur gelingen, wenn die Menschen das Ihre miteinbringen können. Es kann ja sein, dass einige Menschen das in der alten Form der Liturgie besser können. Und für die ist es gut, dass diese Form zu Verfügung steht. Aber bitte, lasst eben die vielen Anderen – und ich glaube, es sind wesentlich mehr – im Sinne dessen, was Kirche vorgibt und vorlebt, den Gottesdienst auf ihre Weise feiern und macht es ihnen nicht madig. Das ist genau das Problem, das hinter diesen ständigen Invektiven (Anm. d. Red.: Schmähschrift oder Schmährede) steht, die Benedikt leider immer wieder äußert.

Das Gespräch führte Hilde Regeniter.

 

Quelle:
DR