Theologin sorgt sich um religiöse Spaltung der USA nach Trump-Sieg

"Lager driften immer weiter auseinander"

Nach dem Wahlsieg Donald Trumps zeigt sich die Polarisierung der US-Gesellschaft auch im Christlichen, sagt Hanna Reichel. Die Stimmung schwanke zwischen Jubel und Verzweiflung. Sie rechnet mit Folgen für Glaube und Wissenschaft.

Autor/in:
Lara Burghardt
Eine Gruppe von Trump-Anhängern schwenkt Fahnen und Schilder zur Unterstützung / © Dylan Townsend (dpa)
Eine Gruppe von Trump-Anhängern schwenkt Fahnen und Schilder zur Unterstützung / © Dylan Townsend ( dpa )

DOMRADIO.DE: Wie nehmen Sie die Stimmung in Theologie und Kirche wahr, nachdem Donald Trump die Präsidentschaftswahl in den USA gewonnen hat?

Prof. Dr. Hanna Reichel ("Full Professor" auf dem "Charles Hodge"-Lehrstuhl für Systematische Theologie am "The Theological Seminary of the Presbyterian Church" in Princeton, New Jersey, USA): Das war hier ein absoluter Schock, muss ich sagen. Ich habe das Gefühl, dass alle – Kolleg*innen und Studierende – noch damit beschäftigt sind, das zu verarbeiten. Es kommt in Wellen.

Eine Kollegin, die selbst Pfarrerin und queer ist, brachte es für mich neulich so auf den Punkt: Die eine Hälfte meiner Feeds in den sozialen Medien besteht aus Tanten und Cousins, die die "Vorsehung Gottes" feiern, die Trump ins Amt gebracht hat. Die andere Hälfte sind meine queeren und transsexuellen Freunde, die Telefonnummern zu ähnlichen Angeboten wie der Telefonseelsorge posten. Das geht völlig auseinander. Beide Seiten kommen aus einem christlichen Hintergrund und zeigen so, wie gespalten diese Wahl für Christ*innen, Theolog*innen und Pfarrpersonen war. Die Wahrnehmung hängt sehr stark davon ab, wo man selbst steht und mit wem man zu tun hat.

Es ist auch klar, dass Trump viele Möglichkeiten hat, jetzt seine Ziele durchzusetzen, besonders wenn er die notwendigen Mehrheiten im Senat und Repräsentantenhaus erhält. Vor allem für viele Minderheiten in den USA wird der Wahlsieg wahrscheinlich schreckliche Folgen haben. Auch für akademisches Arbeiten und alle Formen der Bildung stehen wohl schwere Zeiten an. Insofern sind die Leute in meinem Umfeld sowohl persönlich als auch beruflich davon betroffen.

Hanna Reichel

"Je weißer und evangelikaler die Gruppe, desto wahrscheinlicher ist, dass sie Trump gewählt hat."

DOMRADIO.DE: Was wird sich im Bereich Kirche und Theologie ändern, wenn Trump offiziell an der Macht ist?

Reichel: Es ist kein Geheimnis, dass Trump und diese Bewegung von bestimmten Strömungen des Christentums unterstützt werden – je weißer und evangelikaler die Gruppe ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass sie Trump gewählt hat. In den USA gibt es große christlich-nationalistische Bewegungen.

Das sind einerseits Strömungen, die sich in einer pluralistischen Gesellschaft überfordert fühlen, die sich davon überfordert fühlen den öffentlichen Raum mit anderen zu teilen oder das einfach nicht wollen, weil sie nicht möchten, dass andere Gruppen die Gesellschaft und damit indirekt auch ihre Kinder mit prägen. Unter dem Begriff der "religiösen Freiheit" setzen solche Gruppen darauf, ihre eigene gesellschaftliche Position zu stärken.

Es geht oft nicht darum, dass alle so denken müssen wie sie, sondern darum, dass sie ihre Institutionen und Kirchen uneingeschränkt nach ihren Überzeugungen gestalten können, zum Beispiel mit einem bestimmten Familien- oder Ehebild, ohne Abstriche.

Manche identifizieren sich auch sehr stark mit dem Männlichkeitsbild, das Trump vertritt: Ein starker Mann, der sich nichts vorschreiben lässt, auch nicht von irgendwelchen sozialen und politischen Konventionen. Ein Mann, der aggressiv gegen seine Feinde und Widersacher vorgeht und alles andere als Einschränkung der Freiheit begreift. An dieser Stelle sind Religion und Freiheit für einige eng verknüpft.

DOMRADIO.DE: Sie lehren an einer akademischen Institution. Was könnte sich im schulischen oder akademischen Bereich ändern?

Reichel: Für das Feld der Theologie zeigt sich das in dem starken Trend, sich von der universitären Theologie abzuwenden. Die Theologie wird stärker privatisiert und es werden sicher viele neue religiöse Schulen eröffnet. Trump hat schon in seiner ersten Amtszeit versucht, das Bildungsministerium abzuschaffen. Das ist ihm damals nicht gelungen. Dafür brauchte er legislative Unterstützung, die er dieses Mal möglicherweise hat.

Hanna Reichel

"So wie ich es erlebe, driften die Lager in ihrer Polarisierung weiter auseinander."

