Theologisches Studienjahr ist von Jerusalem nach Rom gezogen

Exil in der Ewigen Stadt

Das ökumenische Theologen-Programm der Dormitio-Abtei Jerusalem ging auch nach dem 7. Oktober 2023 weiter. Warum es jetzt, zum zweiten Mal nach Corona, doch nach Rom verlegt werden musste, erzählt die Dekanin Johanna Erzberger.

Autor/in:
Hilde Regeniter
Campus des Päpstlichen Athenaeums Sant'Anselmo, Rom / © Anna Mertens (shutterstock)
Campus des Päpstlichen Athenaeums Sant'Anselmo, Rom / © Anna Mertens ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Wo erreichen wir Sie gerade?

Prof. Dr. Johanna Erzberger (privat)
Prof. Dr. Johanna Erzberger / ( privat )

Prof. Dr. Johanna Erzberger (Dekanin des Theologischen Studienjahrs Jerusalem): Sie erreichen mich in Sant’Anselmo, also an der Benediktiner-Hochschule in Rom, mit der wir affiliiert sind. Wir sind nämlich eine Subfakultät der Theologischen Fakultät hier, was in normalen Jahren hauptsächlich Relevanz für die Anerkennung unserer Lehrveranstaltungen hat. 

Wir haben hier während der Corona-Pandemie schon einmal Unterschlupf gefunden in einer Situation, in der wir das Studienjahr in Jerusalem nicht durchführen konnten. Und jetzt sind wir wegen der angespannten Lage in Nahost eben wieder hier. Weil die Hochschule auch Unterkünfte bietet, sind wir für eine Woche zunächst alle hier untergekommen, danach müssen eine ganze Reihe von unseren Studierenden umziehen, weil hier – anders als in der Coronazeit – alles belegt ist. 

DOMRADIO.DE: Sie mussten ins römische Exil gehen, weil sich die Lage in Nahost bereits vor dem Jahrestag des Hamas-Angriffs weiter zugespitzt hatte, zuletzt mit der Bodenoffensive der israelischen Armee im Libanon und den wechselseitigen Raketenangriffen zwischen Israel und Iran. Wie haben Sie und die Studierenden die letzte Zeit in Jerusalem erlebt? 

Erzberger: Unser Studienjahr hat Mitte August begonnen und bis wenige Tage davor war nicht klar, ob wir tatsächlich in Jerusalem würden anfangen können. Denn wir werden vom Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) finanziert, der normalerweise keine Stipendiaten in Länder mit Reisewarnung ausreisen lässt. 

Mit Blick auf unser Programm in Israel haben sie das anders gehandhabt, denn für dort besteht bereits seit dem 7. Oktober 2023 Reisewarnung. Wir konnten mit dem letzten Studienjahr damals bleiben und wenige Tage vor Beginn des neuen Studienjahrs hat der DAAD auch entschieden, dass wir wieder vor Ort in Jerusalem anfangen konnten. 

Die Entscheidung trifft der DAAD in Absprache mit dem Auswärtigen Amt. An solchen Entscheidungen hängen in der Regel nicht nur wir, sondern auch diverse andere deutsche Institutionen. Wir sind allerdings oft etwas anders behandelt worden, weil wir als Gruppe und in der Nähe der Altstadt in Jerusalem leben. Das ist normalerweise kein Ort, auf den irgendjemand absichtlich schießt. Deswegen war es zunächst möglich, trotz der angespannten Lage in Jerusalem zu beginnen, aber zum Schluss war die Situation dem Auswärtigen Amt wohl doch zu heiß geworden. Davor war die Lage im Grunde sehr ruhig. 

Unmittelbar nach dem 7. Oktober hatte es zwar Raketenalarm in Jerusalem gegeben, aber etwa ab Weihnachten war im Grunde wieder Alltag eingekehrt. Und wer keine Betroffenen kennt, keine persönlichen Kontakte zu ihnen hat, kann in Jerusalem den Konflikt sogar weitgehend ausblenden. 

Im April gab es dann den ersten Angriff des Iran, der vorher angekündigt war und wie eine Show-Attacke wirkte. Der zweite Iranangriff kam dann unmittelbar nach der Mitteilung, dass wir Israel verlassen müssen. Jerusalem ist wirklich sicherer Ort als viele andere in Israel und es sicher auch Ermessenssache, wann man wen zurückholt. Aber ich habe durchaus Verständnis, dass das Auswärtige Amt irgendwann gesagt, es wird ihnen jetzt zu brenzlig. 

