Thomas Arnold bilanziert acht Jahre als Akademiedirektor

"Keine Angst vor dem Streit"

Nach acht Jahren als Direktor der Katholischen Akademie im Bistum Dresden-Meißen wechselt der Theologe Thomas Arnold in die sächsische Landespolitik. Was hat er aus dieser Zeit gelernt? Und wie blickt er auf die Zukunft der Kirche?

Thomas Arnold / © Dominik Wolf (KNA)
Thomas Arnold / © Dominik Wolf ( KNA )

DOMRADIO.DE: 2016 haben Sie die Katholische Akademie übernommen. Damals als jüngster katholischer Akademiedirektor Deutschlands mit 28 Jahren. Wie war das damals? Warum haben Sie diesen Schritt getan? 

Dr. Thomas Arnold (Scheidender Direktor der Katholischen Akademie im Bistum Dresden-Meißen): Das war der Schritt zurück in die Heimat. Ich komme gebürtig aus Sachsen. Wir haben in Aachen gelebt als Familie und gesagt, wir wollen wieder zurück in diese Heimat, wo damals Pegida montags auf die Straße ging. Die Polarisierung der Gesellschaft war schon sichtbar in Folge der Migrationslage im Jahr 2015. 

Da habe ich gedacht, ich möchte mit meiner Erfahrung, mit meinem Wissen als Theologe, aber eben auch mit meinem Wissen um die Kultur in Sachsen, etwas beitragen, eine Perspektive mit einbringen in diesen öffentlichen Dialog. 

Als dann die Ausschreibung der Akademiearbeit kam, hatte ich gedacht: Das ist doch eine spannende Stelle. So kam ich im September 2016 etwa gleichzeitig mit dem neuen Bischof Heinrich Timmerevers in Dresden an, der auch gerade neu ernannt wurde. Wir sind faktisch mit zwei Wochen Abstand gemeinsam gestartet. 

Bischof Heinrich Timmerevers und Akademie-Direktor Thomas Arnold (l.) (Bistum Dresden-Meißen)

2016 heißt aber auch: Es war ein Land, das schon ansatzweise polarisiert war, wo die AfD aber im Verhältnis zu heute noch deutlich kleiner war. Damals wurden die Debatten noch weniger im öffentlichen Raum geführt. Positiv gesagt, muss ich feststellen, dass wir auch in Sachsen gelernt haben besser zu streiten. Da ist immer noch Luft nach oben. Aber dass wir miteinander mehr um Argumente ringen im öffentlichen Raum, das hat sich schon verändert. Und zugleich erschrecke ich natürlich, wenn ich in den letzten Tagen sehe, dass der Sachsenmonitor konstatiert, dass etwa ein Drittel der Bevölkerung in Sachsen meint, wir würden in einer Diktatur leben. Dem ist nicht so. Genau diese freien Debatten, die wir im Moment führen, das ist doch das Kennzeichen einer liberalen Demokratie. 

DOMRADIO.DE: Hat dieser Schritt denn Überwindung gekostet, aus einem relativ komfortablen Umfeld in Nordrhein-Westfalen zurückzugehen, mitten in dieses gesellschaftliche Gewitter? 

Arnold: Meine Aufgabe war ja, möglichst nicht die Blitzableiter zu organisieren, sondern im Gewitter Orte zu schaffen, wo man sicher stehen kann und im Trocknen darüber nachdenken kann, wie es überhaupt zu dem Gewitter kommt. Nun bin ich kein Meteorologe und kann dieses Bild nicht weiter führen. Aber ich fand und finde das eine spannende Herausforderung. 

Thomas Arnold

"Diskutiert nicht so viel über die tagesaktuelle Politik, sondern schaut auf die existenziellen Fragen."

Mein Learning in den letzten acht Jahren ist: Diskutiert nicht so viel über die tagesaktuelle Politik, sondern schaut auf die existenziellen Fragen des Menschen. Woher komme ich? Wohin gehe ich? Wozu bin ich da? 

DOMRADIO.DE: Akademien richten sich ja eigentlich an ein Fachpublikum. Sie haben es geschafft, aus der Katholischen Akademie eine Stimme zu machen, die im kirchlichen wie auch im gesellschaftlichen Dialog wahrgenommen wird. Wie schafft man das? 

Arnold: Akademie klingt erstmal erst mal nach Studium, Hochschule, Promotion und Habilitation, also für einen engen Kreis von Leuten. Das ist es eben nicht. Wir haben immer versucht, auch schon meine Vorgänger, es weit zu fassen. Wir haben versucht Menschen zusammen zu bringen, die bereit sind über Fragen des Miteinanders und der eigenen Existenz nachzudenken, die Argumente wollen, die natürlich Wissen geboten bekommen, aber die auch Streit abkönnen. Wir brauchen keine Angst vor dem Streit. Streiten ist nicht schlecht für unsere Gesellschaft. 