Trump hat auch die Wissenschaften, besonders die Naturwissenschaften in der Zeit der Corona-Pandemie, zum Feind erklärt, ebenso die Kultur- und Geisteswissenschaften, die eine gesellschaftskritische Funktion ausüben. Sein Vizepräsident J. D. Vance sagte im Vorfeld der Wahl, dass Professoren die Feinde seien. Die Agenda scheint darauf abzuzielen, den Einfluss von Wissenschaft und kritischem Denken auf die Öffentlichkeit einzuschränken.

DOMRADIO.DE: Manche sehen Trumps Sieg als Erfolg, andere als Weltuntergang. Auch unter Theologinnen und Theologen gibt es eine Spaltung. Wie kann man da wieder zusammenfinden?

Trump-Unterstützer beten am 28.10.2024 in der Worship With Wonders Church in Powder Springs, USA, nach dem National Faith Summit für den damaligen republikanischen Präsidentschaftskandidaten und ehemaligen Präsidenten Donald Trump. / © Brynn Anderson/AP (dpa)
Trump-Unterstützer beten am 28.10.2024 in der Worship With Wonders Church in Powder Springs, USA, nach dem National Faith Summit für den damaligen republikanischen Präsidentschaftskandidaten und ehemaligen Präsidenten Donald Trump. / © Brynn Anderson/AP ( dpa )

Reichel: So wie ich es erlebe, driften die Lager in ihrer Polarisierung weiter auseinander. Die Institution, an der ich arbeite, ist mit dem "Mainline Protestantism" verbunden, einer progressiven protestantischen Strömung, die aber nicht evangelikal ist. An das Seminar kommen aber auch viele Leute, die einen evangelikalen oder konservativen Hintergrund haben und die sich hier bewusst oder unbewusst den Formen des kritischen Denkens öffnen, die ein Studium bei uns mit sich bringt.

Die akademische Welt ist einer der besten Orte, wo man auf Basis gemeinsamer Werte kritisch über solche Fragen nachdenken, Gespräche führen und sich damit auseinandersetzen kann. Warum denken andere anders, wie ist es historisch dazu gekommen und welche Bedeutung hat die eigenen Position? Es geht nicht unbedingt darum Leute zu überzeugen, sondern eher darum, dass sie ihre eigenen Positionen reflektierter sehen und verstehen, warum andere anders denken. Das kann dazu führen, dass man ein größeres Verständnis für den Glauben bekommt und dass Andersdenkende keine Bedrohung sein müssen. Dann versteht man, dass man die eigenen Standpunkte nicht immer durchsetzen muss.

Hanna Reichel

"Ich bin in diesem Beruf gelandet, weil ich überzeugt bin, dass der christliche Glaube der Gesellschaft wichtige Werte mitgeben kann, auch für Menschen, die diesen Glauben nicht teilen."

Insofern können akademische Räume eine Berührungsfläche sein und für echte Gespräche über Grenzen hinweg sorgen. Allerdings wird es auch dort zunehmend schwieriger, da Teile der Bevölkerung eine starke Stimmung in der Politik haben, die akademisches Arbeiten an sich oft zum Feindbild erklärt.

DOMRADIO.DE: Ihr Fachgebiet ist die Systematische Theologie. Erkennen Sie in dem Bereich auch eine Gefahr? Machen Sie sich Sorgen um die Zukunft?

Reichel: Ich bin in diesem Beruf gelandet, weil ich überzeugt bin, dass der christliche Glaube der Gesellschaft wichtige Werte mitgeben kann, auch für Menschen, die diesen Glauben nicht teilen. Mein Beruf ist es, Menschen auszubilden, die kirchlich und theologisch arbeiten wollen und dabei Traditionen wie Gerechtigkeit, Wahrheit und den Schutz der Schwachen zu fördern.

Auch die Hoffnung, dass Gott Grenzen überwinden kann, die wir Menschen als unüberwindbar sehen, gehört dazu. Die historischen Erfahrungen, die im christlichen und auch im jüdischen Glaube stecken, zeigen, dass es immer wieder Neues geben kann.

Das Interview führte Lara Burghardt.

Information der Redaktion: Prof. Reichel hat im gesprochenen Interview einen stimmlosen Verschlusslaut ("gesprochene Lücke") zum Zweck des Genderns genutzt. In der Verschriftlichung des Interviews hat DOMRADIO.DE diese Stellen mit Hilfe eines * (vulgo: "Gendersternchens") wiedergegeben.

Reformierte Kirchen

Die reformierten Kirchen gehen vor allem auf die Schweizer Huldrych Zwingli (Zürich, 1484-1531) und Johannes Calvin (Genf, 1509-1564) zurück. Die Einheit der Protestanten scheiterte 1529 am Abendmahlsstreit zwischen Martin Luther und Zwingli. Luther hielt an der wirklichen Gegenwart (Realpräsenz) von Leib und Blut Christi in Brot und Wein fest, während Zwingli das Abendmahl als Symbol begriff. In der reformierten Theologie nimmt die Bibel die zentrale Stelle ein. Dies schlägt sich nieder in der Schlichtheit der Kirchenräume und des Gottesdienstes. 

Denkmal des Schweizer Reformators Ulrich Zwingli / © Gion Pfander (epd)
Denkmal des Schweizer Reformators Ulrich Zwingli / © Gion Pfander ( epd )
Quelle:
DR