Über alte Bräuche und Vorstellungen bei Gewitter

"Himmlische Ruhe gegen Höllenlärm"

Wie Gewitter zustandekommen, ist weitgehend bekannt. Aber wie erklärte man sich Unwetter früher? Was tat man bei Gewitter und welche Heiligen rief man an? Antworten darauf weiß der Brauchtumsexperte Manfred Becker-Huberti.

 (DR)

DOMRADIO.DE: Was hat man denn früher bei Gewitter gemacht? Sich bekreuzigt und gebetet?

Manfred Becker-Huberti (Brauchtumsexperte): Zunächst einmal hat man aus dem Gewitter geschlossen, dass es zwei Dinge gibt, die gegeneinander stehen: Die himmlische Ruhe gegen den Höllenlärm. Das haben wir heute noch in der Sprache – diese Vorstellung, dass alles Laute und alles Böse von den Bösen kommt. Und dementsprechend muss man sich gegen dieses Böse zur Wehr setzen. Das tut man natürlich zunächst mit Gebet. Man kann aber auch raffiniertere Methoden nehmen. Zum Beispiel haben die Leute den Palm, den Buchsbaum, der am Palmsonntag vor Ostern geweihen wurde, zerbröselt und ins Herdfeuer geworfen. Dieser stieg dann mit dem Qualm nach außen hoch. Und diese "geweihte" Luft vertrieb die bösen Geister, die mit dem Unwetter gleichgesetzt wurden.

DOMRADIO.DE: Konnte man nicht gleich gegen den lauten Donner anläuten?

Becker-Huberti: Dafür gab es Wetterglocken. Das waren speziell geweihte Glocken, die wirksam sein sollten gegen die bösen Dämonen, die das schlechte Wetter brachten. Der Gedanke dahinter war ein sehr simpler, aber typisch für das Mittelalter: Das etwas, was so heiß ist wie der Blitz - die flüssige Glockenbronze - und so laut ist wie die Glocke und der Lärm des Donners, wirksam sein muss gegen das Andere. Man versuchte also, das Gegeneinander abzuwägen und läutete die Glocken, um das böse Wetter zu vertreiben. Wir würden heute läuten, um das böse Wetter anzukündigen.

DOMRADIO.DE: Wir haben über WhatsApp unsere Hörerinnen und Hörer aufgerufen, uns zu schreiben, was ihnen zum Gewitter einfällt. Jemand hat geantwortet: "Bei uns gibt es immer noch die gesegnete Gewitterkerze. Die Oma hatte sie immer griffbereit in der Schublade, und auch mir gibt sie immer noch ein beruhigendes Gefühl".

Becker-Huberti: Die Gewitterkerze kenne ich auch noch aus eigenem Gebrauch. Das ist die Wetterkerze oder die Schauerkerze – sie hat unterschiedliche Namen. Sie ist vor allen Dingen eine schwarze Kerze. Diese schwarze Kerze wurde angezündet, wenn ein Gewitter kam. Die Familie versammelte sich um die Kerze und fing an zu beten. Am besten war der Rosenkranz, denn da brauchte nicht lange drüber nachgedacht zu werden. Es gab aber noch verschiedene andere Methoden: Zum Beispiel haben die Bauern früher Sensen und Harken auf dem Hof ausgelegt und zwar so, dass man drüber stolpern musste. Und wenn man irgendwann mal einen Blutfleck auf dem Boden oder sonstwo fand, war man sicher, dass der böse Geist darüber gestolpert war, sich verletzt hatte und verschwunden war.

DOMRADIO.DE: Ob es nur der Nachbar war, der das Schwein klauen wollte, sei einmal dahingestellt...

Becker-Huberti: Das konnte man damals nicht prüfen. Und es gab noch zwei andere schöne Methoden, an die man sich erinnern sollte: Kaiser Karl der Große ist der Erfinder des Blitzableiters, aber nicht des modernen Blitzableiters. Er hat seinerzeit alle seine Angehörigen - auch sein Dienstpersonal - dazu verpflichtet, auf ihren Häusern Hauswurz zu pflanzen. Das ist eine kleine Pflanze, die eine Blüte an einem langen Stiel entwickelt und tatsächlich wie ein Blitzableiter aussieht. Alle waren dazu verpflichtet, das zu tun und zwar unter Strafe, wenn sie es nicht taten.

DOMRADIO.DE: Welche Heiligen gibt es denn, die man rufen kann, wenn es blitzt und donnert? Was können wir heute tun, um uns ein bisschen sicherer zu fühlen, wenn das Unwetter aufzieht?

Becker-Huberti: Es gibt mehrere Heilige, die man anrufen kann. Die einen sind im kölnischen Raum zu Hause – Kaspar, Melchior und Baltasar, die Heiligen Drei Könige. Sie gelten als Vertreiber der bösen Geister, weshalb die Sternsinger bis zum heutigen Tag mit weißer Kreide den Segensspruch von außen an die Tür schreiben. Der Gedanke dahinter: Weiß ist die Farbe der Geister. Die Farbe galt als etwas Eigenes und nicht Gefährliches. Und wenn diese Geister auf den frommen mit weißer Kreide geschriebenen Spruch stoßen, dann mussten sie verschwinden. Das findet sich auch in den Wetterkreuzen in der Flur wieder, die Weiß angestrichen waren, damit die bösen Geister über sie stolpern.

DOMRADIO.DE: Ich rufe die Heiligen Drei Könige zu Hilfe und wen noch?

Becker-Huberti: Den heiligen Donatus. Als die Gebeine von Köln in die Eifel gebracht wurden, wo ihm eine neue Kirche gebaut worden war, ist der heimische Pfarrer, ein Jesuit, von einem Blitz getroffen worden, konnte aber anschließend gerettet werden. Diese Rettung hat man Donatus zugeschrieben und die Bauern haben gesagt: Das ist doch ganz einfach. Donatus, der hat doch den Donner im Namen. Wer so heißt, der muss auch gegen den Donner helfen. Und so kam es, dass man Donatus gegen den Donner angerufen hat. Der Glaube an ihn war so wirkmächtig, dass auf die Bitte des Generalvikariats, Blitzableiter an den Kirchen anzubringen, tatsächlich ein Pfarrer in der Eifel zurückgeschrieben hat: "Ich weigere mich. Wir haben Gebeine des Heiligen Donatus. Wir brauchen keinen Blitzableiter".

Das Interview führte Uta Vorbrodt.


Prof. Dr. Manfred Becker-Huberti / © privat (DR)
Prof. Dr. Manfred Becker-Huberti / © privat ( DR )
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