Thomas Arnold

"Streiten ist nicht schlecht für unsere Gesellschaft."

Am Ende muss man natürlich zum Konsens kommen. Das ist das Entscheidende. Es darf nicht beim Demonstrieren bleiben. 

Aber es ist unser Angebot, als Kirche in dieser Gesellschaft, in säkularer Umgebung zu sagen: Wir bieten euch Argumente, auch verschiedene Sichtweisen. Am Ende könnt ihr zu Hause am Küchentisch weiter diskutieren und selber entscheiden, welchen Weg ihr geht. Das ist zum einen bezogen auf die Glaubensfrage, ob ihr euch am Ende auch für einen Weg christlichen Glaubens entscheidet, das ist aber natürlich auch eine Frage der politischen Entscheidung. Wir wollen Lösungsangebote bieten, mit denen die Menschen ins Nachdenken kommen.

Thomas Arnold bei der 3. Synodalversammlung in Frankfurt (Archiv) / © Julia Steinbrecht (KNA)
Thomas Arnold bei der 3. Synodalversammlung in Frankfurt (Archiv) / © Julia Steinbrecht ( KNA )

DOMRADIO.DE: Sie waren auch einer von 230 Teilnehmern beim Synodalen Weg, dem Reformdialog der Kirche in Deutschland. Hat das Projekt etwas gebracht, Ihrer Meinung nach?

Arnold: Ich blicke noch mal zurück auf den Anfang. Tatsächlich beobachte ich auch hier in Sachsen eine Veränderung bei diesen kircheninternen Fragestellungen. 

Am Anfang der Akademiezeit hätte ich nicht über Zölibat, Frauenpriestertum, Macht und Gewaltenteilung diskutieren können. Das hätte nur wenige begeistert. Das hat sich verändert. Hier ist auch in Sachsen eine Sensibilität angekommen für diese innerkirchlichen Fragen. 

Ich denke, auch das ist Akademiearbeit. Nicht nur in die Gesellschaft hineinzuwirken und dort am Puls der Zeit und Vermittler zu sein, sondern eben auch nach innen hin zu schauen. Vielleicht gehört dazu auch manchmal anstrengend zu sein für Bistum, Ordinariat und Co. Ein Stachel im Fleisch. Wir haben das in den letzten Jahren verstärkt. Ich hoffe, ohne es übertrieben zu haben. 

Ganz am Anfang des Synodalen Wegs waren wir überzeugt: Wir müssen nicht nur diskutieren, sondern schauen, dass wir die Erkenntnisse und Wahrnehmungen aus Sachsen und Ostdeutschland in eine nationale Debatte mit einbringen. Und deswegen war ich gern beim Synodalen Weg mit dabei. Deswegen engagiere ich mich auch weiterhin beim Synodalen Ausschuss, weil ich denke, dass wir in der Diaspora nicht besser sind, aber andere Erfahrungswerte haben, in Minderheit katholischen Glauben zu gestalten.

Ganz vieles ist abgebrochen. Da sind wir im Osten ganz realistisch. Wir haben nicht die Hoffnung, dass mit all diesen Reformschritten eine Volkskirche, wie wir sie aus Kindertagen kennen, wiederkommt. Das ist meine Botschaft auch an den Synodalen Weg. Erwartet nicht mit den Reformprozessen, dass wir wieder zur Volkskirche werden. Es wird ein anderes Kirche-sein in den nächsten Jahrzehnten entstehen. 

Thomas Arnold

"Erwartet nicht mit den Reformprozessen, dass wir wieder zur Volkskirche werden."

Und trotzdem, und das ist mein persönliches Engagement und meine Motivation dafür, müssen wir alles versuchen zu vermeiden, dass Vertuschung des Missbrauchs innerhalb der Kirche möglich ist. Der Synodale Weg soll dazu beitragen, dass wir eine möglichst weiße Weste haben als Kirche und dann in die Gesellschaft hineinwirken zu können. 

Wir haben viel über Inhalte diskutiert in den letzten Jahren. Ich denke, wir müssen als Kirche in Deutschland noch eine größere Sensibilität ausprägen, wie wir miteinander kommunizieren. Zum einen untereinander. Wir sind hart in der Sache, aber am Abend können wir zusammen wieder ein Bier trinken. 

