DOMRADIO.DE: Um welche beiden namenlosen Frauen geht es denn bei Mose?
Claudia Sticher (Beauftragte für biblische und theologische Bildung im Bistum Mainz): Es geht um die Mutter und die Schwester eines kleinen Säuglings, eines Kindes, von dem wir ganz am Ende der Geschichte dann den Namen erfahren. Dieses Baby heißt Mose.
DOMRADIO.DE: Was weiß man denn über diese beiden Frauen aus der Bibel?
Sticher: Es ist sehr interessant, dass sie im Buch Exodus keinen Namen haben. Von späteren Erzählungen fällt uns vielleicht ein, dass die Schwester des Mose Mirjam heißt. Aber in dieser Geschichte der Rettung Mose, haben weder seine Mutter noch seine Schwester einen Eigennamen. Sie werden immer nur als die Mutter und die Schwester beschrieben.
DOMRADIO.DE: Inwiefern hat in diesem Fall die echte Mutter des Moses keine andere Wahl?
Sticher: Wir werden in die ganz frühe Zeit Israels versetzt, als sie als Sklaven in Ägypten lebten. Der Pharao ist sehr unmenschlich, legt in diesem Volk Fronarbeit auf, damit sie sich nicht vermehren. Es gab die Angst, dass fremde Völker im Land zu groß werden. Also unterdrückte man sie mit harter Arbeit. Sie mussten Ziegel brennen, um die Pyramiden zu bauen und Vorratshäuser errichten.
Das alles hilft aber nicht, denn der Gott dieses Volkes scheint auf ihrer Seite zu sein. Man kann sie unterdrücken und mit Arbeit belegen, aber trotzdem werden sie groß und zahlreich.
Dann kommt es zu einem unmenschlichen Erlass, dass alle männlichen Neugeborenen zu töten sind, damit diese Linie ausstirbt. Man kann sich vorstellen, dass es eine Mutter aber nicht übers Herz bringt, ihr Bübchen zu töten, weil es da irgendein Gesetz von einem fremden Pharao gibt. Diese Mutter weiß aber, dass sie ihn zu Hause bei ihnen nicht sehr viel länger wird verstecken können. Dann greift sie mit dem Mut der Verzweiflung dazu, das Kind auszusetzen. Das wird sehr schön ausgemalt. Sie macht ihm ein Binsenkörbchen und verstreicht dieses Körbchen mit Pech.
Die kundige Bibelleserin und der kundige Bibelleser hören, dass da ganz seltene Worte im Hebräischen verwendet werden. Die kennen wir aus der Geschichte der Arche Noah, wenn wir die Bibel lesen. Da wird ein sehr großer Kasten gemacht und mit Pech verstrichen. Jetzt wird ein sehr kleiner Kasten gemacht und mit Pech verstrichen.
An diesen Moment kommen wir erzählerisch. Das ist die Mutter, die mit dem Mut der Verzweiflung dieses Kindchen am Nil aussetzt.
DOMRADIO.DE: Das Kind wird gefunden. Wer sind denn diese beiden Frauen, die jetzt als Lebensretterinnen genannt werden?
Sticher: Vielleicht hätte man sogar sagen können, dass es drei sind. Zum einen die Mutter und die Schwester des Mose und dann die pharaonische Prinzessin, die Pharaonentochter. Denn die Schwester des Mose bleibt am Nil stehen.
Das ist auch der Moment, den ich in unserem Buch beschreibe, dass sie zuschaut, damit man sichergehen kann, dass dieses Körbchen mit dem kleinen Brüderchen nicht einfach bei der ersten Welle schon untergeht und das Kindchen dann doch stirbt.
Jedenfalls geht die ägyptische Prinzessin baden und wird von ihren Dienerinnen begleitet. Dann merken oder hören sie, dass da ein Kindchen weint. Sie holen dieses Körbchen raus, schauen rein, sagen: Oh, das wird wohl ein Hebräer-Kind sein.
Daran kann also die ganze Leserinnen- und Leserschaft merken, dass die ägyptische Prinzessin sehr wohl wusste, was man diesem fremden Volk antun wollte. Dann tritt die große Schwester des Mose, die da im Verborgenen im Schilf stand, todesmutig vor diese Herrscherin und fragt: Soll ich dir eine Amme für das Kindchen suchen?
Sie denkt natürlich an die leibliche Mutter, die bisher das Kind auch gestillt hat. Der Herrgott fügt es, dass die Prinzessin das sofort für eine gute Idee hält und bittet, das Kind zu einer Amme mitzunehmen. Das ist fast so etwas wie ein ironischer Unterton, dass es immer wieder gelingt, diese Unterdrücker, die Israel in allen Phasen seiner Geschichte kleinhalten wollte, selbst wenn man ein kleines Mädchen ist, zu überlisten.
Das Kindchen wird zur Mutter gebracht, um gestillt zu werden. Als es groß genug ist, entwöhnt zu werden, lautet der Befehl: Wenn er entwöhnt ist, dann bring ihn zu mir. Und da kommt dieser schlimme Tag für Mutter und Schwester, dass man den Kleinen in den Palast bringen muss.
Erst ganz am Ende geschieht dann etwas, worum es in unserem Buch ja immer geht: die Namengebung. Wer jemand ins Leben verhilft, der darf ihn auch benennen. Es ist jetzt so, dass nicht die leibliche Mutter, die ihn zur Welt gebracht hat und gestillt hat, alles benennt, sondern dass die ägyptische Prinzessin ihm einen Namen geben wird.
Wissenschaftlich ist es wahrscheinlich nicht mal zutreffend, aber die Geschichte sagt, da sei ein Wortanklang zwischen "aus dem Wasser ziehen, herausziehen" und dem Namen Mose. Die ägyptische Prinzessin sagt, Mose soll er heißen, denn aus dem Wasser hab ich ihn gezogen.
So kommt es zu dieser eigentümlichen Konstellation, dass der künftige Führer des Volkes Israel einen ägyptischen Namen trägt.
DOMRADIO.DE: Sie haben diese Geschichte in dem Buch "Zeigt euch! 21 Porträts namenloser Frauen aus der Bibel" ausgeschmückt. Haben Sie sich von Ihrer Fantasie leiten lassen?
Sticher: Einerseits ja, denn ich stehe da in der guten Tradition der Bibelauslegung durch alle Jahrhunderte hindurch. Es wird ja jemandem, der in die Texte hineintreten möchte, immer angeraten, sich in die Szene hineinzuversetzen. Ignatius von Loyola, der Gründer des Jesuitenordens, nennt das beispielsweise den "Schauplatz bereiten". Er rät: "Fühle dich so, als trittst du in die Szene ein, überlege dir, stehst du nebendran, stehst du mitten drin."
Ich fand es eine ganz reizvolle Erzählperspektive, in diese Schwester, die mit dem Kleinen gespielt und gescherzt hat, die den sicher geschaukelt hat, hineinzuschlüpfen und zu schauen, wie das so ist und was sich dieses Mädchen so denkt.
Das Interview führte Dagmar Peters.