DOMRADIO.DE: Sie sind Theologe und Zoologe. Wie steht es denn um das Verhältnis von Mensch und Tier im Christentum?
Dr. Rainer Hagencord (Priester, Zoologe und Leiter des Instituts für Theologische Zoologie in Münster): Leider Gottes hat das Christentum über viele Jahrhunderte dazu beigetragen, die Situation zu verstärken, in der wir uns gerade befinden. Das Christentum hat, wenn ich es auf den Punkt bringen will, diesen biblischen Herrschaftsauftrag "Machet euch die Erde untertan" letztlich völlig missverstanden.
Wenn man böse ist, könnte man sagen, die derzeitige Situation hat auch mit der Anthropozentrik zu tun, die letztlich biblisch überhaupt nicht zu rechtfertigen ist. Denn dieser Herrschaftsauftrag war ursprünglich eine Einweisung in die Verantwortung, dass sich der Mensch wie ein guter König und ein guter Hirte in dieser Welt darstellen solle.
DOMRADIO.DE: Tatsächlich wird das aber immer ganz oft so zitiert: "Herrschet über die Fische im Meer und über die Vögel des Himmels" (Mose 1,28).
Hagencord: Papst Franziskus hat in seiner wirklich sehr bewegenden Enzyklika "Laudato si'" von 2015 ein Wortspiel formuliert. Er sagt, es heißt nicht "Machet euch die Erde untertan", sondern "Machet euch der Erde untertan".
Damit sagt er, der Mensch soll dazu beitragen, dass die Ökosysteme, das Lebendige, das Miteinander von Menschen und Tieren in einer friedlichen Weise fort existieren kann. Dass wir uns der Erde untertan machen, alles tun, dass diese Erde weiter leben kann, alle Tiere und Pflanzen auf ihr – am besten mit uns zusammen
DOMRADIO.DE: Jetzt haben Sie die Umwelt-Enzyklika "Laudato si'" des Papstes angesprochen. Die wird ganz oft zitiert. Wie finden Sie denn die Umsetzung dessen, was der Papst dort so eindringlich fordert?
Hagencord: Ich glaube, dass da vonseiten der Kirche noch sehr viel mehr möglich ist. Ich erlebe in vielen Diskussionen, vor allem außerhalb der Kirche, dass diese Enzyklika wahrgenommen wird. Viele, die sich in Umweltschutzverbänden und Organisationen dem Erhalt von Pflanzen und Tieren verschrieben haben, berufen sich auf die Enzyklika.
Ich hatte neulich hier in Münster eine Debatte, da kamen der Vertreter vom NABU (Naturschutzbund Deutschland) und ein junger Mann von "Fridays for future" auf das Podium – mit der Enzyklika unterm Arm. Und das war ganz interessant, denn die beiden waren im Rahmen einer kirchlichen Veranstaltung eingeladen und haben der Gemeinde die Enzyklika hingehalten.
Die Enzyklika kann viel bewegen und auch eine Agenda ableiten, um die Kirche zu ermutigen, zum Beispiel die Leute von "Fridays for future" zu unterstützen. Die Kirche hat ja immer noch ein riesiges Netzwerk. Wieviele Kinder und Jugendliche gehen zur Erstkommunion, zur Firmung, zur Konfirmation? Da ist es doch wirklich anstehend, dieses Thema mit in die Pädagogik und Katechese zu nehmen.
Und ich denke sehr oft auch an die Möglichkeit, dass Gemeinden über die Kantinen, die sie in Altenheimen und Kitas betreiben, noch viel mehr Landwirte und Landwirtinnen unterstützen können, die ökologisch arbeiten und eine ökologische und nachhaltige Tierhaltung haben. Da kann noch viel mehr passieren in den Gemeinden
DOMRADIO.DE: Hat dieses Thema nicht zuletzt auch durch "Fridays for future" in ihrem Institut für Theologische Zoologie etwas verändert – eventuell Schwerpunktsetzung?
Hagencord: Ich erlebe da eine ganz große Entwicklung. Es kommen viel mehr Studierende in die Lehrveranstaltungen und sagen: Wir brauchen dringend eine theologische Ausstattung.
Es gibt in der Bibel und der Theologie doch sehr viele Spuren, die die Schöpfung und die Tiere viel mehr würdigen, als wir es bisher in den Kirchen erleben. Da bekomme ich wirklich neue Hoffnung.
DOMRADIO.DE: Welche Spuren sind das?
Hagencord: Ich habe mit zwei Gemeinden in Münster Kontakt, die mit der Enzyklika unterm Arm schauen wollen, wie sie ihre Arbeit in der Gemeinde verändern können.
Sie wollen viel stärker Leuchtturmprojekte etablieren – gerade in den Feldern von Pädagogik und Katechese –, und Ernährungsgewohnheiten umstrukturieren. Letztlich unter der Überschrift, die Papst Franziskus formuliert hat: Wir brauchen eine ökologische Spiritualität und Erziehung.
DOMRADIO.DE: Bei Papst Franziskus fällt einem auch immer der Heilige Franziskus ein, der eines der Vorbilder schlechthin ist, wenn es darum geht, wie man mit Tieren umgeht. Kommt das in Ihren Vorlesungen auch vor?
Hagencord: Ja, sehr stark. Man darf den guten Franziskus, den Heiligen des Mittelalters, eben nicht so verhübschen. In seiner tiefen Mystik hat er auch immer davon gesprochen, dass wir den Tieren auf Augenhöhe begegnen sollen, dass wir sie als Mitgeschöpfe würdigen.
In einer poetischen Sprache hat er letztlich das formuliert, was wir heute seit Darwin und dem Evolutionsdenken wissen: Tiere sind unsere Geschwister. Zwischen uns und ihnen tut sich kein Graben auf. Wir sind mit allem, was da lebt, verwandt.
Das Interview führte Martin Mölder.