Es braucht darüber hinaus aber auch international eine große Sensibilität des Hörens und der Demut. Wir haben zuletzt zu wenig mit Rom geredet. Es war auch immer mein Anliegen, als Akademie einen Beitrag zu dieser Auseinandersetzung zu leisten. Aber wir sollten auch immer sensibel sein für das, was an Rückmeldungen aus anderen Kontinenten kommt. Für einen Synodalen Weg braucht es in der Zukunft zwei Kernelemente: Mut und Demut. Wenn das gelingt, dann, glaube ich, kriegen wir diese Gedanken inhaltlicher Veränderung gut auch im weltkirchlichen Prozess mit eingespielt. 

DOMRADIO.DE: Blicken wir in die Zukunft. Die Zahl der Gläubigen wird weiter zurückgehen, und damit auch auf lange Sicht die Finanzmittel der Kirche in Deutschland. Wie stellen Sie sich die Kirche in 30, 40 Jahren vor? Können wir noch genau die gleiche Anzahl an Bistümern haben? Braucht es mehr Zusammenarbeit, auch finanziell? 

Arnold: Ich habe zur Jugendweihe und der Flüchtlingssituation in der DDR promoviert und der Rolle der Kirchen damals. Wenn ich da auf die Zahlen Anfang der 1930er Jahre schaue und auf das Verhalten von Kirche, dann hätte man prognostizieren können, dass man immer kleiner wird. Und dann kam plötzlich das schlimme Ereignis des Zweiten Weltkriegs und die Flüchtlinge aus Ost- und Mitteleuropa. Das hat eine ganz andere Dynamik in der Kirche ausgelöst. Ich möchte keinesfalls für die Zukunft eine solche Perspektive zeichnen, aber ich will damit verdeutlichen, dass es immer schwierig ist, in die Glaskugel zu schauen. 

Deswegen würde ich alle Prognosen überschreiben mit: Habt keine Angst, sondern Mut und Hoffnung, zu gestalten. Wer jetzt schon zusammenzuckt und sich in die Ecke stellt, der kann direkt die Türe zuklappen und die Kirche schließen. Mit Mut und Gestaltungswille kommen wir nach vorne. Natürlich mit einem klugen Weitblick, aber nicht mit Angst. Das ist der Unterschied. 

Thomas Arnold

"Habt keine Angst, sondern Mut und Hoffnung, zu gestalten."

Wenn ich schaue, was in 30, 40 Jahren passiert, dann sagen die aktuellen Prognosen: Wir werden weniger in Ost- und Westdeutschland. Und die finanziellen Ressourcen werden auch weniger. Ich schaue sehr kritisch auf die Situation, dass wir viele Pfarrgemeinden zusammengelegt haben und größere Strukturen geschaffen haben. Ich glaube, dass der Erfolgsfaktor für Kirche darin liegt, dass sie personale Beziehungen prägt. 

Für die Akademiearbeit würde ich sagen: Digitaler Livestream, der sich in Corona-Zeiten etabliert hat, den können ZDF, ARD und YouTube immer besser. Wir brauchen die Begegnung, und das ist der Mehrwert, die Begegnung vor Ort, indem wir über das, was an Argumenten geboten wird, weiter diskutieren könnten. 

Und das gilt auch für Seelsorge und Pfarreiarbeit vor Ort. Ob das eine Pfarrei ist, in welcher Struktur das geregelt ist, alles das sei mal dahingestellt. Auch Kirche ist veränderbar. Aber wir sollten darauf achten, dass die persönliche Beziehung Vorrang hat und dass wir jetzt auch aus Respekt vor dem, was kommen wird, nicht jetzt schon das Personal vor Ort abziehen, sondern darauf sollten wir eine hohe Sensibilität setzen. Wir sollten außerdem darauf achten, dass Kirche natürlich Ehrenamt braucht, das aber nicht überstrapaziert werden darf. Da braucht es einen Mittelweg.

Wir werden im Staat-Kirche-Verhältnis hoffentlich bei einer positiven Religionsfreiheit bleiben und zugleich eine größere Distanz oder kleinere Selbstverständlichkeit zu dem bekommen, was Kirche an Schule macht, an Sozialleistungen, also dem subsidiären Prinzip der Leistungen. Und auch da würde ich sagen: Habt keine Angst, sondern sucht Lösungen. 

Ich bin tatsächlich eher ein Befürworter, auch wenn das immer mal kritisch diskutiert wird in den letzten Wochen, für eine Kultursteuer, wie sie in Italien existiert, weil ich denke, dass das den Druck nimmt von der Frage der Kirchenmitgliedschaft. Ich denke, dass das kirchliche Arbeitsrecht in den nächsten Jahren fallen wird. Wir sollten Wege einschlagen, selbstständig leben zu können. Als Kirche uns nicht zu verlassen auf das, was im Staatskirchenvertrag so scheinbar fest geregelt ist. 