Prof. Dr. Johanna Erzberger

"Die Studierenden wollten nicht weg. Sie haben ausnahmslos gesagt, dass sie bleiben wollen und waren nicht erfreut über diesen Umzug."

DOMRADIO.DE: Sie haben also gemeinsam mit den Studierenden eine Situation großer Unsicherheit erlebt. Wie sind die jungen Leute damit klargekommen? 

Erzberger: Die Studierenden wollten nicht weg. Sie haben ausnahmslos gesagt, dass sie bleiben wollen und waren nicht erfreut über diesen Umzug. Aber sie haben ihn natürlich akzeptiert und wollen jetzt das Beste aus der Situation machen. Und Rom ist als Stadt schließlich auch keine ganz fürchterliche Alternative. 

Davor hatten sie Jerusalem als einen Ort erlebt, an dem der Konflikt nicht in gleicher Weise spürbar war wie an anderen Orten im Land. In unserem Programm hatten wir auch die Orte gemieden, bei denen wir nicht mit gleicher hoher Wahrscheinlichkeit sagen konnten, dass wohl nichts passieren wird. Jerusalem selbst war bis zum jüngste Iranangriff tatsächlich fast ruhiger als in normalen Zeiten vor dem Krieg. 

Als der Angriff des Iran dann Anfang vergangener Woche kam, hatten wir die Studierenden gerade zusammengerufen, um ihnen mitzuteilen, dass es eine Ausreiseaufforderung gibt. Wir sind dann geschlossen in den Bunker gegangen, den es in der Dormitio-Abtei gibt, haben unsere Sitzung dort fortgesetzt und abgewartet, bis alles vorbei war. Das haben die Studierenden sehr gut gemacht und auch verhältnismäßig entspannt aufgenommen. Es ist tatsächlich ja auch nichts und niemand in Jerusalem zu Schaden gekommen. Das israelische Abwehrsystem funktioniert sehr gut. 

DOMRADIO.DE: Und mittlerweile sind Sie also mit dem ganzen Studienjahr nach Rom umgezogen – eine große logistische Herausforderung. Wie funktioniert das?

Erzberger: Wir sind unendlich dankbar für die wirklich riesengroße Unterstützung, die wir von der Hochschule Sant’Anselmo bekommen. Auch über diese Anfangsphase hinaus werden wir hier unseren Studien-Standort haben und unsere Veranstaltungen abhalten. 

Universität Sant'Anselmo in Rom / © Thoom (shutterstock)
Universität Sant'Anselmo in Rom / © Thoom ( shutterstock )

Wir haben wieder den Raum bekommen, den wir schon zu Corona-Zeiten hatten, der zweigeteilt ist in einen Vorlesungsteil und einen Sozialbereich für die Studierenden. Wir werden hier auch essen. In dieser ersten Woche können wir sogar alle hier übernachten. Aber weil kein Corona mehr ist und niemand in Rom mit uns gerechnet hat, müssen wir weitere Unterkünfte finden. 

Einige haben wir schon, es sind noch Fragen offen, aber ich bin optimistisch, dass wir alles regeln können. Schließlich haben wir die Unterstützung der Hochschule, und der Rektor hat sich schon selbst ans Telefon gehängt hat, um Unterkünfte für uns zu finden. 

Prof. Dr. Johanna Erzberger

"Herausfordernd ist, unser Studienjahr an einem katholischen Hotspot auch wirklich ökumenisch zu gestalten. Aber das haben wir während Corona geschafft und es wird sicher auch jetzt wieder funktionieren."

DOMRADIO.DE: Wie ist denn das Fazit Ihres ersten römischen Exils während Corona? Hat das damals gut geklappt? 

Erzberger: Ja, es hat wirklich sehr gut geklappt. Ich hatte damals die Idee, uns in der Krisensituation nach Rom zu verlagern. Zum einen, weil wir hier ohnehin die institutionelle Anbindung haben. Außerdem passt Rom auch zum Schwerpunkt unseres Studienjahres, an biblisch relevanten Orten zu studieren. Schließlich sind wir hier ebenfalls noch im Mittelmeerraum und können eine ganze Menge Dinge tun, die genuin zu unserem Programm gehören. 

