domradio.de: Wie kommt es, dass Sie als Landesjugendring fordern, dass auch Kinder schon wählen dürfen, wer im Deutschen Bundestag sitzt?
Christian Brüninghoff (Referent beim Landesjugendring NRW): Das Wahlrecht an das Alter zu knüpfen, hat historisch gesehen seine Berechtigung gehabt, als man das so entschieden hat. Aber umgekehrt muss man auch klar sagen, dass man nicht an seinem 18. Geburtstag auf einmal politisch aktiv wird. Man wacht nicht morgens auf und ist auf einmal Demokrat.
domradio.de: Aber muss man die Kinder gleich wählen lassen dürfen, um das zu ermöglichen?
Brüninghoff: Es geht ja darum, dass kontinuierlich Teilhabe und Beteiligung gelernt wird - vom Kindergarten über die Grundschule, die weiterführende Schule bis zur Universität und so weiter. Das Wahlrecht ist das grundlegendste Recht der Beteiligung an gesellschaftlichen Diskursen. Wenn ich mitbestimmen kann, dann setze ich mich auch damit auseinander.
domradio.de: Wählen dürfen alle unter 18 Jahren. Inwiefern können Kinder denn für ihre Wahl schon die Verantwortung übernehmen? Das ist ja oft die Kritik, die eingebracht wird, dass Kinder gar nicht wissen, was sie wählen.
Brüninghoff: Kinder und Jugendliche haben Parameter, um eine Wahlentscheidung zu treffen. Genauso wie Erwachsene auch. Ich finde, das ist ein schwieriges Argument. Man sagt ja immer, die Kinder und Jugendlichen sind gar nicht reif, um eine Wahlentscheidung zu treffen. Das finde ich ein bisschen verrückt. Wir haben bei den Erwachsenen, die das Wahlrecht haben, 40 Prozent Nichtwähler und zehn Prozent Extremwähler. Ob dann Reife das Argument sein kann, finde ich zumindest fragwürdig.
domradio.de: Immer neun Tage vor den "Erwachsenenwahlen" finden die U18-Wahlen statt. Wo können die Kinder und Jugendlichen wählen gehen?
Brüninghoff: Das ist ganz unterschiedlich. Die Wahllokale sind natürlich nicht staatlich organisiert und daher auch nicht flächendeckend. Aber wählen gehen kann man in Schulen, in Jugendzentren, bei Jugendverbänden und teilweise in mobilen Wahllokalen, die im Stadtpark stehen. Wo und wann so ein Wahllokal geöffnet ist, steht auf der Website www.u18nrw.de. Da gibt es lauter kleine Punkte auf einer großen Deutschlandkarte. Mittlerweile gibt es in Deutschland 1.400 Wahllokale und davon sind über 300 in NRW.
domradio.de: Es soll nicht nur aus Spaß heraus gewählt werden, sondern es steckt auch eine Botschaft und ein Ziel dahinter. Welches?
Brüninghoff: Das hat unterschiedliche Ziele. Die Kinder und Jugendlichen sollen einen möglichst authentischen Wahlakt erleben, damit sie, wenn sie wählen dürfen, keine Hemmungen haben und denken: "Was passiert in so einem Wahllokal eigentlich? Warum sollte ich denn dahin gehen?" Es ist die persönliche Ebene, auf der auch eine Auseinandersetzung mit Kandidaten und Programmen stattfindet.
Gleichzeitig können wir auch nach außen kommunizieren, dass Kindern und Jugendlichen anderes wichtig ist und sie vielleicht anders gewählt hätten. Gerade die Ergebnisse der Landtagswahl machen deutlich, dass Kinder und Jugendliche die AfD nicht in den Landtag gewählt hätten. Das wären knapp vier Prozent bei 35.000 wählenden Kindern gewesen. Außerdem sagen Studien aus Großbritannien, dass der Brexit gar kein Thema gewesen wäre, wenn junge Menschen gewählt hätten.
Auch aus den USA wissen wir, wenn junge Menschen schon bei den Vorwahlen beteiligt gewesen wären, dann wäre Bernie Sanders wahrscheinlich Kandidat der Demokraten geworden und vermutlich wäre er auch Präsident geworden. Von daher darf man das nicht nur kleinreden, dass junge Menschen keine Meinung haben oder sich nicht informieren können. Grade das Internet bietet Möglichkeiten, die in den älteren Generationen anders genutzt werden.
domradio.de: Es gibt einige Wahllokale, wo Kinder und Jugendliche an den U18-Wahlen teilnehmen können. Wo besteht denn noch der größte Bedarf?
Brüninghoff: Wir haben auf der Landkarte immer noch ein paar weiße Flecken. Der Kreis Düren, der Rheinisch-Bergische Kreis, der Bereich rund um Lippe und der Kreis Soest sind noch relativ dünn mit Wahllokalen für junge Menschen besetzt. Wir haben in den großen Städten, aber durchaus auch in ländlichen Regionen, viele Wahllokale und Schwerpunkte. Das ist also in dem Sinne kein Stadtprojekt, sondern schon weit verteilt. Nichts destotrotz gibt es natürlich Landkreise und Städte, wo man stärker präsent ist.
Das Interview führte Milena Furman.