Er habe ein christliches Menschenbild und lege Wert darauf, die Schöpfung zu achten und zu wahren, sagte Wieler im Interview bei Spiegel Online (Freitag). "Das erleichtert mir meine Aufgabe als Wissenschaftler, Krankheit und Tod zu verhindern."
Auf die Frage, ob sein christliches Menschenbild angesichts von Bedrohungen während der Corona-Pandemie ins Wanken geraten sei, sagte Wieler: "Ach was, um Gottes Willen, nein." Ob er zu Weihnachten in die Kirche gehen werde, wisse er noch nicht, fügte der RKI-Chef hinzu. "Es wird davon abhängen, wie hoch die Inzidenzen in meiner Berliner Gemeinde sein werden und wie ein Hygienekonzept in der Kirche durchgesetzt werden soll. Ich entscheide spontan, je nach Lage."
RKI-Präsident Wieler wünscht sich, ohne eine Impfpflicht durch die Corona-Pandemie zu kommen, will sie aber als Ultima Ratio nicht ausschließen. Ex-Verfassungsgerichtspräsident Papier hat juristische Bedenken.
Ergebnisoffene Diskussion über allgemeine Impfpficht
Außerdem wünscht sich Wieler eine ergebnisoffene Diskussion über eine allgemeine Impfpflicht gegen das Coronavirus. "Eine Pflicht sollte das letzte Mittel sein, wenn alle anderen ausgeschöpft sind", sagte Wieler dem "Spiegel". Der ehemalige Verfassungsrichter Hans-Jürgen Papier äußerte unterdessen Zweifel, dass eine allgemeine Impfpflicht gegen das Coronavirus derzeit mit dem Grundgesetz vereinbar wäre.
Wieler sagte: "Ich glaube, dass es immer noch der bessere Weg ist, die Menschen davon zu überzeugen, sich impfen zu lassen." Er habe aber gehofft, dass der Anteil der Geimpften höher sein würde, daher müsse über eine Impfpflicht nachgedacht werden. "Es gibt bei uns etwa elf Millionen Erwachsene, die ungeimpft sind, obwohl wir ausreichend fundierte Daten zur Wirksamkeit und Sicherheit haben", sagte der RKI-Präsident.
Bundestagsdebatte über Impfpflicht im nächsten Jahr erwartet
Bundestag und Bundesrat hatten in der vergangenen Woche eine Corona-Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen beschlossen, um Menschen unter anderem in Pflegeheimen und Kliniken zu schützen. Vermutlich auf der Grundlage fraktionsübergreifender Anträge soll der Bundestag im nächsten Jahr über eine allgemeine Impfpflicht debattieren. Aus Sicht Wielers könnte das "sogar eine Sternstunde des Bundestags werden". Er persönlich sei der Ansicht, "dass Leben und Gesundheit von Millionen Menschen ein höheres Gut sind als der Schutz Einzelner vor einer Injektion".
Ex-Richter Papier sagte dem Nachrichtenportal "t-online" in einem am Freitag veröffentlichten Interview, es müsse genau geprüft werden, welchem Zweck eine Impfpflicht dient. "Dient sie neben dem Eigenschutz dem Schutz von Leben und Gesundheit großer Teile der Bevölkerung und dem Zweck, das öffentliche Gesundheitswesen vor der völligen Überlastung zu schützen? Dann könnte eine allgemeine Impfpflicht durchaus gerechtfertigt sein, wenn sie insoweit geeignet und notwendig ist. Ich wage aber zu bezweifeln, dass diese Voraussetzungen derzeit hinreichend belegbar sind", argumentierte der Jurist, der von 1998 bis 2010 am Bundesverfassungsgericht tätig und acht Jahre lang dessen Präsident war.
Papier: Zweifel an Umsetzbarkeit einer allgemeinen Impfpflicht
Er habe Zweifel, ob eine allgemeine Impfpflicht gegen Corona praktisch in der gebotenen Eile umsetzbar wäre. "Wie wollen Sie denn gegebenenfalls über 20 Millionen Personen zu mehrfachen Impfungen zwingen, die nicht geimpft werden wollen und die keiner Behörde namentlich bekannt sind? Mithilfe der Polizei? Mit Bußgeldern und Erzwingungshaft?", fragte Papier.
Er glaube zudem, "dass noch lange nicht alle Mittel ausgeschöpft sind, um die Menschen in stärkerem Maße zur Impfung zu bewegen". Und selbst Impfwilligen könne noch immer aus Kapazitätsgründen die gewünschte Impfung, insbesondere die zur Auffrischung, nicht zeitnah angeboten werden.