Was unseren archäologischen Schwerpunkt angeht, wird der hier sicher ein bisschen anders aussehen als in Israel/Palästina – hier werden wir eben Überreste aus der römischen Epoche anschauen. Herausfordernd ist, unser Studienjahr an einem katholischen Hotspot auch wirklich ökumenisch zu gestalten. Aber das haben wir während Corona geschafft und es wird sicher auch jetzt wieder funktionieren. 

Ich habe aus der Corona-Zeit noch eine ganze Reihe Kontakte hier, auch an anderen Hochschulen wie zum Beispiel der Päpstlichen Universität Gregoriana, dem Päpstlichen Bibelinstitut, dem Päpstlichen Orientalischen Institut oder auch dem Deutschen Historischen Institut. Das sitzen noch immer Menschen, die damals schon da waren, ich habe mich auch schon mit einigen in Verbindung gesetzt. Dass diese Kontakte schon da sind, macht es jetzt viel einfacher für uns. 

Prof. Dr. Johanna Erzberger

"Wir nutzen selbstverständlich, was Rom uns an Möglichkeiten bietet. Da liegt ein Schwerpunkt eben eher auf der Zeit des Frühchristentums."

DOMRADIO.DE: Der andere Standort bringt also durchaus Rückkopplungen auf die Lehrinhalte mit sich… 

Erzberger: Ja, natürlich. Wir nutzen selbstverständlich, was Rom uns an Möglichkeiten bietet. Da liegt ein Schwerpunkt eben eher auf der Zeit des Frühchristentums. Wir haben insofern Glück gehabt, dass wir in den ersten sechs Wochen in Jerusalem schon einiges an Archäologie machen konnten, was Israel/Palästina bezogen ist. Das können wir jetzt bereichern mit Eindrücken aus der römischen Antike. 

Ganz aktuell können wir aufgreifen, dass hier in Rom gerade die Weltsynode läuft. Da werden wir sicher versuchen, Referenten für Abendvorträge zu organisieren. Die Hochschule Sant‘Anselmo selbst hat dazu zum Beispiel in der kommenden Woche auch zwei englischsprachige Vorträge geplant, an denen wir teilnehmen werden. Auch da gibt es hilfreiche Synergieeffekte. 

Wir haben also wohl eine leichte Schwerpunktverschiebung, aber unsere wesentlichen Inhalte werden wir auch hier bearbeiten. Das ist in unserem Fall in Rom, im Mittelmeerraum deutlich einfacher als zum Beispiel in Wien oder anderen europäischen Orten….

DOMRADIO.DE: Das Studienjahr ist ökumenisch und interreligiös. Wie wichtig sind ganz allgemein Begegnungen der Studierenden mit solch geschichtsträchtigen Orten und den Menschen dort? Gerade auch mit Blick auf den Nahostkonflikt? 

Erzberger: Ganz essenziell wichtig, das ist überhaupt keine Frage. Wir sind wirklich eine der ganz wenigen akademischen Institutionen, die sowohl mit palästinensischen als auch mit israelischen Partnern arbeiten. Wir können das in Israel/Palästina tun, weil wir eben weder eine israelische noch eine palästinensische Institution sind, sondern weil wir – vom deutschen Staat finanziert – an dieser italienischen Hochschule hier hängen. Da bekommt man ganz ohne Frage einen ganz anderen Blick auch auf den Konflikt, auf die Situation vor Ort. Weswegen wir uns natürlich auch wünschen, dass wir in absehbarer Zeit nach Jerusalem zurückkehren können.

Das Interview führte Hilde Regeniter.

Theologisches Studienjahr Jerusalem

Das sogenannte Theologische Studienjahr in Jerusalem ist ein intensives Lehr- und Lernprogramm für deutschsprachige Theologiestudierende. Das zweisemestrige Aufbaustudium findet normalerweise an der Benediktiner-Abtei Dormitio auf dem Zionsberg am Rand der Jerusalemer Altstadt statt.

Dormitio Abtei in Jerusalem / © Karin Wabro (shutterstock)
Dormitio Abtei in Jerusalem / © Karin Wabro ( shutterstock )
Quelle:
DR