Franz-Josef Overbeck / © Julia Steinbrecht (KNA)
Franz-Josef Overbeck / © Julia Steinbrecht ( KNA )

Und ja, ich begrüße die Initiative von Bischof Overbeck, sich mal Gedanken zu machen, ob wir noch die richtigen Bistumsgrenzen haben. Aber natürlich muss man auch ehrlich sagen, da steckt viel Kleinklein dahinter im Detail. Das wird nicht in ein bis zwei Jahren zu lösen sein. Und ich bin mir nicht sicher, ob wir eine noch weitere Verunsicherung innerhalb der Kirchenräume im Moment brauchen, wo schon die ganze Gesellschaft in einem so enormen Transformationsprozess steckt. Vielleicht ist es auch richtig, jetzt manche Reformen, die vielleicht notwendig wären, etwas nach hinten zu verzögern, weil man jetzt erst mal für das Land und für die Menschen im Land da sein will und sie genau in diesen Brüchen zu unterstützen. 

Ich sage das nicht ohne Erfahrungshorizont. Wenn ich auf 1989 schaue und den Umbruch einer ganzen Gesellschaft und einem ganzen Welt- und Menschenbild, dann war es doch für viele Christinnen und Christen genau der Punkt, sich in Kirche im Glauben beheimatet zu wissen, auch in der Glaubensgemeinschaft als sozialem Gefüge. Sich dort beheimatet zu wissen, um dann Kraft zu finden, um diese ganzen Brüche und Veränderungen gut gestalten zu können. 

Da hat es auch Verletzungen geben bei Christinnen und Christen. Da war nicht alles toll und rosarot. Und trotzdem denke ich, es war eine Stärkung. Deswegen plädiere ich sehr dafür, jetzt nicht den nächsten Reformprozess anzustoßen, so lange der erste noch läuft, sondern eher zu schauen, wie kriegt man vor Ort Seelsorge hin und eine Begleitung von Menschen mit den ganz verschiedenen Angeboten, die man als Kirche hat. 

Und natürlich: Wie kriegt man auf lange Frist Kirche zukunftsfähig? Mir scheint schon, dass wir auch noch mal in Rom fragen müssen: Ist das Kirchenrecht mit der Frage der Leitung über Pfarrer von Pfarreien, so wie es gerade existiert, der richtige Weg? Denn alle Bistümer basteln doch jetzt an irgendwelchen Lösungen, um irgendwie dem Ziel gerecht zu werden, im Kirchenrecht bei gleichzeitigem Umgehen dessen. Und das kann doch nicht die Lösung auf Dauer sein. 

DOMRADIO.DE: Letzte Frage: Es gab ein wenig Verwunderung in Kirchenkreisen, warum Sie so kurz vor der nächsten Landtagswahl von der Kirche in die Politik wechseln. Könnte das nicht schnell zum Schleudersitz werden?  

Arnold: Ich habe keine Angst. Wenn ich von anderen Angstfreiheit einfordere, dann will ich es auch selber nicht einbringen. Ich habe Hoffnung, dass dieses Land miteinander so viel streitet, dass es am Ende auch in der Mitte der Gesellschaft die richtige Wahl findet. Es geht mir nicht um eine Partei oder eine Empfehlung. Schaut auf die Mitte die Parteien, wie sich dort bewegen, diskutiert, entwickelt Ideen, bringt euch ein in diese Parteien. Unsere Demokratie braucht genau diese Strukturen und Menschen, die sich da einbringen.

Nach der Wahl appellieren kann jeder. Wir machen es vor der Wahl und deswegen ist es vielleicht auch eine Chance mitzugestalten in dem Maß, das mir gegeben ist. Aber ja, ich freue mich auf die Zukunft und ich bin dankbar für das, was wir hier gemeinsam gestaltet haben. 

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.

Synodaler Ausschuss

Der Synodale Ausschuss ist ein Ergebnis des Reformprojekts Synodaler Weg zur Zukunft der katholischen Kirche in Deutschland. Er soll unter anderem die Einrichtung eines Synodalen Rates vorbereiten. In diesem neuen Gremium wollen Bischöfe und Laien ihre Beratungen über mögliche Reformen in der Kirche fortsetzen, die sie bei dem 2019 gestarteten Synodalen Weg begonnen haben.

Symbolbild Synodaler Weg / © Maximilian von Lachner (SW)
Symbolbild Synodaler Weg / © Maximilian von Lachner ( SW )
Quelle:
DR